# taz.de -- Buch über Enzensbergers „TransAtlantik“: Gegen den Zeitgeist | |
> Hans Magnus Enzensbergers „TransAtlantik“ sollte eine kosmopolitische | |
> Zeitschrift werden und floppte. Ein Buch arbeitet nun die Hintergründe | |
> auf. | |
Bild: Immer mit dandyhaftem Gestus: die „TransAtlantik“-Redaktion | |
München taz | Am Nachmittag des 28. Januar steht der 81-jährige Charles | |
Schumann in der Küche seiner Bar am [1][Münchner Hofgarten] und bereitet | |
Bratkartoffeln vor. Samstag ist eigentlich Ruhetag, aber heute wird ein | |
Buch über TransAtlantik vorgestellt. Eine Zeitschrift, die Schumann seit | |
Ende der 70er Jahre begleitet hat. Erst als Barkeeper in Harry’s New York | |
Bar, später im eigenen Laden: Orte, an denen, wie TransAtlantik-Redakteur | |
Michael Rutschky überliefert, alles stattfand, „was für die Zeitschrift | |
wichtig ist“. | |
Abends auf dem Podium sitzen Katharina Enzensberger, Kai Sina und als | |
Moderator Claudius Seidl von der FAZ. Enzensberger ist Zeitzeugin, sowohl | |
als ehemalige Redakteurin als auch als Witwe eine der beiden geistigen | |
Urheber der Zeitschrift, deren Zielgruppe, „[2][in Buchhandlungen] genauso | |
zu Hause“ wäre „wie in Delikatessenläden“, die „nicht irgendeinen Wag… | |
fährt, „sondern einen ganz bestimmten“. Und es gehört zu den besonderen | |
Momenten des Abends, wenn Katharina Enzensberger mit gelassen-liebevollem | |
Spott die kleinen und großen Eitelkeiten [3][ihres verstorbenen Mannes Hans | |
Magnus kommentiert]. | |
Kai Sina ist Germanistik-Professor in Münster mit Schwerpunkt | |
Transatlantische Literaturforschung. Aus Interesse am Werk Enzensbergers, | |
erzählt er bei einem Gespräch am Nachmittag im Schumann’s, stieß er auf | |
dessen unerforschtes Zeitschriftenprojekt und beschloss, ihm eine Studie zu | |
widmen, die insbesondere an der „affektiven, stark emotional aufgeladenen“ | |
Ablehnung von TransAtlantik interessiert ist. | |
Erste Quelle war dabei Enzensbergers autobiografisches Buch „Meine | |
Lieblingsflops“ aus dem Jahr 2011: Weil ihnen der Zeitgeist Ende der 1970er | |
Jahre besonders zum Hals herausgehangen habe, schreibt Enzensberger, hätten | |
er und sein Freund Gaston Salvatore einen Plan gefasst: „Eine | |
großstädtische, intelligente Publikumszeitschrift für die historisch neuen | |
Ansprüche der Bundesrepublik.“ Vorbild, natürlich, der New Yorker. | |
## Gegen verschwitztes Strebertum | |
Es ist das große Verdienst von Sinas Buch, das | |
TransAtlantik-„Konzeptpapier, Juni 1979“ aus dem in Marbach verwahrten | |
Enzensberger-Nachlass geborgen und klug kommentierend aufbereitet zu haben | |
– schon allein solch enzenbergerischer Verve wegen wie der Analyse der | |
möglichen Konkurrenz des visionierten Unterfangens: Derzeit auf dem Markt | |
verfügbare Publikationen zeichne „verheerender Mangel an Eleganz, | |
verschwitztes Strebertum, kultureller Kretinismus, Klein-Moritz-Attitüde, | |
Bonner Kleinstadtluft“ aus. „Im besten Fall gelingt es diesen | |
Zeitschriften, heruntergekommene Herrenreiter und hilflose Gattinnen zu | |
unterhalten. Sie sind nicht in der Lage, irgendetwas zu problematisieren, | |
und wäre es nur das Design des Aschenbechers auf dem Tisch. Ihre | |
Bewußtlosigkeit erlaubt es ihnen nicht, einen Ton zu finden, geschweige | |
denn, den Ton anzugeben.“ | |
Durfte diese phänomenologische Abgrenzung nach spießig-rechts beim | |
anvisierten Publikumssegment noch auf Zustimmung hoffen, so war die | |
ideologische Grenzziehung nach links, der Abschied nicht nur vom realen | |
Sozialismus, sondern auch gleich von der konkreten Utopie, die Enzensberger | |
in den 70er Jahren vollzogen hatte, schon problematischer, aber natürlich | |
auch reizvoller. Ganz materialistisch gedacht war es aber die Basis des | |
ganzen Unternehmens, die TransAtlantik schon vor Erscheinen und vor dem | |
Flop an den Kiosken zur Provokation, ja zum Hassobjekt werden ließ. | |
Die Basis trug den Namen des Verlegers Heinz van Nouhuys, in der Zeit als | |
„Kotzbrocken“ und Macher eines „Brüste-Journals für Männer“ bezeichn… | |
womit das Magazin Lui, die Cashcow des Nouhuys’schen NewMag-Verlags, | |
gemeint war. Für konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza war van Nouhuys | |
schlicht „Spezialist für Imperialismus und Antikommunismus“ und | |
TransAtlantik „Kacke mit Glasur“. | |
Der gebürtige Niederländer hatte sich als Journalist des konservativen | |
Bauer-Verlags einen Namen gemacht, als er 1972 in der Zeitschrift Quick | |
vertrauliche Papiere aus den Verhandlungen über die Ostverträge | |
veröffentlichte. | |
In der DDR beschloss die Staatssicherheit daraufhin, gegen van Nouhuys | |
vorzugehen, und zwar indem man Akten, die angeblich dessen Agentenaktivität | |
für die Stasi in den 1950er Jahren belegten, dem Stern als linksliberalen | |
Konkurrenten der rechten Quick zuspielte. Im Verlauf dieser | |
Entlarvungsaktion stellte man in Ostberlin fest, dass van Nouhuys vom BND | |
als Kontakt auf Prämienbasis geführt wurde. Der Stern brachte die | |
Geschichte über den „Doppelagenten“ Nouhuys im Oktober 1973. Der | |
vermeintlich Enttarnte klagte 14 Jahre lang gegen den Stern („absoluter | |
Quatsch“), ohne dass die Richter der letzten Instanz die Wahrheit fanden. | |
Später, an seinen Stammtischen in Harry’s Bar und im Schumanns’s, gab er | |
sich lässig, wie Enzensberger anerkennend in den „Lieblingsflops“ | |
überliefert: „'Was heißt da Doppelagent? Wenn schon, dann mindestens | |
dreifach!“ | |
Ein Spieler, ein schneller, geschäftstüchtiger Mann mit Charme und Witz – | |
ich habe van Nouhuys 2004, ein Jahr vor seinem Tod, selbst interviewt –, | |
das schien Salvatore und Enzensberger der Richtige zu sein: „Die | |
Skrupellosigkeit dieses abenteuerlichen Unternehmers hat uns imponiert. Wir | |
wußten, daß nur ein Mann, der vor nichts zurückschreckte, für unser Projekt | |
in Frage kam.“ | |
## Abschied von der linksradikalen Ideologie | |
Scheiterte TransAtlantik aber nun wirklich am Ressentiment eines | |
linksspießigen Establishments? Rückschauend machte Enzensberger politische | |
und ästhetische Defizite der Landsleute verantwortlich: „Wie konnten wir | |
unser Blatt TransAtlantik nennen, während tapfere Friedenskämpfer auf der | |
Mutlanger Heide gegen die Stationierung amerikanischer Pershing-II-Raketen | |
demonstrierten?“ Und: „Je besser die Zeitschrift aussah, desto betrüblicher | |
ging es mit der verkauften Auflage bergab.“ | |
Folgt man der Interpretation von Claudius Seidl an diesem Abend, dann hatte | |
die Sache einen ganz anderen Geburtsfehler: TransAtlantik scheiterte nicht | |
an der ästhetisch-kapitalistischen Unterentwicklung der Deutschen, sondern | |
an einer Generationshybris. Dem von TransAtlantik dandyhaft erklärten | |
Abschied von der steril und mit der RAF dann mörderisch gewordenen | |
linksradikalen Ideologie stand schon der unbeschwerte Aufbruch einer | |
Punk-und-New-Wave-Generation gegenüber, die sich für die ewigen | |
Hahnenkämpfe der 68er auch mit schickster Typografie nicht mehr | |
interessierte. Mit dem bohemistischen Magazin Mode und Verzweiflung (ab | |
1978) rund um Thomas Meinecke, ab Mitte der 80er dann mit den | |
Zeitgeistheften Wiener und Tempo kamen Zeitschriften auf den Markt, die | |
eine Feier des Gegenwärtigen in ihrer DNA hatten, die TransAtlantik nur | |
behaupten konnte. | |
Das überzeugt unbedingt. Aber mal ganz andererseits gesagt: Scheitern – was | |
soll das überhaupt sein? | |
Salvatore und Enzensberger hatten schon in ihrem Konzeptpapier von 1979 | |
unter dem letzten Punkt „XIV Chancen und Risiken“ nicht uncool dekretiert: | |
„Die Erfolgsaussichten für Transatlantik sind nicht berechenbar“, was der | |
Sache etwas von einer Performance gab, von einem mehr künstlerischen als | |
publizistischen Projekt. | |
Die Deutschen, gut dreißig Jahre nachdem sie aufgehört hatten, Menschen zu | |
vergasen, waren eben nicht entnazifiziert genug für eine Publikation, als | |
deren idealer Autor Heinrich Heine genannt wurde. Das konnte, ja musste | |
dann eben als Ergebnis des soziologischen Experiments TransAtlantik so | |
stehen bleiben. | |
## Turn von Militanz zu Eleganz | |
Die Geschichte der Zeitschrift endet nicht im Winter 1982. Bis 1989 | |
erschien sie im NewMag-Verlag, bis der Spiegel übernahm und die Marke 1991 | |
abwickelte. Der frühere taz-Journalist und spätere Redenschreiber Gerhard | |
Schröders, Reinhard Hesse, machte ein gutes Magazin bis zu dessen Tod 1987 | |
zusammen mit dem Schriftsteller Jörg Fauser. | |
Fauser schrieb regelmäßig in Lui, ließ seinen Krimi „Kant“ 1986 als | |
Fortsetzungsroman im Wiener erscheinen und hielt zu Salvatore und | |
Enzensberger Abstand – aus Gründen, die er seinen Eltern während der Arbeit | |
an einem Lui-Essay über den sprichwörtlichen „Kleinen Mann“, den | |
Schriftsteller Hans Fallada, erläuterte: „Der Artikel darf ein bestimmtes | |
Maß von höchstens 15 Seiten nicht überschreiten – sonst besteht die Gefahr, | |
daß das an Transatlantik geht, und da sei Fallada davor. Zu denen gehört er | |
nun wirklich nicht.“ | |
Bei Fauser, Jahrgang 1944, waren die antiautoritären 68er-Instinkte noch | |
stabil. Wie dem 1943 geborenen Michael Rutschky, dessen genervte Gründe, | |
die TransAtlantik-Redaktion mit zwei lässig dort abhängenden | |
Vetorechtsinhabern schon nach einem Jahr wieder zu verlassen, sich in | |
seinen Tagebüchern überaus amüsant nachlesen lassen, war auch Fauser die | |
Attitüde fremd, immer forsch vorne dabei zu sein, wenn die frische Fahne | |
gehisst und die neue Parole ausgeben wurde. | |
Der 68 stets neben Dutschke als Posterboy der Revolte auftretende Salvatore | |
und der geschmeidige Chefdenker Enzensberger sollten ruhig ihren Spaß haben | |
auf dem neuen Kurs nach Westen, beim Turn von Militanz zu Eleganz, dem | |
eleganten Sprung vom großen Nein zum kleinen Ja, wie es ihre neuen | |
philosophischen Hausgötter Odo Marquard und Niklas Luhmann lehrten – eine | |
geistig-moralische Wende, für die sie sich ja auch die ganzen 70er lang | |
Zeit genommen hatten. | |
Aber die Fragen, ob es nicht eine Nummer kleiner auch gegangen wäre; ob | |
nicht eben immer wieder die schärfsten Kritiker der Elche früher selbe | |
welche waren und ob nicht am Ende doch irgendwer Bratkartoffeln aufsetzen | |
muss – die kann, wer sich an TransAtlantik und seine Zeit erinnern möchte, | |
schon stellen, am besten immer noch so, wie es im „Konzeptpapier, 1979“ | |
heißt: „Überlegen (aber nicht arrogant); Intelligent (aber nicht | |
akademisch); Böse (aber nicht hämisch).“ | |
6 Feb 2023 | |
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