| # taz.de -- Chinesischer Spionageballon: Mehr als nur heiße Luft | |
| > Schuld haben immer die anderen: Pekings Reaktion auf den Ballon-Vorfall | |
| > legt Chinas diplomatisches Unvermögen offen – mit gravierenden Folgen. | |
| Bild: Manieren gefragt: Chinas Außenminister Wang Yi und US-Kollege Blinken sa… | |
| Peking taz | Ganz gleich, wie man die Fakten dreht und wendet: Für Chinas | |
| Regierung ist die Spionageballon-Causa nicht nur unangenehm, sondern das | |
| größte außenpolitische Eigentor seit Langem. Hinter den Kulissen wird die | |
| Affäre sicherlich einige Ministerialbeamte und Militärs die Karriere | |
| kosten. Nach außen hingegen lässt Peking keinerlei Reue durchschimmern: | |
| „Einige amerikanische Politiker und Medien nutzen die Situation nur aus, um | |
| China zu verleumden“, hieß es in einer ersten Stellungnahme des | |
| Außenministeriums. | |
| Der vor dem US-Bundesstaat South Carolina abgeschossene Ballon hat die | |
| Beziehung zwischen den zwei Weltmächten weiter vergiftet. Vor allem aber | |
| hat der Vorfall offengelegt, wie sehr sich die chinesische Regierung mit | |
| ihrer mit Nationalstolz aufgeladenen Rhetorik eine konstruktive | |
| Gesprächsgrundlage verbaut. | |
| Fakt ist: Sowohl China als auch die USA spionieren sich auf allen | |
| erdenklichen Ebenen gegenseitig aus, und zwar meist mit ausgeklügelteren | |
| Mitteln als einem Überwachungsballon. Insofern wäre es wohl durchaus | |
| möglich gewesen, die Affäre gesichtswahrend für beide Seiten ad acta zu | |
| legen – vorausgesetzt, die chinesische Regierung hätte aufrichtig Reue | |
| gezeigt und transparent kommuniziert. Stattdessen jedoch wendete sie ihr | |
| altbekanntes Muster an: sämtliches Fehlverhalten abstreiten, die Schuld | |
| beim Gegenüber suchen und umgehend in den Angriffsmodus wechseln. | |
| Chinas erste Reaktion, bei dem Flugobjekt handele es sich lediglich um eine | |
| Art meteorologischen Forschungsballon, der aufgrund von starken Westwinden | |
| von seiner geplanten Route abgekommen sei, wertete Washington als dreiste | |
| Lüge. „Wir wissen, dass es ein Überwachungsballon ist“, entgegnete unbeir… | |
| ein Sprecher des Pentagons. Tatsächlich spricht viel dafür: Es müsste schon | |
| ein großer Zufall gewesen sein, dass der Ballon im dünn besiedelten | |
| Bundesstaat Montana ausgerechnet über einen US-Luftwaffenstützpunkt flog, | |
| wo 150 mit Atomsprengköpfen bestückte Interkontinentalraketen gelagert | |
| sind. Zudem hat Washington in den letzten Jahren mindestens drei ähnliche | |
| Spionagefälle aus China registriert, diese jedoch zuvor nicht öffentlich | |
| gemacht. | |
| ## Augenscheinliche Fakten ignoriert | |
| Doch selbst augenscheinliche Fakten hat die chinesische Seite zuletzt | |
| ignoriert. [1][Als US-Außenminister Anthony Blinken seinen geplanten | |
| China-Besuch am Freitag absagte], stritt Peking kurzerhand in einer | |
| schriftlichen Aussendung ab, dass es überhaupt einen „offiziell geplanten | |
| Besuch“ gegeben habe. Auch Wang Yi, immerhin der führende Außenpolitiker | |
| der Volksrepublik, ließ bei seinem am Samstag erfolgten Telefonat mit | |
| Blinken keinerlei Selbstkritik erkennen: „Wir akzeptieren keine grundlosen | |
| Spekulationen und Stimmungsmache.“ | |
| Und nachdem US-Präsident Joe Biden den Überwachungsballon in der Nacht auf | |
| Sonntag abschießen ließ, protestierte die chinesische Regierung erneut | |
| lauthals: Man sprach von einer „Überreaktion“ und einem „Verstoß gegen | |
| internationale Praxis“. Die Doppelmoral ist offensichtlich: Man stelle sich | |
| nur einmal vor, es flöge ein Spionageballon von der Größe dreier Autobusse | |
| über die chinesischen Nuklearsilos in der Wüste Gobi. | |
| Doch wer ausschließlich die Berichte der chinesischen Staatsmedien liest, | |
| bekommt ganz unweigerlich den Eindruck einer Täter-Opfer-Umkehr: Angesichts | |
| der rüden Schuldzuweisungen gegenüber den USA liest es sich fast so, als ob | |
| am Wochenende ein US-amerikanisches Flugobjekt in den chinesischen Luftraum | |
| eingedrungen wäre. | |
| Die Folgen einer solchen Kommunikation – sowohl auf der internationalen | |
| Bühne als auch gegenüber dem eigenen Volk – sind angesichts der Fallhöhe | |
| des US-China-Konflikts zunehmend gefährlich. Derzeit steht es um die | |
| bilateralen Beziehungen so schlecht wie seit mehreren Jahrzehnten nicht | |
| mehr. Hinzu kommt, dass China nach der Entsendung von Qin Gang als | |
| Außenminister momentan noch nicht einmal einen Ersatz für die Stelle als | |
| Botschafter in Washington gefunden hat. | |
| Und das bislang größte Damoklesschwert, welches über den zwei Staaten | |
| kreist, ist bereits am diplomatischen Horizont zu erkennen: [2][Kevin | |
| McCarthy, der neue Sprecher des US-Repräsentantenhauses], dürfte sich durch | |
| den Ballon-Vorfall wohl erst recht ermutigt fühlen, seinen geplanten | |
| Taiwan-Besuch in die Tat umzusetzen – nicht zuletzt, um damit bei seiner | |
| Kernwählerschaft auf Sympathiefang zu gehen. [3][Als seine Vorgängerin | |
| Nancy Pelosi im vergangenen Sommer Taipeh besuchte], reagierte Peking mit | |
| einer simulierten Inselblockade und wüsten Drohungen. | |
| Im Wiederholungsfall dürfte Chinas Replik wohl noch eine Spur martialischer | |
| ausfallen. Und zweifelsohne wird die Botschaft der Regierung lauten: Die | |
| USA müssen ihre „falschen Ansichten berichtigen“ und zu einem „korrekten | |
| Kurs“ zurückkehren. | |
| 5 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Kretschmer | |
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