| # taz.de -- Hamburger Initiative gegen Gendersprache: Beim Sprechen bin ich kon… | |
| > Verständlichkeit geht vor. Deshalb ist es gut, dass eine Volksinitiative | |
| > Hamburger Behörden das Gendern verbieten will – auch wenn die CDU | |
| > mitmacht. | |
| Bild: Gendersensibler Wahlkampf: Ein Helfer bei einer Veranstaltung der Grünen… | |
| Wer in der Jugend nicht links ist, hat kein Herz, wer im Alter noch links | |
| ist, keinen Verstand. So ähnlich geht ein Sprichwort. Ich bin schon älter | |
| und immer noch links. Aber seit ich Mittwoch früh das Hamburger Abendblatt | |
| aufschlug, befinde ich mich in Schwierigkeiten. Die Hamburger CDU, so war | |
| [1][dort zu lesen], wird die [2][Volksinitiative] „Schluss mit der | |
| Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ unterstützen. | |
| Fein, war mein erster Gedanke. Dann wird das wenigstens was. Denn ich finde | |
| es besser, wenn Behörden weder Genderstern noch Doppelpunkt benutzen. In | |
| der taz steht es immer noch uns Autoren frei, ob wir diese Sonderzeichen | |
| verwenden. Ich tue es nicht, denn ich finde es am wichtigsten, dass Texte | |
| verständlich sind und gelesen werden. Das ist Tag für Tag eine | |
| Herausforderung. Deshalb mag ich den Stern nicht. Er ist sozusagen so etwas | |
| wie eine Arbeitserschwernis. Dass ein Text gar nicht erst gelesen wird, ist | |
| die Höchststrafe für Autoren. | |
| Statt die Sprache zu ändern, kommt es auf materielle Gleichberechtigung an | |
| und darauf, darüber zu schreiben. So wurde der [3][Rechtsanspruch auf | |
| Kinderbetreuung] erkämpft, den es noch gar nicht so lange gibt. Er hat die | |
| Mütter erst in die Lage versetzt, ihre Karriere für die Kinder nicht an den | |
| Nagel hängen zu müssen. Oder die Möglichkeit für junge Frauen, Kinderphase | |
| und Studium zu verbinden: So können sie später Professor oder Chefredakteur | |
| werden. Die Schreibweise ist dann zweitrangig. | |
| Seit ein paar Jahren sehe ich mich mit meiner Haltung in der Defensive: | |
| Seitdem das * [4][auch gesprochen wird als Lücke]. In immer mehr Runden, | |
| vor allem von jungen Uni-Absolventen, wird dieser „Glottisschlag“ benutzt. | |
| ## Glottis-Schlag erzeugt beim Zuhörer Druck | |
| Ich finde das unpassend. Denn diese Lücke zu sprechen, erfordert eine hohe | |
| Konzentration, die man seinem Gegenüber nicht abverlangen sollte. Ich muss | |
| dann immer daran denken, wie ein Sprachheilpädagoge erklärte, dass man | |
| Kinder, die stottern, auf keinen Fall korrigieren darf, das würde das | |
| Stottern nur verschlimmern: „Denken Sie an einen Tausendfüßler, der all | |
| seine Beine benutzen kann. Sagen Sie dem, heben sie mal das 324. Bein, dann | |
| weiß er nicht mehr, wie es mit den anderen geht.“ | |
| Dieser Glottisschlag ist wie das 324. Tausendfüßlerbein. Es ist für viele | |
| Menschen eine Hürde, überhaupt vor einer Gruppe flüssig zu reden. Und dass | |
| viele Menschen frei sprechen können, ist auch ein emanzipatorisches Ziel! | |
| Dieses Vorsprechen neuer Sprachregeln hat auch etwas Schulmeisterliches. So | |
| à la: „Ich hab ja meine Vokabeln gelernt, und du?“ Und die Sprecher sind | |
| dabei überzeugt, gerade alles richtig zu machen. Aber sie erzeugen auch | |
| einen Anpassungsdruck bei etwas, das privat ist und bleiben sollte: das | |
| eigene Sprechen. | |
| Den Anlass für die [5][Hamburger Volksinitiative] gab der rot-grüne Senat, | |
| indem er 2021 seinen [6][Behörden und Ämtern empfahl, gendersensible | |
| Sprache zu nutzen]. Die zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) | |
| sagt nun laut dem Hamburger Abendblatt, dass sie niemandem „Vorschriften | |
| machen“ wolle, wie er schreibt oder spricht. Auch müssten, bevor Texte | |
| unverständlich sind oder Wortungetüme entstehen, „der Stern und der | |
| Doppelpunkt mit gesundem Menschenverstand eingesetzt werden“. Ja, was denn | |
| nun? Ab und an mal ein Doppelpunkt im Wort, und dann ist gut? Dann kann man | |
| es auch gleich lassen. | |
| Doch nun kriegen wir eine Volksinitiative und damit eine stadtweite | |
| Polarisierung. Und die CDU stellt sich auf die Straße, um Unterschriften | |
| gegen diese Sprachregeln zu sammeln. Damit nützt sie auch sich selbst, weil | |
| sie ein Thema für den nächsten Wahlkampf hat. Allerdings könnte sie dabei | |
| auch Stimmen verlieren – je nachdem welche Dynamik dieser Streit | |
| entwickelt. Zu Recht können sich ja nun auch jene gegängelt fühlen, die | |
| gern gendern. | |
| Die CDU vereinnahmt die Sache. Und ich wiederum werbe höchst ungern für die | |
| CDU, weil ich Teile ihrer Programmatik nicht gut finde, [7][zum Beispiel in | |
| der Sozial- und Bildungspolitik]. Ich bin nur im Bezug auf die Sprache | |
| konservativ, sonst aber immer noch links – und bei Verstand. | |
| 2 Feb 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.abendblatt.de/hamburg/article237508583/gendern-debatte-sternche… | |
| [2] /Angst-vor-Sprachvorschriften/!5903815 | |
| [3] /Kommentar-Kita-Volksinitiative/!5480335 | |
| [4] /Cis-und-trans-Frauen/!5813685 | |
| [5] https://vds-ev.de/aktionen/aufrufe/hamburger-volksinitiative-schluss-mit-ge… | |
| [6] https://www.hamburg.de/contentblob/15266014/bbbfd7425d6780879805ae34060d713… | |
| [7] /Hamburger-Vorwahlkampf/!5586204 | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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