# taz.de -- Park Chan-wooks „Die Frau im Nebel“: „Rache spielt eine wicht… | |
> Ein Kriminalbeamter, der freundlich auftritt: Im Interview erklärt der | |
> südkoreanische Regisseur Park Chan-wook, was ihn beim Filmemachen | |
> inspiriert. | |
Bild: Tang Wei und Park Hae-il spielen die Hauptrollen in diesem Krimi | |
Spätestens seit sein Militärthriller „Joint Security Area“ in der Heimat | |
mehr als sechs Millionen Besucher*innen anlockte und im Wettbewerb der | |
Berlinale zu sehen war, gilt Park Chan-wook als einer der ganz Großen im | |
südkoreanischen Kino. Für seinen neuen Film, „Die Frau im Nebel“, in dem | |
sich ein Kommissar in eine geheimnisvolle und womöglich verdächtige Witwe | |
verliebt, wurde der 59-Jährige im vergangenen Mai in Cannes mit dem | |
Regiepreis ausgezeichnet. | |
taz: Herr Park, zuletzt widmeten Sie sich mit dem [1][Film „Die | |
Taschendiebin“] oder der Serie „Die Libelle“ bevorzugt Romanadaptionen. | |
Was diente als Inspiration für Ihren neuen Film „Die Frau im Nebel“? | |
Park Chan-wook: Eine erste Inspiration war auch dieses Mal literarischer | |
Art. Schon als Schüler hatte ich zum ersten Mal begeistert einen Roman der | |
schwedischen Reihe „Roman über ein Verbrechen“ gelesen, über den | |
Polizeiermittler Martin Beck. Vor einigen Jahren wurde endlich auch der | |
Rest der Bücher ins Koreanische übersetzt und ich habe sie alle | |
verschlungen. Sie weckten in mir das Interesse, einen Film zu drehen mit | |
einem Kriminalbeamten als Protagonisten, der sanft und freundlich auftritt | |
und selbst Verdächtigen gegenüber rücksichtsvoll ist. Das ist ja im Kino | |
eher eine Seltenheit. Doch die Idee für den Film speiste sich am Ende auch | |
noch aus einer zweiten, musikalischen Quelle. | |
Nämlich welcher? | |
Das war ein Zufallsfund, als ich mal wieder eines meiner absoluten | |
Lieblingslieder überhaupt hörte, einen Song, dessen Titel übersetzt „Nebel… | |
heißt. Es wurde ursprünglich von Jung Hoon Hee gesungen, einer der | |
berühmtesten koreanischen Sängerinnen überhaupt, und ich hörte es schon in | |
meiner Kindheit. Ich suchte es auf Youtube und war aufs Neue hingerissen. | |
Aber danach schlug mir der Algorithmus eine Coverversion des gleichen | |
Liedes vor, die ich noch nicht kannte. Dabei wurde die von Song Chang-sik | |
gesungen, einem meiner liebsten Sänger. Der Text und die Stimmung des | |
Liedes ließen mich sofort an einen Liebesfilm denken, und sofort entstanden | |
Bilder vor meinem geistigen Auge, von einer Stadt im Nebel, großen Gefühlen | |
und dem Zusammenspiel dieser beiden verschiedenen Versionen des Songs, | |
weiblich und männlich. Aus all diesen Ideen wurde am Ende „Die Frau im | |
Nebel“. Am Ende nahmen dann Jung Hoon Hee und Song Chang-sik eine | |
gemeinsame Version des besagten Songs auf, extra für den Film. Dafür allein | |
hat es sich gelohnt, ihn zu drehen. | |
Berühmt wurden Sie nicht zuletzt mit „Sympathy for Mr. Vengeance“, | |
[2][„Oldboy“] und „Lady Vengeance“, Ihrer Rache-Trilogie. Interessiert … | |
inzwischen die Liebe mehr als die Rache? | |
Nicht generell. Rache spielt immer noch eine wichtige Rolle in vielen | |
meiner Geschichten, wenn ich so überlege, welche Stoffe alle schon in | |
meiner Schublade liegen. Aber dass „Die Frau im Nebel“ nun eine ganz andere | |
Art Film ist, war natürlich genau die Art Herausforderung, die mich | |
interessierte. Sich einfach darauf zu verlassen, was man gut kann und was | |
sich bewährt hat, ist mir auf Dauer zu simpel. Für „Die Frau im Nebel“ | |
wollte ich zu den fundamentalen Bestandteilen des Kinos zurückkehren, auf | |
Action und alles Ablenkende verzichten und das Publikum mit ganz schlichten | |
Mitteln von meiner Geschichte überzeugen. | |
Hatten Sie auch das Gefühl, das Publikum nach den schwierigen Jahren der | |
Pandemie vielleicht in Sachen Brutalität ein wenig verschonen zu wollen? | |
Das nun überhaupt nicht. Ich finde nicht, dass es die Aufgabe der Kunst | |
ist, die Menschen zu schonen, egal wie hart die Zeiten da draußen gerade | |
sind. Die Zartheit und Zurückhaltung, mit der ich bei diesem Film vorging, | |
verdankte sich eher der Tatsache, dass ich von meinem Publikum die volle | |
Aufmerksamkeit bekommen wollte. Mir geht es darum, die feinsten, subtilsten | |
Gefühlsveränderungen sichtbar zu machen – und dafür waren Feingefühl und | |
Reduzierung das A und O. | |
Sind Sie einverstanden, wenn man „Die Frau im Nebel“ in die Nähe des Film | |
Noir rückt? | |
Sagen wir es so: Ich sträube mich nicht dagegen. Und liebe gerade die | |
Neo-Noirs der goldenen Ära Hollywoods. Daran gedacht habe ich beim | |
Schreiben des Drehbuchs allerdings nicht bewusst. Ich hatte eher große | |
Liebesdramen im Sinn und empfahl meiner Ko-Autorin Jeong Seo-kyeong zum | |
Beispiel David Leans Film „Begegnung“ zur Inspiration. | |
Würden Sie eigentlich sagen, dass Sie mit Ihrer Arbeit auch immer etwas | |
über Korea erzählen wollen? | |
Nicht per se. Ich würde sagen, dass ich viele Filme gedreht habe, die | |
dezidiert auch etwas über die koreanische Gesellschaft oder ihre Geschichte | |
vermitteln wollten. „Joint Security Area“ zum Beispiel, aber auch „Sympat… | |
for Mr. Vengeance“, „Lady Vengeance“ oder „Die Taschendiebin“, wo es … | |
Zeit der japanischen Besetzung geht. Aber in anderen Filmen – von „Oldboy“ | |
über „Durst“ bis nun zu „Die Frau im Nebel“ – interessieren mich eher | |
fundamentale, universelle menschliche Emotionen und Bedürfnisse, die sich | |
sicherlich nicht auf Korea beschränken. | |
Das Interesse an koreanischen Geschichten ist dank „Parasite“ oder „Squid | |
Games“ größer denn je. Haben Sie dafür eine Erklärung? | |
Ich weiß gar nicht, ob es eine gibt. Aber sicherlich kommen da zwei Dinge | |
zusammen zu einer glücklichen Fügung. Einerseits ist die kreative Vielfalt | |
in Korea über die Jahre immer weiter gewachsen; es werden sehr | |
unterschiedliche Geschichten erzählt, die sich an verschiedene Gruppen von | |
Zuschauerinnen und Zuschauern richten. Andererseits scheint gleichzeitig im | |
Rest der Welt die Bereitschaft zu wachsen, sich anderen Kulturen gegenüber | |
zu öffnen und nicht nur Geschichten aus dem englischen Sprachraum zu | |
konsumieren. Selbst in den USA! | |
Die Presse schreibt spätestens seit „Parasite“ eine Art Konkurrenzkampf | |
zwischen Ihnen und Bong Joon-ho herbei. | |
Da muss ich immer lachen, denn wenn das wirklich ein Wettbewerb wäre, hätte | |
ich doch längst verloren. Von direkter Konkurrenz kann man da längst nicht | |
mehr sprechen. Aber sowieso ist das natürlich Quatsch, denn unsere Familien | |
kennen sich gut und wir haben viele gemeinsame Freunde. Rivalität gibt es | |
also keine. Im Gegenteil freue ich mich enorm, zu sehen, wie dieser | |
fantastische Regisseur, der aus der selben Stadt kommt wie ich, parallel zu | |
meiner Karriere ebenfalls Erfolge feiert. Tolle Filme von großartigen | |
Kollegen zu sehen, stimuliert meine Kreativität, sonst nichts. | |
Sie selbst inszenieren jetzt seit 30 Jahren Filme. Hat sich Ihre | |
Herangehensweise an den Beruf über die Zeit verändert? | |
Im Großen und Ganzen nicht, würde ich sagen. Ich bin mit der gleichen | |
Leidenschaft Regisseur, mit der ich es früher war, und auch bei der Wahl | |
meiner Stoffe beschäftigen mich die gleichen Leitfäden. Inhaltlich sind | |
meine Interessen breit gestreut, aber ich stelle mir bei jeder Idee die | |
beiden gleichen Fragen. Zunächst muss ich mir sicher sein, dass ich mir die | |
Prämisse – ganz gleich, ob sie einem Roman entstammt oder ich sie mir | |
ausgedacht habe – wirklich als Film vorstellen kann und auch ansehen würde. | |
Und dann ist natürlich auch entscheidend, ob ich mit dieser Geschichte | |
wirklich die zweieinhalb Jahre meines Lebens verbringen möchte, die es in | |
der Regel dauert, einen Film vorzubereiten und zu drehen. | |
Aber ist der Park Chan-wook, der „Oldboy“ gedreht hat, noch der gleiche, | |
der nun für „Die Frau im Nebel“ verantwortlich zeichnet? | |
Wenn Sie mich fragen: absolut. Ich bin älter geworden und habe neue | |
Erfahrungen gesammelt. Aber ich bin kein anderer als früher. Gleichzeitig | |
halte ich aber auch nicht viel davon, sich den Kopf zu zerbrechen über die | |
Psyche eines Künstlers. Natürlich kann man anhand ihrer Werke versuchen, | |
Kafka oder Hitchcock als Personen zu analysieren. Doch warum sollte man das | |
tun? Das raubt doch nur die Aufmerksamkeit, die man viel besser auf ihre | |
großartigen Arbeiten richten könnte. Im Zweifel zerbrechen Sie sich also | |
lieber den Kopf über meine Figuren als über mich. | |
1 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Heidmann | |
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