# taz.de -- Regisseur Chan-wook über Vampire: "Wir sehnen uns alle nach Rache" | |
> Der koreanische Filmemacher Park Chan-wook spricht über Religion und | |
> Gewalt, die Gier nach Blut und die Gier nach Sex, über seinen Film | |
> "Durst" – und was er von Alfred Hitchcock gelernt hat. | |
Bild: Durst. | |
taz: Herr Park, im klassischen Vampirfilm ist der Geistliche mit einem | |
Hammer und einem Pflock bewaffnet, den er dem Blutsauger ins Herz rammt, um | |
ihn auf immer und ewig zu eliminieren. In Ihrem Film geht das Böse hingegen | |
von einem Priester aus. Was hat Sie an dieser Rollenumschreibung | |
interessiert? | |
Park Chan-wook: Der Priester in meinem Film hat diesen Beruf gewählt, um zu | |
einem höchst ehrenwerten und ergebenen Menschen zu werden. Deshalb stellt | |
er sich für ein medizinisches Experiment zur Verfügung. Völlig unerwartet | |
wird er aber als Folge seiner ehrenwerten Absichten und Taten zum Vampir, | |
der nur durch das Blut anderer überleben kann. Welche Entscheidung trifft | |
er in dieser Situation, wie handelt er? Der Vampirismus ist eine | |
interessante Möglichkeit, einen solchen Gewissenskonflikt zu beschreiben. | |
Weil er seine moralische Überzeugung und seinen Glauben aufrechterhalten | |
muss, ist es für den Priester schwierig, sein Dasein als Blutsauger zu | |
akzeptieren, obwohl er nur als solcher weiterexistieren kann. Daraus | |
entstehen all seine Probleme und sein Leiden. Und als er sich | |
leidenschaftlich verliebt, gerät sein Weltbild vollends ins Wanken. | |
Ist es also die Frage nach der Moral, die Ihren Film von anderen | |
Vampirfilmen unterscheidet? | |
"Durst" fehlt die romantische Ebene von Klassikern wie "Nosferatu" oder | |
Coppolas "Bram Stokers Dracula". Weil ich den Akzent auf den moralischen | |
Verfall meines Helden gelegt habe, wird dem Genre alles Fantastische | |
genommen. Ich finde, dass es deshalb ein sehr realistischer Vampirfilm | |
geworden ist, der existenzielle Fragen aufwirft. Auch wenn Sang-hyun | |
verkündet, dass er kein Priester mehr sei, und das Kloster verlässt, kann | |
er niemals seinen Glauben über Bord werfen. So grübelt er immer weiter: Es | |
muss Gottes Wille sein, der mich zum Vampir gemacht hat, welche Absicht | |
steckt wohl dahinter? Und noch eine andere Überlegung beschäftigt ihn: Wenn | |
es unvermeidlich ist, dass ich Menschen töte, um zu überleben, ist ein Mord | |
dann gerechtfertigt oder nicht? Einfacher gesagt: Ist es richtig oder | |
nicht, dass ich mich schuldig fühle, wenn ich das Blut anderer trinke und | |
sie töte? Seine Geliebte, die Femme fatale, gibt den unmoralischen | |
Gegenpart. Für sie ist es in Ordnung, als Vampirin Menschen auszusaugen, so | |
wie man ja auch Tiere als Nahrung schlachtet. | |
Inwiefern lässt sich Ihr Film auch als kritische Auseinandersetzung mit der | |
Kirche verstehen? Jedenfalls spielen Sie auf der visuellen Ebene mit | |
christlicher Ikonografie. | |
Das stimmt. Einmal haben wir von einem Weinglas direkt zu einer | |
Großaufnahme des bluttriefenden Mundes geschnitten. Da denkt man natürlich | |
an den Wein beim christlichen Ritual. Es gibt mehrere solcher katholischen | |
Motive, denn schließlich wird in diesem Vampirfilm eine Geschichte von | |
Schuld und Erlösung erzählt. Am Anfang des Films ist häufig offener Raum, | |
das Freie zu sehen. An solchen Orten will der Priester den Menschen helfen | |
und durch Gebete etwas Gutes bewirken. Aber es gelingt ihm nicht. Seine | |
Hilflosigkeit wollte ich in großen Bildern darstellen, in denen er seltsam | |
verloren wirkt und die seine Isolation schon vorwegnehmen. Doch auch wenn | |
das Christentum in Korea gerade wieder an Bedeutung gewinnt, bin ich weder | |
an einer kritischen noch an einer realistischen Annäherung an den Klerus | |
interessiert. | |
Funktioniert "Durst" für Sie denn als Gesellschaftsmetapher? | |
Schon mit den Filmen meiner Rachetrilogie fühlte ich mich mehr von | |
mythologischen, grundlegenden, tieferen und prototypischen Geschichten | |
angezogen. Deshalb will ich mit "Durst" nicht unbedingt eine bestimmte | |
Facette der koreanischen Gesellschaft behandeln. Eher handelt es sich um | |
einen inneren moralischen Konflikt, um ein moralisches Dilemma, mit dem | |
sich jeder irgendwann einmal auseinandersetzen muss. Etwas Ähnliches wie | |
der Priester im Film fühlt, empfindet jeder in einer modernen Gesellschaft. | |
Sein Konflikt lässt sich auf andere Situationen übertragen: Zum Beispiel | |
auf einen Geschäftsmann, der es mit der Moral sehr genau nimmt: Dieser Mann | |
muss aus betriebswirtschaftlichen Gründen Mitarbeiter entlassen - will er | |
aber zugleich seine moralischen Grundsätze aufrechterhalten, dann müsste er | |
sehr leiden; er würde zerrieben zwischen seiner Moral und seiner Pflicht | |
als Geschäftsmann. In diesem Sinne ist mein Film dann doch ein Spiegel für | |
die Gesellschaft. | |
Auch das rigide Geschlechterverhältnis in Korea wird in "Durst" | |
aufgegriffen. Ihr Priester befreit eine junge, unterdrückte Frau aus den | |
Klauen ihrer Familie. | |
Ich habe diese Szenen aus einem Roman von Emile Zola übernommen. Die | |
Beziehung zwischen Tae-ju, ihrem Mann und der Schwiegermutter spiegelt das | |
familiäre Verhältnis im 19. Jahrhundert in Frankreich. Wenn Sie fragen, ob | |
sich das im Korea des 21. Jahrhunderts ähnlich verhält, dann könnte man das | |
vorsichtig bejahen. Tae-ju wird wie eine Haushälterin und sexuelle | |
Erfüllungsgehilfin behandelt. Es ist zwar in Korea nicht alltäglich, aber | |
auch nicht so selten, dass es für das Publikum nicht glaubwürdig wäre. Der | |
Konflikt zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter ist immer noch ein | |
beliebter Stoff für Seifenopern im Fernsehen. Das ist der feudalistische | |
Rest innerhalb koreanischer Familien. | |
Inwiefern ist der Priester ein Seelenverwandter Ihrer Helden und Heldinnen | |
aus der Rachetrilogie? | |
Sie sind alle Getriebene. In "Durst" verbindet sich die Gier nach Blut mit | |
der Gier nach Sex, letztlich geht es um Lebens- und Überlebensgier. Aber | |
ist Rache nicht letztlich auch ein Trieb, so wie die Sexualität und der | |
Überlebenswille? Haben wir nicht alle Sehnsucht nach Rache? Als Fantasie | |
hat sie eine sehr stimulierende Wirkung. Wir brauchen also diese | |
Vorstellung für unsere geistige Gesundheit, aber wir dürfen sie nicht | |
ausüben, denn als Realität ist sie furchtbar. Andererseits wird das | |
Bedürfnis nach Rache immer größer, wenn wir ihm nicht nachgeben. Das ist | |
eine höchst dramatische Konfliktsituation. | |
Der Rache- und der Überlebenswille machen Ihre Helden zu Marionetten und zu | |
Kreaturen ihrer Triebe. Diesen Prozess zeigen Sie meistens sehr drastisch. | |
In "Old Boy" werden Zähne mit einer Zange ausgebrochen und Fingernägel in | |
Großaufnahme ausgerissen. In "Durst" werden Menschen wie Schlachtvieh | |
aufgehängt, die Tonspur ist ein fast unerträgliches Schmatzen und Saugen. | |
Was die Darstellung von Gewalt im Kino betrifft, gibt es für mich zwei | |
Punkte: ob das Publikum durch gewalttätige Szenen eine Katharsis erfährt | |
und ob es die Gewalt ästhetisch schön findet. Ich denke, dass ich - auf | |
welche Weise auch immer - beides vermeiden möchte. Allerdings bin ich | |
selber manchmal bei Filmen anderer Regisseure begeistert, wenn gewalttätige | |
Szenen eine kathartische Wirkung haben, und manchmal bewundere ich die | |
Schönheit solcher Szenen. Aber wenn ich Gewalt auf solche Art in meinen | |
Filmen einsetzen würde, dann hätte ich ein schlechtes Gewissen. Ich | |
schildere Gewalt, um Leiden und Angst zu beschreiben. Um die Angst vor der | |
Gewalt und um das Leiden, das auf Gewalt folgt, darzustellen, drehe ich | |
gewalttätige Szenen. Es werden nicht nur Körper zerstört, sondern auch die | |
Humanität. Was durch gewalttätiges Handeln ruiniert wird, ist nicht nur das | |
Opfer, sondern auch der Täter. Darum sind die Gewaltszenen in meinen Filmen | |
so schmerzhaft und rufen ein schlechtes Gewissen hervor. | |
Mit unserem schlechten Gewissen hat auch Alfred Hitchcock immer gearbeitet. | |
Der Regisseur, der Sie zum Kino gebracht hat. | |
Ich wollte zwar schon seit der Pubertät, also seit dem Gymnasium, Regisseur | |
werden, aber ich dachte, dass nicht jeder einfach Regisseur werden könne, | |
sondern nur besondere Menschen - solche, die Führungspersönlichkeit | |
besitzen oder ein "tough guy" sind. Darum habe ich mich nicht getraut. Dann | |
habe ich als Philosophiestudent "Vertigo" gesehen und bin diesem Film total | |
verfallen. Ich empfand das starke Bedürfnis, mich mit dem künstlerischen | |
Medium zu beschäftigen, das ein solches Werk hervorbringt. Wie Hitchcock | |
mache auch ich Filme, die von den dunklen Seiten der Menschen handeln. Ich | |
beschreibe die Monster, die tief in unserem Inneren lauern. Doch was ich | |
von Hitchcock gelernt habe, ist, wie wichtig es ist, diese Düsternis mit | |
Humor zu verbinden. | |
15 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Anke Leweke | |
## TAGS | |
Kino | |
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