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# taz.de -- Neues Stück der Neuköllner Oper: Piraten, Fürsten, Popmusik
> Mit dem Stück „Radioland“ folgt die Neuköllner Oper der unglaublichen
> Geschichte eines Piratensenders. Alles begleitet von einer Pilzkopfband.
Bild: Ein Hauch von britischer Exzentrik, ein Hauch Las Vegas: Szene aus „Rad…
Die Geschichte der Mikronation Sealand ist so irre, dass man sich wundert,
sie noch nie verfilmt gesehen zu haben. Nun versucht die Neuköllner Oper
mit „Radioland“ aus dem Stoff einen Theaterabend mit ordentlich vielen
Musical-Elementen zu drechseln. Text und Regie übernahm [1][Fabian
Gerhardt.]
Verarbeitet wird die wahre Historie eines spleenigen ehemaligen Majors der
Britischen Armee, Patrick Roy Bates, der gegen die Nazis gekämpft hatte und
sich seit 1967 Fürst Roy nennen ließ, Herrscher eines selbsternannten, nur
ein paar Quadratmeter großen Staates vor der Küste Englands. Erst versuchte
er Mitte der Sechziger auf einer der Seefestungen, die die British Army
während des Zweiten Weltkriegs auf Plattformen in der Nordsee errichtet
hatte, um deutsche Militärflugzeuge abzuwehren, einen Piratensender zu
betreiben.
Damit war er nicht der Einzige zu dieser Zeit, die BBC spielte da noch
keine Popmusik, vor allem weil sie mit der Musikergewerkschaft im Clinch
lag.
Auf Schiffen tuckerten damals Piratensender außerhalb britischer
Hoheitsgewässer herum, um DJs genau diese Pop-Platten auflegen zu lassen
und dabei Werbeeinnahmen zu kassieren. Auf die hatte es auch Bates
abgesehen.
## Konkurrenz für die BBC
Er übernahm mit seiner Familie eine weitere dieser ehemaligen Seefestungen,
noch weiter entfernt von der Küste, weil er sich so sicherer vor Sanktionen
der Behörden glaubte. Doch dann begann auch die BBC, endlich die Musik der
Stones, der Beatles und all der anderen Beat- und Rockbands zu spielen.
Gleichzeitig ging das Vereinigte Königreich stärker gegen die Piratensender
vor. Die DJs legten nun lieber auf dem Festland auf, anstatt mühsam auf die
trostlose Plattform der Bates-Familie in der Nordsee zu schippern und sich
von Dosenessen ernähren zu müssen.
Und die paar Bewohner der Insel auf Betonstelzen mussten jederzeit damit
rechnen, von der Wasserpolizei besucht zu werden. Doch sie wehrten sich,
verwiesen darauf, sich außerhalb des britischen Hoheitsgebietes zu
befinden, und erklärten kurzerhand, der Obrigkeit des unabhängigen
Fürstentums Sealand zu unterstehen. Das bekam mit den Jahren eine eigene
Verfassung, Briefmarken, Währung und natürlich eine Nationalflagge. Und es
existiert heute noch.
Dieser verrückten Geschichte entsprechend bunt ist das Stück „Radioland“
inszeniert. Auf der Bühne liefert eine siebenköpfige Band, deren Mitglieder
allesamt Sixties-Pilzkopf-Perücken tragen, eine fast permanente
Sounduntermalung, arrangiert und komponiert von Christopher Verworner und
Misha Cvijović.
Die Handlung selbst wird auf eine Plattform vor der Bühne verlegt, die die
echte Seefestung nachahmt. Es wird viel gesungen, auch mal opernhaft. Fürst
Roy wird von Stefanie Dietrich verkörpert, seine Gattin hingegen von dem
Schauspieler Meik van Savern. Warum dieses Crossdressing? Wahrscheinlich um
noch deutlicher zu zeigen, dass man kein bierernstes Historiendrama
entwerfen wollte.
## Es geht um die Kohle
Dabei werden die realen Ereignisse durchaus stimmig nacherzählt. Für
genügend Konfliktpotenzial ist gesorgt. Papa Bates möchte mithilfe windiger
Geschäftsideen endlich wieder Kohle in seinem Fürstentum verdienen. Während
Tochter Penny den revolutionären Geist, der einst zur kuriosen
Staatsgründung geführt hat, konservieren möchte. Gleichzeitig ist da auch
diese gähnende Langeweile. Nichts los hier, nur die Möwen kreisen.
Bis dann der halbseidene Hermann Ze German aufaucht, als Deutscher zu
erkennen an seiner Trachtenlederhose und den Tennissocken unter den
Sandalen. Der unterbreitet Fürst Roy im Auftrag eines gewissen Alexander
Gottfried Achenbach den Vorschlag, auf Sealand eine Art Las Vegas auf
hoher See zu errichten. Und ist dann Teil eines Coup d'Etats: Die
Deutschen wollen Sealand einfach übernehmen und kidnappen Sohn Michael.
Kaum zu glauben: Aber auch diese Episode hat sich wirklich zugetragen.
Beinahe hätten diese Deutschen, Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, doch noch
vor Englands Küste etwas erobert. Doch die Übernahme misslang und Sealand
war wieder frei.
Der utopische Wunsch nach Freiheit hat zu Sealand geführt und dessen
Schicksal geprägt. Diese etwas naive Sichtweise wird in „Radioland“ dann
doch zu penetrant verbreitet. Das echte Sealand war und ist letztlich kein
Ort der Freiheit. Fürst Roy hat aus ihm eine konstitutionelle Monarchie
gemacht. Und bis heute versuchen seine Nachkommen, unbedingt Geld mit ihrer
Mikronation zu verdienen. Aktuell mit dem Verkauf von Adelstiteln, die
eigentlich nichts wert sind.
Wohin der Wunsch führen kann, endlich nur noch seinen selbst gemachten
Gesetzen folgen zu wollen, kann man letztendlich an den derzeitigen
Auswüchsen der Reichsbürgerszene sehen.
31 Jan 2023
## LINKS
[1] /Die-Fleisch-an-der-Neukoellner-Oper/!5699843
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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