# taz.de -- „Romeo und Julia“ Musical in Berlin: Liebe, Tod und Weichspüler | |
> Das neue Musical im Theater des Westens heißt „Romeo und Julia“. Es ist | |
> eine Show voll Herzschmerz und vielen Schlagermomenten zum Mitklatschen. | |
Bild: Paul Csitkovics als Romeo sinkt vor lauter Liebe öfter in die Knie | |
Bevor „Romeo & Julia – das Musical“ beginnt, verspricht eine tiefe | |
Männerstimme aus dem Off, dass man in den nächsten drei Stunden jede Menge | |
„Liebe, Sex und Tod“ erleben wird. Das Publikum johlt und mit Krawumm | |
startet die Musical-Maschine durch. Von null auf hundert in nur wenigen | |
Sekunden. | |
Eine halbe Stunde vorher trifft man auf den „Romeo & Julia“-Fanclub vor dem | |
Theater des Westens in Berlin, in dem das neue Musical von nun an seinen | |
festen Platz haben wird. Eine Frau strahlt über beide Ohren, dass sie es | |
noch rechtzeitig zur zweiten Preview geschafft hat. Sie sei auch schon bei | |
der ersten Preview gewesen, und die war: „Ganz, ganz toll!“ Der Fanclub | |
habe vorab sogar Flyer verteilt, um auf die neue Produktion aufmerksam zu | |
machen, erzählt eine andere stolz. Und: Dass ihr Club aus dem „Ku’damm | |
56“-Fanclub hervorgegangen sei. So hieß das Vorgänger-Musical im Hause, das | |
eine Adaption der erfolgreichen [1][gleichnamigen ZDF-TV-Serie] war. | |
Im Foyer sieht man erwartungsfreudige Paare in Abendgarderobe. Für | |
Hardcore-Fans gibt es „Romeo & Julia“-Tassen, Schlüsselanhänger und Socke… | |
Auf der Sitzlehne klebt ein QR-Code, über den man auf den dazugehörigen | |
Soundtrack zugreifen kann. | |
Hinter der Musik stecken, wie schon bei „Ku’damm 56“, die Musikproduzenten | |
[2][Peter Plate] und Ulf Leo Sommer. Plate werden viele als den männlichen | |
Part der Deutschpop-Band Rosenstolz kennen. Deren sentimentaler Song „Liebe | |
ist alles“, der an diesem Abend sein Revival feiert, sei auch die | |
Inspirationsquelle für die neue Produktion gewesen, heißt es im | |
Pressematerial. | |
## Emotionen blinken elektrisch | |
„Romeo & Julia“ gehört wie „König der Löwen“ zum Repertoire des | |
[3][Unterhaltungs-Giganten Stage Entertainment.] Die günstigsten Tickets | |
kosten 49,90 Euro. Doch anders als in Hamburg, wo man von den aufwendigen | |
Tierkostümen und Kulissen geflasht ist, geht es in Berlin eher | |
ressourcenschonend zu. Das Bühnenbild besteht aus einem riesigen Balkon. | |
Und wenn es emotional wird, schweben Glühbirnen von der Decke. | |
Die Kostüme sehen aus wie in einem Walt-Disney-Film: Frauen tragen | |
bonbonfarbene Prinzessinnenkleider, Männer kleine, aufwendig bestickte | |
Torerojacken. Gesprochen wird die originale Shakespeare-Übersetzung von | |
Schlegel, wie man sie auch als Reclamheft zu kaufen bekommt. Und so mischt | |
sich alte, artistische Sprache mit neuer, nun ja, einfacherer. | |
Anders als erwartet sieht man kein dramatisches Degenduell der verfeindeten | |
Familien Capulet/Montague, sondern bloß ein paar Boys und Girls, die sich | |
vorsichtig ihre Shaolin-Stöcke gegen die Brust halten. Viele der | |
Choreografien wirken wie aus der Retorte. Hier ein bisschen Beyoncé-Power, | |
da ein bisschen barocker Formationstanz mit der obligatorischen | |
Schwanenkopf-Hand. | |
Manche der Songs scheinen aus einem einzigen Refrain zu bestehen, dazu viel | |
künstliche Soundfläche, 4/4-Takt. Ohne wirklichen Übergang folgen | |
Rapnummern auf Liebesduette und Operettengesang. Wie im Fernsehgarten | |
klatscht das Publikum trotzdem begeistert mit. Als Romeo (Paul Csitkovics) | |
einen Klimmzug am Balkongeländer macht, um seiner Julia (Yasmina Hempel) | |
noch näher zu sein, entweicht einer Zuschauerin ein „Wow“. Romeo und Julia | |
sind auch wirklich ein süßes Paar, und sie können singen, vor allem Julia, | |
und schauspielern können sie auch ganz okay. | |
## Julia benimmt sich wie Ronja Räubertochter | |
Csitkovics sieht ein wenig aus wie der junge Antonio Banderas und Hempel | |
benimmt sich wie Ronja Räubertochter, was natürlich cool ist, aber auch ein | |
bisschen berechnend, weil man damit auch das junge, urbane, auf | |
Geschlechterklischees eher sensibel reagierende Publikum zu erreichen | |
gedenkt. Doch dass man da jetzt eine junge, schöne Frau ein bisschen | |
aufmüpfig sein lässt, ist auch nicht der Bringer in Sachen | |
Gleichberechtigung. | |
Denn: „Manchmal steckt der Teufel im Detail“, wie es in einem Song so schön | |
heißt. Genauer gesagt in der Darstellung von Julias Amme (Steffi Irmen), | |
die in einem wirklich hochgeschlossenen und mit alberner Kappe versehenen | |
Kostüm herumlaufen muss und so als unattraktive „Alte“ degradiert wird, die | |
sich mit zwar toller Stimme, aber hohlen Worten über ihre Wechseljahre | |
beschweren muss. Beim Großteil des Publikums kommt das dennoch gut an. Es | |
liebt die Amme, ihre aufopferungsvolle Mütterlichkeit, das | |
Rundum-sorglos-Paket. | |
Der vielleicht größte Clou des Produzenten-Duos ist der dazuerfundene | |
schwule Mercutio (Nico Went), der heimlich in Romeo verliebt ist. Und dann | |
kommt er doch noch, der richtig tolle Moment, als der Countertenor Nils | |
Wanderer in einem divenhaften Federgewand als Tod auftritt und mit seiner | |
überirdisch hohen Stimme eine wunderbare Arie singt. | |
## „In dieser Zeit / Wer will da jung sein?“ | |
Schief gehen hingegen die Kommentare zur Weltlage. „In dieser Zeit / Wer | |
will da jung sein?“ klingt arg nach Boomer-Fatalismus. Das Lied über den | |
Horror des Krieges ist erschreckend simpel. Ebenso wie die „In guten wie in | |
schlechten Zeiten“-Rhetorik, die der Originaltext natürlich vorgibt, die | |
hier aber vollkommen ungebrochen weitergesponnen wird. | |
Die einzige Sexszene findet unter der Bettdecke statt und kurz vor der | |
Dolchszene geht das Licht aus. Dieses Musical können Säuglinge ebenso | |
gucken wie CSU-Wähler und überanstrengte Großstadt-Singles, die noch einmal | |
an die große Liebe glauben wollen. Ach. | |
21 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Anna Fastabend | |
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