# taz.de -- Faeser und Giffey in Neukölln: Die Feuerlöscherinnen | |
> Nach der Silvesterrandale besuchen die Innenministerin und Berlins | |
> Regierende eine Feuerwache. Sie suchen auch in eigener Sache die | |
> Offensive. | |
Bild: Nancy Faeser und Franziska Giffey bei einem Pressestatement in der Feuerw… | |
BERLIN taz | Es sei ihr ums Zuhören gegangen, sagt Nancy Faeser. Aber | |
natürlich geht es am Freitagmorgen in der Neuköllner Feuerwache auch um | |
Bilder. Kurzfristig hat die Bundesinnenministerin den Termin anberaumt und | |
die Presse eingeladen, wenige Tage nach der [1][Silvester-Randalenacht], | |
die auch und vor allem in [2][Neukölln] tobte. Berlins Bürgermeisterin | |
Franziska Giffey steht nun ebenso in der Feuerwache, dazu Innensenatorin | |
Iris Spranger und Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel. Alle vier sind sich | |
einig: Es habe eine neue Dimension der Gewalt stattgefunden, die Folgen | |
haben müsse. | |
Nach einem internen Gespräch mit den Neuköllner Feuerwehrleuten stehen die | |
Politiker:innen vor Mikrofonen vor einem Feuerwehrwagen, der laut | |
Feuerwehr in der Silvesternacht auch mit Böllern beschossen wurde. Es sei | |
„tief beeindruckend“ gewesen, was die Einsatzkräfte berichtet hätten, sagt | |
Faeser. „Widerwärtige“ Gewalt sei ihnen in der Silvesternacht | |
entgegengeschlagen. Dass Feuerwehr und Polizei in Hinterhalte gelockt | |
wurden, sei „wirklich eine neue Qualität“. | |
Auch Giffey spricht von einer „Zäsur“. Selbst gestandene Feuerwehrleute | |
hätten berichtet, sie hätten erstmals Angst im Einsatz gehabt. Sie seien | |
mit Böllern und Raketen attackiert worden, einigen hätten | |
Schreckschusspistolen ins Gesicht gehalten bekommen. „Das Ende der Geduld | |
ist mehr als überschritten“, sagt Giffey. „So ein Silvester darf es nicht | |
noch einmal geben.“ Aber, so betont die Sozialdemokratin: Die Nacht sei nur | |
„die Spitze des Eisbergs“. Der Werteverfall und die Respektlosigkeit | |
gegenüber den Einsatzkräften sei auch an anderen Tagen sichtbar. | |
## Polizei und Feuerwehr sehen neue Gewaltintensität | |
Tatsächlich war es längst [3][nicht das erste Silvester], an dem es in | |
Berlin Ausschreitungen gab. Und es gab diese zum Jahreswechsel auch in | |
weiteren Städten. Vor allem aber aus [4][Neukölln verbreiteten sich | |
Handyvideos] bundesweit. Und im Anschluss sprachen auch die Berliner | |
Polizei und Feuerwehr von einer neuen Intensität der Gewalt, die nicht mit | |
den Vorjahren zu vergleichen sei. | |
Laut ihren Angaben wurden in der Nacht an diversen Orten Einsatzkräfte | |
angegriffen, mit Schwerpunkt Neukölln. 15 Feuerwehrleute seien verletzt | |
worden und 18 Polizeikräfte. Von den 145 vorübergehend Festgenommenen seien | |
94 jünger als 25 Jahre gewesen und 45 Deutsche, dazu 27 Afghanen, 21 Syrer. | |
Der Rest besitze 15 weitere Nationalitäten. Die Vorwürfe betreffen | |
allerdings nicht nur Angriffe auf Einsatzkräfte, sondern auch | |
Landfriedensbruch, Betäubungsmitteldelikte oder Verstöße gegen das | |
Waffengesetz. | |
Für Faeser und Giffey sind die Ereignisse und die losgetretene Debatte | |
durchaus heikel. Giffey befindet sich [5][mitten im Wahlkampf zur | |
Wiederholungswahl] in Berlin am 12. Februar – in dem nun vor allem CDU und | |
AfD auf das Thema Sicherheit setzen, welche die Landesregierung angeblich | |
nicht in den Griff bekommt. Giffey war zudem von 2015 bis 2018 | |
Bürgermeisterin in Neukölln, hatte damals also Mitverantwortung für die | |
Lage im Bezirk, dessen Probleme zu Silvester wieder sichtbar wurden. | |
Faeser wiederum wird als [6][Spitzenkandidatin für die hessische | |
Landtagswahl] im Herbst gehandelt, Anfang Februar wird die Entscheidung | |
verkündet. Auch sie arbeitet an ihrem Profil, setzte zuletzt auf | |
Law-and-Order-Töne. So kündigte sie der [7][Organisierten und | |
„Klan“-Kriminalität] den Kampf an, forderte die | |
[8][Vorratsdatenspeicherung], liebäugelte mit der Chatkontrolle. Und | |
erklärte nun, nach der Silvesternacht, das Problem seien „gewaltbereite | |
Integrationsverweigerer“, konkret „bestimmte junge Männer mit | |
Migrationshintergrund, die unseren Staat verachten“. Denen müsse man „mit | |
harter Hand und klarer Sprache“ Grenzen aufzeigen. | |
Faeser wiederholt dies auch in der Feuerwache. Man müsse klar benennen, um | |
wen es sich bei den Tätern handelt, sagt die Innenministerin. Viele seien | |
Jugendliche mit Migrationshintergrund gewesen. „Das zu verschweigen, ist | |
nicht richtig.“ Gleichzeitig dürfe die Debatte politisch nicht missbraucht | |
werden, warnt Faeser. Denn auch die Leidtragenden der Gewalt in Neukölln | |
seien ja zumeist Migranten. Zuletzt hatten Kritiker:innen indes auch | |
Faeser vorgeworfen, mit ihrer Wortwahl Ressentiments zu schüren. | |
## „Größtenteils in Berlin aufgewachsene Jugendliche“ | |
Giffey äußert sich zurückhaltender. Die Migrationsfrage helfe nicht weiter, | |
betonte sie in den Vortagen. Denn bei den Tätern handele es sich „offenbar | |
größtenteils um in Berlin geborene und aufgewachsene Jugendliche“. Auch in | |
der Feuerwehrwache betont Giffey, es gehe um Brennpunkte, in denen seit | |
Jahren Probleme bestünden und wo man nun „deutlich konsequenter“ agieren | |
müsse. Faeser weist auf taz-Nachfrage zurück, dass sich ihre Analyse von | |
der Giffeys unterscheide. Es gehöre beides dazu, entgegnet sie: Es gehe | |
sowohl um soziale Brennpunkte als auch um migrantische Jugendliche. | |
Einigkeit besteht jedenfalls in den Forderungen. Giffey wie Faeser | |
plädieren für schnellere und deutliche Strafen für die Täter – eine | |
[9][Erhöhung des Strafrahmens] brauche es nicht, dieser müsse nur | |
ausgeschöpft werden. Dazu müssten auch Präventionsangebote verstärkt | |
werden. Giffey will kommende Woche zudem einen Gipfel gegen Jugendgewalt | |
einberufen. Man dürfe keine „Strohfeuerdiskussion“ führen, die folgenlos | |
bleibe, sagt sie. Faeser kündigt zudem ein Verbot freiverkäuflicher | |
Schreckschusswaffen an, was ins [10][ohnehin geplante Paket der | |
Waffenrechtsreform] komme. | |
Parallel erarbeitet Faesers Ministerium derzeit ein bundesweites Lagebild | |
über die Silvesternacht. Bis kommende Woche sollen die Länder dazu ihre | |
Erkenntnisse vorgelegt haben. Die Frage ist, ob die Debatte dann nicht | |
wieder eine andere Wendung nehmen müsste. Denn zumindest bei der jüngsten | |
Statistik über die bundesweiten Angriffe auf Polizist:innen im Jahr | |
2021 waren die Tatverdächtigen zwar auch zu 84 Prozent männlich, aber zu 69 | |
Prozent über 25 Jahre alt – und zu 70 Prozent deutsch. | |
6 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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