| # taz.de -- Integrationsbeauftragte über Silvester: „Es geht um abgehängte … | |
| > Bei der Debatte über Gewalt an Silvester sei der Fokus auf ethnische | |
| > Herkunft falsch, sagt die Berliner Integrationsbeauftragte Katarina | |
| > Niewiedzial. | |
| Bild: Soziale Sprengkraft: Ein ausgebrannter Reisebus in der Sonnenallee | |
| taz: Frau Niewiedzial, in Berlin gab es in der Silvesternacht besonders | |
| heftige Angriffe auf Polizei und Feuerwehr. Seither wird hitzig über | |
| Migration diskutiert – der CDU-Politiker Jens Spahn etwa sprach von | |
| „gescheiterter Integration“. Aus Ihrer Sicht [1][als Berliner | |
| Integrationsbeauftragte]: Ist das der richtige Fokus? | |
| Katarina Niewiedzial: Eindeutig nein. Die Gewalt an Silvester geht auf eine | |
| Gruppe randalierender Jugendlicher zurück. Diese verurteile ich auf | |
| Schärfste. Aber wer das zu einem „Ausländerthema“ machen will, dem sei | |
| gesagt: 1,4 Millionen Menschen in Berlin haben einen sogenannten | |
| Migrationshintergrund, das sind 38 Prozent der Bevölkerung. Wir tun dieser | |
| großen Gruppe Unrecht, wenn wir sie in Gänze stigmatisieren und | |
| kriminalisieren. | |
| Laut Polizei gab es unter den Festgenommenen 18 Nationalitäten. Etwa ein | |
| Drittel waren Deutsche, dann folgten Afghanen und Syrer. Was sagen diese | |
| Zahlen aus? | |
| Grundsätzlich spiegeln die Zahlen relativ unaufgeregt die | |
| Bevölkerungszusammensetzung in Berlin wider. Hier leben Menschen aus 190 | |
| Nationen friedlich zusammen. Deswegen sollte nicht die ethnische, sondern | |
| die soziale Herkunft in den Blick genommen werden. Es geht um | |
| [2][abgehängte Jugendliche] – und zwar um unsere Jugendlichen. Jetzt zu | |
| signalisieren: „Ihr gehört nicht dazu“, ist das völlig falsche Signal. Was | |
| wir stattdessen brauchen, ist eine Debatte darüber, wie eine Bildungs-, | |
| Sozial- und Arbeitsmarktpolitik aussehen muss, die auf eine | |
| Migrationsgesellschaft ausgerichtet ist. | |
| Also ist es doch ein Migrationsthema? | |
| Nicht insofern, dass Migration ein Problem ist. Aber es ist nun mal Fakt, | |
| dass Jugendliche mit Migrationsgeschichte häufiger von Unterrichtausfall | |
| betroffen sind, keinen Schulabschluss haben und daher auch keine berufliche | |
| Perspektive bekommen. Die Startbedingungen in unserer Gesellschaft sind | |
| ungleich verteilt. Wir müssen darüber reden, in welchen sozialen Realitäten | |
| und mit welchen Rassismuserfahrungen Menschen in unserer Stadt aufwachsen. | |
| Und genau da müssen wir ansetzen. | |
| Die Täter haben gezielt Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr | |
| angegriffen. Was sagt das aus über ihr Verhältnis zum deutschen Staat? | |
| Die Botschaft hinter den Angriffen lautet: Wir gehören nicht dazu. Es ist | |
| enorm wichtig, darauf als Staat nicht einzig und allein mit | |
| Law-and-Order-Politik zu reagieren. Als Berliner Beauftragte für | |
| Integration und Migration treibt mich die Frage um, wie wir es schaffen in | |
| einer von Migration geprägten Gesellschaft, Brücken zu bauen, mehr | |
| Teilhabe zu ermöglichen und strukturellen Rassismus abzubauen. | |
| Über welche Bereiche sprechen wir da? | |
| [3][Die Situation in den Berliner Schulen zum Beispiel ist katastrophal] – | |
| gerade in den sozial benachteiligten Stadtteilen und Regionen. Es fehlt an | |
| neuen Schulgebäuden, technischer Ausstattung und mehr Personal, das die | |
| Lebensrealitäten der jungen Menschen besser versteht. Es muss uns gelingen, | |
| den jungen Menschen eine berufliche Perspektive zu geben. Das heißt: | |
| Schulabschluss, Ausbildungs- oder Studienplatz. | |
| Was hat das konkret mit Zugehörigkeit zu tun? | |
| So gut wie jedes zweite Kind hier in Berlin hat eine familiäre | |
| Migrationsgeschichte. Im Unterricht kommt das aber, wenn überhaupt, im | |
| Ethikunterricht vor. Ich stelle mir vor, ich sei eine Jugendliche und mein | |
| Leben spielt in der Schule gar keine Rolle – das macht etwas mit einem. | |
| Das meine ich mit den zielgenauen Lösungen: Präventions- und | |
| Bildungsarbeit muss in sozial benachteiligten Stadtteilen deutlich besser | |
| ausgestattet werden. Es kann nicht sein, dass gerade dort die Ressourcen | |
| immer am Limit sind, dass Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen | |
| immer am Limit sind. Genau dort müssen wir investieren – weil wir die | |
| Jugendlichen eben nicht als verloren aufgeben dürfen. | |
| 5 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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