# taz.de -- Ausstellung im Düsseldorfer Kunstverein: Zwischen Albtraum und Voy… | |
> Die Kunst des Autodidakten Matthias Groebel liegt an der Schnittstelle | |
> von Malerei und Medienkunst. Sie entwickelt den Sog des alten Privat-TV. | |
Bild: Matthias Groebel, „A Change in Weather (Broadcast Material 1989–2001)… | |
Eine junge blonde Frau starrt ins Nichts und kaut selbstvergessen am | |
kleinen Finger ihrer rechten Hand. Ein Mann trägt eine karnevalistische | |
Schweinsmaske, ein muskulöser Mann im weißen T-Shirt eine giftgrüne Maske, | |
die dem Sport dient oder auch dem Fetisch. Ein Mann mit weichem Gesicht und | |
strähnig schwarz gefärbtem Haar schaut aus dick mit Kajal umrahmten Augen | |
auffordernd aus dem Bild heraus, ein grobkörniger Bildausschnitt zeigt eine | |
Frau mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegend, den Mund leicht | |
geöffnet, dahinter schemenhaft der nackte Oberkörper eines Mannes. Eine | |
Sexszene? | |
Im immer gleichen quadratischen Format 95 mal 95 Zentimeter reiht Matthias | |
Groebel im Düsseldorfer Kunstverein irritierende, zugleich bekannt und | |
fremd anmutende Acrylbilder zu kleineren und größeren Arrangements. | |
Zusammenhängende Geschichten erzählen sie nicht. Jedes Bild präpariert | |
einen scheinbar zufällig gewählten Moment heraus, allein im Kopf der | |
Betrachtenden fügen sie sich eher zu einer Ahnung als zu einer Geschichte | |
zusammen. | |
In seiner Ausstellung „A Change in Weather (Broadcast Material 1989–2001)“ | |
zeigt Groebel [1][überwiegend Porträts, die aus größeren Bildern] | |
herausgeschnitten scheinen. Die anonymen Protagonisten stammen aus der | |
Hochphase des analogen TV, als sich die Privatkanäle vermehrten und in | |
rauen Mengen Reality- und Trash-Formate produzierten. | |
Matthias Groebel ist im Hauptberuf Apotheker und als Künstler Autodidakt. | |
Nach ersten Versuchen in der abstrakten Malerei verlor er das Interesse | |
daran, wollte aber auch mit den damals aktiven Jungen Wilden sich nicht | |
anfreunden. Und er erfand – inspiriert ausgerechnet von einer Konstruktion | |
der Spielzeugfirma Fischertechnik – in den 1980er Jahren eine neue | |
Druckmethode, mit der er erstmals Stills von Fernsehbildern direkt auf die | |
Leinwand bringen konnte; rund zehn Jahre, bevor die ersten Plotter auf den | |
Markt kamen. Die Fernseh-Wellensignale übersetzte er in digitale Pixel und | |
übertrug diese per Airbrush in langen, wiederholten und präzis gesteuerten | |
Arbeitsgängen auf die Leinwand. | |
## Flirrende Bilder | |
Auf diese Weise entstehen flirrend lebendige Bilder, die im kollektiven | |
Gedächtnis der älteren Semester jenes bläuliche Flimmern des | |
Röhrenfernsehers wieder aufrufen, das eine völlig andere, porösere Qualität | |
hatte als heutige Digitalbilder. Groebels Leinwanddrucke übernehmen das | |
Material der Fernsehbilder dabei nicht rein mechanisch und eins zu eins, er | |
entscheidet über Bildausschnitte, Wahl der Farben, Intensität und Dichte | |
des Auftrags, stellt damit die eigene Manipulation des in sich schon | |
manipulativen Mediums Fernsehen zur Diskussion. Das macht seine Bilder | |
unwirklicher und surrealer als das Ausgangsmaterial. | |
Die so virtuos bearbeiteten und zugleich roh wirkenden Bilder liegen an | |
einer Schnittstelle von Malerei und Medienkunst. Und sie weisen weit | |
darüber hinaus. Denn sie reflektieren nicht nur die düsteren Seiten, | |
[2][ja, das Unbewusste des alten Mediums Fernsehen], sondern greifen voraus | |
auf die milliardenfach angeschwollene Flut privater und öffentlich | |
gemachter Bilder der Beobachtung und Selbstinszenierung auf den heute noch | |
viel präsenteren, vielfältigeren Bild-Kanälen von Internet, Pay-TV und der | |
Streaming-Dienste. | |
Groebel denkt auch sehr grundsätzlich über das uralte Medium der Malerei | |
nach, darüber, was das Auge der Betrachtenden aus optischen Informationen | |
macht. „Sehen ist denken“ schreibt der abstrakte Maler Jerry Zeniuk und | |
stellt damit die „Arbeit“ des Auges und des Bewusstseins dar, aus optischen | |
Informationen wie Kontur und Farbe Bilder zu „errechnen“. | |
Was sowohl für die Täuschung des alten Kinos (stark beschleunigt ablaufende | |
Standbilder simulieren Bewegung) als auch für die flimmernden Signale des | |
Röhrenfernsehers sowie für Groebels Bilder gilt, bei denen das Auge die | |
Signal-Löcher und Leerstellen auf der Leinwand bereitwillig „füllt“. (Ganz | |
anders als bei heutigen digitalen Bildern, die bei schlechter Verbindung zu | |
groben Pixeln zerbröseln, sonst aber ungleich kompakter sind.) | |
Groebels monströser Apparat ist in der Schau nicht zu sehen, nur seine | |
stets quadratischen Leinwände. Auf ihnen wirken die beim Druckverfahren und | |
seiner Nachbearbeitung noch verstärkte Unschärfe der TV-Bilder | |
abstrahierend und zugleich intensivierend. | |
Die oft mehrdeutigen, unklaren, aber meist intimen Momente, in denen | |
selbstvergessene Menschen von der Fernsehkamera festgehalten wurden, | |
entwickeln auf Groebels Reproduktionen eine sogartige Faszination. Es | |
entsteht ein Gefühl von beruhigender Zufälligkeit des großen medialen | |
Rauschens. Aber auch ein raunender [3][David-Lynch-Effekt] zwischen | |
surrealem Albtraum und Voyeurismus. | |
23 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Regine Müller | |
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