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# taz.de -- Ende des Kopenhagener Restaurants „Noma“: Küchenschluss
> Nach zwanzig Jahren kündigt der Chef das Ende des „besten Restaurants der
> Welt“ an. Eine Entscheidung, die viel über die Gastrobranche aussagt.
Bild: Küchenchef René Redzepi 2011 mit strengem Blick auf das 500-Euro-Essen
Es rechne sich einfach nicht mehr. So erklärt René Redzepi, Mitgründer und
Chef des Noma in Kopenhagen, auf der Webseite des Restaurants und [1][in
der New York Times] dessen Schließung – oder besser gesagt Transformation –
zum Ende des Jahres 2024. Es sei trotz Menü-Preisen von rund 470 Euro
exklusive Getränken nicht möglich, allen Mitarbeiter*innen faire Löhne
zu zahlen und erfolgreich zu wirtschaften. Daher werde sich das Lokal zu
einem kulinarischen Experimentallabor weiterentwickeln, das sich der
Entdeckung neuer Geschmackshorizonte widmen möchte.
Drei Sterne, zahlreiche Auszeichnungen als „bestes Restaurant der Welt“ von
verschiedensten Restaurantführern, mehrere Publikationen und popkultureller
Einfluss über die Grenzen des eigenen Lokals hinaus: [2][Redzepi und sein
Noma] waren nicht nur ein Gastronomiebetrieb, sondern ein Phänomen.
Gemeinsam mit Mitgründer Claus Meyer entwickelte Redzepi das Konzept der
„New Nordic Cuisine“ mit einem Fokus auf lokale, saisonale Küche, dem
Sammeln von Wildkräutern und anderen Zutaten und Techniken wie Fermentation
und Haltbarmachung.
Damit bildeten sie einen Gegenpol einerseits zur klassischen Spitzenküche
mit deren Fokus auf ausgewählte Spitzenzutaten, die auch gerne eigens
eingeflogen werden, aber auch zum Chemiebaukasten Molekularküche mit ihren
Schäumchen, Spheren und Kügelchen.
Es liegt auch am Noma, dass heute auch in Berlin oder Hamburg kaum ein
Spitzenrestaurant ohne Erzählung von der engen Bindung zu den
Landwirt*innen auskommt, dass die althergebrachte Technik der
Fermentation zum globalen Küchentrend geworden ist und Pilzesammeln zum
angesagten Herbsthobby genussaffiner Großstadtbewohner*innen geworden
ist.
## Wiedergeburt als „Experimentallabor“
Sollte derart allumfassender Einfluss nicht ausreichen, um die Rechnungen
zu bezahlen? Die Wahrheit ist leider komplexer.
Zum einen könnte man die Entscheidung, das Ende des Restaurants und seine
Wiedergeburt als „Experimentallabor“ als Marketingentscheidung verstehen.
Denn auch in Zukunft als „noma 3.0“, wie Redzepi die nächste
Entwicklungsstufe des Restaurants nennt, wird es weiterhin die Gelegenheit
geben, dort zu essen. Doch die jetzt schon raren Tische, die man Monate im
Voraus reservieren muss, werden noch stärker eingeschränkt.
Redzepi kündigte Pop-ups an verschiedenen Orten der Welt sowie
unregelmäßige Veranstaltungs- und Dinnerreihen im Kopenhagener
Hauptquartier an. Hinzu kommt höchstwahrscheinlich das lukrative Geschäft
privater Essen und Catering für gutbetuchte Gäste. Die weitere Limitierung
des Zugangs dürfte auch mit einer Steigerung des Preises einhergehen.
Die Entwicklung zu einer Art Testküche ermöglicht es zudem, noch stärker
globale vermarktbare Produkte zu entwickeln. Dass es das kann, hat das Noma
bereits 2018 mit einem eigenem Fermentationshandbuch bewiesen. Im
vergangenen Herbst erschien ein Hybrid aus Kochbuch und Kreativratgeber
namens „Noma 2.0“.
Wie man mit solchen Produkten ein ganzes Imperium schaffen kann, hat
Fernsehkoch Jamie Oliver bereits bewiesen. Auch wenn es eher
unwahrscheinlich ist, dass in naher Zukunft „Noma“-Pestos und Tomatensaucen
ins Supermarktregal einsortiert werden. Weitere Bücher oder digitale
Workshops sind durchaus vorstellbar, denn Redzepi hat in seiner Ankündigung
auch erwähnt, ihre Arbeit zugänglicher denn je zu machen.
## Pandemie und steigende Kosten
Die Entscheidung, das Noma als Restaurant zu schließen, ist also aus
Marketingperspektive nachzuvollziehen. Doch ausschlaggebender dürften
andere Punkte gewesen sein: die Struktur der Spitzengastronomie als solche
sowie die Probleme, denen der Gastronomiesektor durch Pandemie und
steigende Kosten ausgesetzt ist.
Bei Preisen im mittleren dreistelligen Segment pro Person ist es kaum
vorstellbar, dass Fine Dining am wirtschaftlichen Minimum operiert. Doch
der Arbeitsaufwand und die damit zusammenhängenden Personalkosten lassen
Spitzenküche zu einem wenig profitablen Geschäft werden. Gerade wenn, wie
im Fall des Noma, auch eigener Anbau und eine permanente Weiterentwicklung
Teil der Unternehmensphilosophie sind.
Die Küche ist ein heftiges Geschäft. [3][Serien wie „The Bear“] oder Filme
wie die Gesellschaftssatire „The Menu“, aber auch die über zwanzig Jahre
alten Küchenmemoiren von Anthony Bourdain zeigen das virulente Problem von
Machtmissbrauch in Küchen. Der äußert sich nicht nur in einem harschen und
oftmals auch abwertenden Umgangston, sondern auch in körperlichen
Übergriffen, sexualisierter Gewalt und weit verbreitetem
Substanzmissbrauch. Hinzu kommen geringe und teilweise auch gar keine
Entlohnung.
## Unbezahlte Praktis waren die Regel
Auch das Noma führte erst im vergangenen Herbst ein Gehalt für
Küchenpraktikant*innen ein, zuvor wurden nur Unterstützung für das
Erlangen des nötigen Arbeitsvisums gewährt. Bis dahin waren unbezahlte
Praktika an der Tagesordnung und sind es auch heute noch in vielen
vergleichbaren Betrieben. Diese Praktikant*innen sind üblicherweise
ausgebildete Köch*innen, die einen reibungslosen Küchenbetrieb erst
ermöglichen und für die ein Praktikum im Noma oder einem der anderen
weltweit führenden Restaurants ein Karrierebooster sein kann. Allerdings
einer, für den sie selbst aufkommen müssen.
Die Entscheidung, nach zwanzig Jahren endlich auch diese Arbeitskräfte zu
entlohnen, hat laut New York Times die laufenden Kosten des Noma um 50.000
Dollar monatlich erhöht. Ein Kostenfaktor, der vielleicht im Normalbetrieb
noch aufzufangen wäre, doch die Pandemie und die aktuellen weltweiten
Kostensteigerungen haben ihre Spuren in der Gastronomie hinterlassen.
Während Pandemiezuschüsse und Wirtschaftshilfen zahlreichen Unternehmen
halfen, die Lockdowns zu überstehen, führt ein Mix aus Personalmangel,
geringerer Kauffreude beim Publikum und rapide gestiegener Kosten zu
wirtschaftlichen Herausforderungen für viele Betriebe.
Die deutsche Branchenvereinigung Dehoga etwa spricht von einem
„Krisen-Cocktail“, der sowohl Gäste wie auch Gastgeber*innen
verunsichere. Auch international zeigt sich Unsicherheit: Im reichen
Kalifornien etwa berichtet der San Francisco Chronicle von einer richtigen
Schließungswelle in der gehobenen Gastronomie.
Ganz so weit geht die Entscheidung des Noma nicht und auch muss dort
voraussichtlich niemand um seine Existenz fürchten. Doch die Entscheidung
des einflussreichen Gastrotempels zeigt, dass die Probleme der Branche
niemanden unberührt lassen. Auch das „beste Restaurant der Welt“ nicht.
12 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.nytimes.com/2023/01/09/dining/noma-closing-rene-redzepi.html
[2] /Gehobene-Kueche/!5104770
[3] /Neue-Serie-The-Bear-auf-Disney/!5882343
## AUTOREN
Aida Baghernejad
## TAGS
Restaurant
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Skandinavien kommen.
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