# taz.de -- Streit im US-Repräsentantenhaus: Partei ohne Machtzentrum | |
> Die Schlammschlacht rund um die Wahl des Sprechers des | |
> US-Repräsentantenhauses offenbart den desolaten Zustand der | |
> Republikanischen Partei. | |
Bild: Kämpft um die Macht im Repräsentantenhaus: Republikaner Kevin McCarthy | |
BERLIN taz | Paul Krugman, prominenter liberaler Kolumnist der [1][New York | |
Times], schreibt es offen: „Ich gebe es zu: Wie viele andere Liberale fühle | |
ich einen guten Teil MAGAfreude – die Selbstzerstörung der amerikanischen | |
Rechten macht ein bisschen Spaß.“ Dass die republikanische | |
Mehrheitsfraktion im US-Repräsentantenhaus bis zum Redaktionsschluss auch | |
[2][nach elf Wahlgängen] nicht in der Lage war, einen Nachfolger der | |
Demokratin Nancy Pelosi als Speaker of the House zu wählen, ist ein | |
unfassbares politisches Spektakel. 20 Abgeordnete aus dem rechten Spektrum | |
lehnten den bisherigen Minderheitsführer Kevin McCarthy ein ums andere Mal | |
ab. | |
Völlig unabhängig davon, ob und unter welchen Umständen dieser Tage | |
irgendein Deal zustande kommt, der die Wahl eines Speakers ermöglicht und | |
damit das Repräsentantenhaus überhaupt erst arbeitsfähig macht, wirft die | |
Revolte ein Licht auf den Zustand der republikanischen Partei der USA. | |
Offenkundig ist: Die Partei hat kein strategisches Machtzentrum mehr. | |
Dass die beiden großen US-Parteien anders funktionieren als etwa Parteien | |
in Europa, ist zwar nichts Neues. In einem Wahlsystem, in dem es keine | |
Zweitstimmen und keine Listenwahlen gibt, sondern ausschließlich | |
Direktkandidat*innen, die noch dazu in Vorwahlen ermittelt werden, haben | |
Parteigremien jeglicher Art schon immer weniger Einfluss gehabt. Allerdings | |
konnten sie über Geldmittel auf Wahlkämpfe Einfluss nehmen und so auch | |
Disziplin und Loyalitäten herstellen. | |
Seit die Regelungen der Wahlkampffinanzierung allerdings Spenden an | |
Parteien begrenzen, solche an die sogenannten Political Action Comittees | |
aber nicht, ist diese Einflussmöglichkeit der Parteiführungsstrukturen | |
weitgehend weggefallen. | |
## Der Trumpismus hat sich verselbstständigt | |
Spätestens zur Zeit der Obama-Regierung begann mit dem Aufstieg der rechten | |
[3][Tea Party] und ihrer [4][Einflussnahme auf Wahlkämpfe] und | |
Kandidatenauswahl die Vereinnahmung der Republikanischen Partei durch | |
radikale Kräfte. Deren Ziel war und ist es bis heute nicht, möglichst | |
umfangreich politische Vorstellungen umzusetzen – sondern der | |
hochideologische Kampf gegen „Washington“ und „den Sumpf“. Der Aufstieg | |
Donald Trumps zum Kandidaten 2016 wurde so möglich – die Zeit seiner | |
Präsidentschaft hat den Zerstörungsprozess der Partei noch weiter | |
vorangetrieben. | |
Aber auch Trump, mindestens bis zu den verlorenen Präsidentschaftswahlen | |
2020 [5][unangefochtener De-facto-Chef der Republikaner], sieht sich heute | |
nicht in der Lage, den Aufstand der 20 Abgeordneten zu bändigen. Trump | |
verbreitete nach den ersten drei gescheiterten Wahlgängen am vergangenen | |
Mittwoch eine Unterstützungserklärung für McCarthy, verbunden mit der | |
Aufforderung, ihn zu wählen. | |
Nun war die für Trumps Verhältnisse harmlos und halbherzig formuliert – | |
keiner der Rebellen wurde mit einem abwertenden Spitznamen bedacht, niemand | |
wurde beschimpft. Aber dass die Intervention verpuffte, ohne eine einzige | |
Stimme zu verändern, hatte dann doch kaum jemand erwartet. Der Trumpismus | |
hat sich verselbstständigt. | |
Denn auch das ist eine Lehre aus dem Chaos rund um die Speakerwahl: Wer in | |
der heutigen republikanischen Partei und Öffentlichkeit einen Stich machen | |
will, muss provozieren, laut sein und sich vollkommen kompromissunwillig | |
geben. | |
## Erpressungsmethoden jetzt auch nach innen | |
Die [6][20 Abtrünnigen, die noch nicht einmal eine gemeinsame politische | |
Agenda eint], sondern persönliche Ambitionen und die ebenfalls persönliche | |
Abneigung gegen McCarthy, erleben dieser Tage, wie ihnen Zugeständnisse | |
angeboten werden, von denen andere, stillere, loyalere Abgeordnete nur | |
träumen können. Merke: Agiere verantwortungslos, und du wirst etwas | |
gewinnen. | |
Auch das ist zwar für die Republikaner nicht ganz neu, denn schon 1994 | |
stürzte der damalige republikanische Speaker Newt Gingrich die | |
Clinton-Regierung in die tagelange Zahlungsunfähigkeit, um so Abstriche bei | |
verschiedenen staatlichen Sozialprogrammen zu erreichen. | |
Und in Barack Obamas Regierungszeit geriet jede einzelne Abstimmung über | |
die routinemäßige Erhöhung der [7][Schuldenobergrenze] zu einer | |
Auseinandersetzung auf Leben und Tod, weil die Republikaner stets | |
irgendwelche Forderungen mit ihrer Zustimmung verbanden. | |
Jetzt wenden die Rebellen die gleiche Taktik nach innen an – was das für | |
das Regieren in den nächsten zwei Jahren heißt, ist kaum auszumalen. | |
6 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nytimes.com/2023/01/05/opinion/america-kevin-mccarthy-great.html | |
[2] /Machtkampf-bei-den-US-Republikanern/!5907121 | |
[3] /Politikwissenschaftler-ueber-die-Tea-Party/!5034891 | |
[4] /Vorwahlen-in-den-USA/!5040342 | |
[5] /die-erklaerung/!5893460 | |
[6] /Republikaner-im-US-Repraesentantenhaus/!5907025 | |
[7] /Haushaltsstreit-in-den-USA/!5057341 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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