| # taz.de -- Netflix, Youtube, Amazon und Co: Wer zahlt fürs Netz? | |
| > Videostreaming beansprucht viel Bandbreite. Sollen die Anbieter deshalb | |
| > für den Netzausbau zahlen? Diese Debatte steht nun in der EU an. | |
| Bild: Videostreaming macht einen guten Teil der Bandbreite aus: Netzwerkkabel i… | |
| 1. In der EU steht eine Lobbyschlacht bevor. Worum geht es? | |
| Die Frage, die zur Debatte steht, ist brisant, denn sie berührt eine der | |
| Grundfesten des Internets: Sollen die Anbieter von Inhalten, wie Netflix, | |
| Youtube, Disney+ oder Amazon zahlen dafür, dass sie große Datenmengen durch | |
| die Netzinfrastruktur durchleiten? Dahinter stehen grundsätzliche Fragen: | |
| Mit wessen Geldern soll die Infrastruktur des Internets finanziert werden? | |
| Ist sie mittlerweile so wichtig wie das Strom- oder Straßennetz? Und, | |
| entscheidend für die Nutzer:innen: Dürfen Netzanbieter wie die Telekom oder | |
| Vodafone zahlungswillige Anbieter von Inhalten bevorzugen? | |
| Anfang des Jahres will die EU-Kommission eine öffentliche Konsultation | |
| starten. Also einen Prozess, bei dem zivilgesellschaftliche Gruppen, | |
| Unternehmen und Bürger:innen Stellungnahmen abgeben dürfen. | |
| 2 Woher kommt bislang das Geld für den Netzausbau? | |
| Aktuell gilt in Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern: Für | |
| die Infrastruktur – also den Netzausbau und -erhalt – zahlen zum einen die | |
| Kunden mit ihren Internettarifen. Zum anderen gibt es regional, national | |
| [1][und auch von der EU] verschiedene Fördertöpfe für den Breitbandausbau. | |
| 3 Warum gibt es Widerstand gegen die Idee, die Inhalteanbieter zur Kasse zu | |
| bitten? | |
| Weil es damit für Telekom und Co attraktiv würde, die Netzneutralität zu | |
| verletzen. Netzneutralität bedeutet, dass die Netzanbieter alle | |
| Datenpakete, die durch das Internet geschickt werden, gleich behandeln. | |
| Also nicht etwa eine Datenart (zum Beispiel Videodaten) bevorzugen oder | |
| benachteiligen, genauso wenig wie einzelne Dienste. Verletzungen der | |
| Netzneutralität können unterschiedlich aussehen. Eine ist das Zero-Rating: | |
| Dabei bietet ein Anbieter von Netzen, also beispielsweise Vodafone oder | |
| Telekom, auch Inhalte an – zum Beispiel einen Videodienst. Streamt eine | |
| Nutzerin Filme über diesen Dienst, werden diese nicht auf ihr Datenvolumen | |
| angerechnet. Das macht es für die Kundin attraktiver, Videos über diesen | |
| Dienst statt über einen anderen zu streamen. | |
| 4 Wie würde sich das Internet ohne Netzneutralität verändern? | |
| Wenn die Netzanbieter nicht alle Inhalte gleich behandeln müssen, können | |
| sie die bevorzugen, die ihnen mehr Geld einbringen. Würden also | |
| beispielsweise Netflix, Amazon und das zum Google-Konzern Alphabet | |
| gehörende Youtube zahlen, aber kleine unabhängige Videoplattformen nicht, | |
| wären die zahlungskräftigen Dienste im Vorteil. Denn ihre Videos würden | |
| schneller bei den Nutzer:innen ankommen – bei anderen könnte der Stream | |
| ruckeln oder aussetzen. Netzanbieter könnten sie sogar gezielt ausbremsen. | |
| Sie könnten außerdem eigene Dienste anbieten und diese bevorzugen, wie beim | |
| Zero-Rating beschrieben. Alle diese Varianten würden die mächtigeren | |
| Unternehmen gegenüber kleinen oder neuen Anbietern bevorzugen. | |
| Befürworter:innen der Netzneutralität sehen diese daher auch als einen | |
| Faktor, der Innovation begünstigt. | |
| 5 Wer will, dass die Inhalteanbieter zahlen? | |
| Die Netzanbieter lobbyieren seit Langem dafür, dass die Inhalteanbieter | |
| zahlen sollen. [2][Einen größeren Anlauf starteten sie Ende 2021]: In einer | |
| Erklärung von 13 Anbietern aus mehreren europäischen Ländern forderten | |
| diese, dass die „großen Technologieplattformen auch einen angemessenen | |
| Beitrag zu den Netzkosten leisten“. Die Telekom und andere Anbieter | |
| kritisieren ein Ungleichgewicht: Die Tech-Konzerne, die Inhalt | |
| bereitstellen, würden immer größere Datenmengen durch das Netz pumpen. Doch | |
| die Einnahmen derer, die diese Infrastruktur bereitstellen, sänken. Im | |
| Vergleich 2021 zu 2013 seien die Umsätze für Telekommunikationsunternehmen | |
| von 265 Milliarden Euro auf 242 Milliarden Euro zurückgegangen. Tatsächlich | |
| machen Videos, je nach Schätzung, 60 bis 80 Prozent des weltweiten Traffic | |
| aus. Wobei paradoxerweise auch die Netzanbieter ein Interesse daran haben, | |
| dass es interessante und datenintensive Inhalte gibt: Sonst würden | |
| Nutzer:innen keine schnellen – und teuren – Internettarife buchen. | |
| 6 Was sagen die Gegner des Vorschlags? | |
| Zunächst mal, dass die Inhalteanbieter sich bereits jetzt am Netzausbau | |
| beteiligen. So hat eine [3][Studie] des US-Marktforschungsinstituts Mason | |
| untersucht, wie viel Netflix, Google und andere zwischen 2011 und 2021 in | |
| die Netze investiert haben. Das Ergebnis: In dem Zeitraum seien es fast 900 | |
| Milliarden US-Dollar gewesen. Das Geld fließe zum Beispiel in Seekabel, in | |
| Rechenzentren und Knotenpunkte. Auch die Bürgerrechtsorganisation | |
| Electronic Frontier Foundation (EFF) kritisiert die Forderung. | |
| „Netznutzungsgebühren sind ein Trick der größten Netzanbieter, um Einkommen | |
| aus Monopolen zu erzielen, den Wettbewerb auszuschalten und ihre | |
| monopolistische Macht weiter zu festigen.“ | |
| 7 Welches Ziel verfolgt die EU? | |
| Die verschiedenen Gremien und Vertreter senden widersprüchliche Signale. | |
| Eine Auswahl: Im Mai plädierten die Mitgliedstaaten dafür, dass die | |
| Inhalteanbieter zahlen müssen. Noch im selben Monat hielt der | |
| Industrieausschuss des EU-Parlaments, der in dieser Frage federführend ist, | |
| dagegen – mit Verweis auf die Netzneutralität. Die EU-Kommissarin für | |
| Digitales, Margrete Vestager, hat sich wiederum für Netzentgelte | |
| ausgesprochen. Binnenmarktkommisar Thierry Breton [4][antwortete jedoch – | |
| im Namen der EU-Kommission – auf eine parlamentarische Anfrage des | |
| SPD-Abgeordneten Tiemo Wölken]: „Es versteht sich jedoch von selbst, dass | |
| ein solcher Mechanismus keinesfalls gegen den etablierten Grundsatz und | |
| die Regeln der Netzneutralität verstoßen sollte.“ Das klingt allerdings | |
| deutlicher, als es ist: Breton schreibt „sollte“, nicht „darf“. | |
| 8 Was wäre eine Alternative, um mehr Geld für den Netzausbau zur Verfügung | |
| zu haben? | |
| Zum Beispiel eine Digitalsteuer. „Eine Digitalsteuer hätte vor allem den | |
| Vorteil, dass die Einnahmen an den Staat gehen“, sagt Tiemo Wölken der taz. | |
| Damit unterlägen die eingenommenen Gelder der Kontrolle des Gesetzgebers – | |
| und nicht kommerziellen Interessen von Unternehmen. Der französische | |
| Netzbetreiber Orange beispielsweise habe bereits angekündigt, eingenommene | |
| Netzgebühren nicht zwingend für den Ausbau der Infrastruktur einzusetzen. | |
| Eine Steuer ließe sich zudem an anderen Kriterien festmachen als dem | |
| Datenvolumen. Etwa am Umsatz von Unternehmen. Das hätte den Vorteil, dass | |
| zum Beispiel kleine oder neu gegründete Unternehmen, die noch geringe | |
| Umsätze haben, aber datenintensive Dienste anbieten, weniger belastet | |
| würden. | |
| 28 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://digital-strategy.ec.europa.eu/de/library/eu-funding-broadband-2021-… | |
| [2] /Debatte-ueber-den-Netzausbau/!5817153 | |
| [3] https://www.incompas.org/Files/2022%20Tech%20Investment/FINAL%20Analysys%20… | |
| [4] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/P-9-2022-003784-ASW_DE.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
| ## TAGS | |
| Internet | |
| Netzausbau | |
| Plattformökonomie | |
| wochentaz | |
| Streaming | |
| Internet | |
| Netflix | |
| Internet | |
| TikTok | |
| Netzsicherheit | |
| Internet | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Vorwürfe gegen Telekom: Beschwerde gegen Zwei-Klassen-Internet | |
| Verbände werfen der Telekom vor, gezielt Engpässe im Netz auszunutzen, um | |
| von Inhalteanbietern Geld zu verlangen. Der Konzern widerspricht. | |
| Gelder für den Netzausbau: Klingt nur fair | |
| Es wäre ein Fehler, Streaming-Dienste für den Netzausbau zahlen zu lassen. | |
| Die großen Player gewännen an Marktmacht – zulasten der Vielfalt. | |
| EU will Kosten für Internetausbau regeln: Auf Geldsuche fürs Netz | |
| Die EU-Kommission will den Internet-Ausbau beschleunigen und gern auch | |
| Dienste wie Netflix zahlen lassen. Nun dürfen die Bürger:innen mitreden. | |
| Krise der Big-Tech-Konzerne: Wie wär’s mal mit Lösungen? | |
| Tech-Konzerne wie Meta sind in der Krise, weil ihnen nichts Disruptives | |
| mehr einfällt und sie neue Probleme schaffen. Es ist Zeit für eine neue | |
| Generation von Gründer:innen. | |
| Infrastruktur in Deutschland: Dezentralität schützt | |
| Die Infrastruktur muss resilienter gegen Angriffe werden. Durch die | |
| Digitalisierung sind die Gefahren und Schwachpunkte aber noch größer | |
| geworden. | |
| Pläne zum Breitband-Ausbau: Digital vorwärtskommen | |
| Digitalminister Wissing plant mit der Telekommunikationsbranche, wie der | |
| Netzausbau vorankommen soll. Die Länder müssen mitziehen. |