# taz.de -- Katalanische Unabhängigkeitsbestrebungen: Das Ende vom „Aufstand… | |
> Der Aufstandsparagraf wurde gegen die Organisatoren des katalanischen | |
> Unabhängigkeitsreferendum 2017 angewandt. Jetzt wurde er abgeschafft. | |
Bild: Verschschwisterung in katalonischer und spanischer Fahne bei einer Demons… | |
MADRID taz | Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez versprach immer | |
wieder, „den politischen Konflikt in Katalonien aus den Gerichten zurück | |
auf die politische Bühne“ zu holen. Am Donnerstag war es dann soweit. Die | |
Linksregierung aus Sozialisten und Linksalternativen legte auf einer | |
Dringlichkeitssitzung des spanischen Parlaments eine umstrittene Reform des | |
Strafgesetzbuchs zur Abstimmung vor. | |
184 Abgeordnete stimmten für, 64 gegen die Abschaffung des | |
Straftatbestandes des „Aufstands“ und eine Abschwächung der Strafen für d… | |
„Veruntreuung öffentlicher Gelder“. Ein Abgeordneter enthielt sich. Die | |
oppositionelle konservative Volkspartei (PP) und die rechtsextreme Vox | |
stimmten aus Protest nicht ab. | |
Was bisher „Aufstand“ genannt wurde, [1][wird zu „schwerer öffentlichen | |
Unordnung“], für die es statt 15 Jahren Haft nur noch 5 Jahre geben wird. | |
Damit will die Regierung „das Delikt des Aufstandes durch einen | |
Straftatbestand (…) ersetzen, den andere europäische Demokratien ebenfalls | |
kennen“. Wer im Amt öffentliche Gelder für etwas ausgibt, für das sie nicht | |
vorgesehen waren, ohne dabei sich oder andere persönlich zu bereichern, | |
wird künftig nur noch mit maximal vier statt acht Jahren Haft, sowie sechs | |
Jahren Verbot der Ausführung öffentlicher Ämter statt bisher 10 bestraft. | |
Nach der Abhaltung eines von Madrid untersagten Unabhängigkeitsreferendums | |
2017 waren neun katalanische Politiker und Aktivisten zu Strafen von bis zu | |
13 Jahre wegen eben dieser beiden Delikte verurteilt worden. Mehrere im | |
Exil lebende katalanische Politiker, unter ihnen der ehemalige | |
Regierungschef der autonomen Region, [2][Carles Puigdemont], werden von der | |
spanischen Justiz ebenfalls deswegen gesucht. | |
## Sánchez: „Riskante Entscheidungen“ | |
Doch weder Deutschland, noch Schottland oder Belgien lieferten die | |
Betroffenen aus. Der Grund: Die dortigen Richter wollen in einer | |
friedlichen Volksabstimmung einfach keinen „Aufstand“ sehen. Mehreren | |
Dutzend katalanischen Beamten droht ein Verfahren wegen Veruntreuung. Sie | |
sollen geholfen haben, das Referendum mit öffentlichen Gelder zu | |
organisieren. | |
„Wir haben uns dafür entschieden, Katalonien vor Spannungen und | |
Konfrontationen zu befreien, um wieder Koexistenz und Harmonie zurück zu | |
bringen. Ich weiß, dass es riskante Entscheidungen sind, aber es gibt | |
keinen anderen Weg“, erklärte Sánchez am Wochenende vor der Abstimmung auf | |
einer Parteiveranstaltung in Barcelona. Bei der Abstimmung im Parlament war | |
er nicht anwesend. Sánchez weilte in Brüssel auf einem [3][EU-Gipfel]. | |
Die konservative Partido Popular, die rechtsextreme Vox, sowie die | |
rechtsliberalen Ciudadanos stört genau das. Sie sehen in der Reform ein | |
Geschenk an die katalanische Unabhängigkeitsbewegung und eine Gefahr für | |
die verfassungsmäßige Ordnung. „Es kann nicht hingenommen werden, dass mit | |
Verbrechern die Strafe vereinbart wird“, beschwerte sich | |
PP-Fraktionssprecherin Cuca Camarra. Sánchez würde seine Wähler und die | |
Demokratie verraten, fügte sie hinzu und verlangte vorgezogene Neuwahlen. | |
Die PP hatte zuvor versucht die Parlamentssitzung mit Hilfe eines | |
Eilantrags vor dem Verfassungsgericht zu stoppen, weil die Gesetzreform | |
sowie eine ebenfalls zu Abstimmung stehende Änderung des Wahlsystems für | |
Verfassungsrichter verfassungswidrig sei. Das Gericht folgte dem Antrag | |
aber nicht und vertagte sich auf Montag. | |
Das Verfassungsgericht und andere hohe richterliche Ämter müssten | |
eigentlich längst erneuert werden. Doch die PP weigert sich seit vier | |
Jahren die Neubesetzung – wie in der Verfassung vorgesehen – mit der | |
Regierung auszuhandeln und sichert sich so das Fortbestehen einer | |
konservativen Mehrheit in den Gerichten. Der Eilantrag brachte der PP den | |
Vorwurf ein, mit Hilfe der Verfassungsrichter gegen das Parlament putschen | |
zu wollen. | |
## Kritik aus den eigenen Reihen | |
Doch auch in den eigenen Reihen stehen nicht alle hinter der Abschaffung | |
des Aufstandsparagraphen durch Sánchez. „Wir befinden uns mitten in einer | |
Zeit der steigenden Preise und das einzige, was billiger wird, ist der | |
Angriff auf die Verfassung“, schimpft etwa der sozialistische | |
Regierungschef der zentralspanischen Region Castilla-La Mancha, Emiliano | |
García-Page. | |
Außerdem unterzeichneten rund 400 Personen, darunter ehemalige führende | |
Sozialisten, Richter und Intellektuelle, ein Manifest gegen die neuen | |
Artikel des Strafgesetzbuches. Sie werfen Sánchez vor, „einen Anreiz für | |
den Verstoß gegen die Verfassung“ zu schaffen. | |
16 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Katalanische-Unabhaengigkeitsbestrebungen/!5894580 | |
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[3] /Beschluesse-beim-EU-Gipfel/!5903020 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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