# taz.de -- Spanisches Gesundheitssystem in Krise: Vor dem medizinischen Kollaps | |
> In Notfall- und Grundversorgungszentren streiken Ärzte. Die konservative | |
> Landesregierung hat das öffentliche Gesundheitswesen stark ausgedünnt. | |
Bild: Protest gegen den Personalmangel im Gesundheitssystem in Madrid am 7. Nov… | |
Madrid taz | In der spanischen Hauptstadtregion Madrid streiken die Ärzte. | |
Seit Montag sind die Mediziner in den 78 nächtlichen Notfallzentren im | |
Ausstand. Das gleiche gilt für das Personal in einem Krankenhaus in einem | |
nördlichen Vorort und ab kommendem Montag wollen die mit den deutschen | |
vergleichbaren Hausärzte (Centros de Atención Primaria de Salud) auch ihr | |
Stethoskop und den Rezeptblock niederlegen. „Die Unzufriedenheit ist groß. | |
Wir haben in den harten Monaten der Covidpandemie 2020 alles gegeben, doch | |
jetzt wollen wir zurück zur Normalität“, sagt die Familienärztin und | |
Sprecherin der [1][Ärztevereinigung Amyts], María Justicia, im Gespräch mit | |
der taz. | |
Doch davon ist Madrid weit entfernt. Es fehlt an allen Ecken und Enden an | |
Personal. In der Pandemie wurden 37 der 78 Notfallposten von der | |
konservativen Regionalregierung (Volkspartei) geschlossen, die Ärzte in | |
Krankenhäuser versetzt. Als die Notfallstellen auch im Sommer 2022 nicht | |
wieder in Betrieb genommen wurden, kam es zu Protesten in der Bevölkerung. | |
Im Mai 2023 stehen Regional- und Kommunalwahlen an, also versprach die | |
Madrider Regierungschefin [2][Isabel Díaz Ayuso] eine Wiederinbetriebnahme | |
der Notfallposten für den 27. Oktober, ohne neues Personal einzustellen. | |
„Stattdessen verteilte sie die Ärzte der 41 Zentren die noch offen waren, | |
auf 78“, sagt Justicia der taz. Bis zu 50 Kilometer weit entfernt wurden | |
mancher versetzt. Benachrichtigt wurden die Ärzte über Nacht via E-Mail. | |
„Ohne das mit der Ärztevereinigung zu verhandeln, ohne die Mitarbeiter | |
anzuhören. Als wären wir Sklaven“, beklagt sich Justicia. Dutzende Zentren | |
werden seither nur von einer Krankenschwester betreut. Nun traten die Ärzte | |
in den Streik. | |
## Regionalregierung legt den Streikenden Steine in den Weg | |
Statt zu verhandeln, ordnete die Regionalregierung an, dass während des | |
Streiks ein Mindestdienst von 100 Prozent der Mitarbeiter gilt – ein | |
praktisches Streikverbot. Viele Ärzte sind krankgeschrieben, 25 haben | |
gekündigt. In der Führungsstruktur des Gesundheitssystems kam es zu | |
mehreren Rücktritten. Das Madrider System sei kurz davor zu kollabieren. | |
Dass jetzt auch die Hausärzte, d. h. die Grundversorgung, in den Streik | |
treten, hat mit Personalkürzungen zu tun. 50, 60 ja gar 80 Patienten pro | |
Schicht sind in Madrid mittlerweile normal. Laut der | |
Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte die Grundversorgung 25 Prozent des | |
Gesundheitshaushaltes entsprechen. In Spanien sind es durchschnittlich 14 | |
Prozent – in Madrid 11 Prozent. Anstatt über die Rettung des | |
Gesundheitssystems zu verhandeln, wie die Ärztevereinigung Amyts fordert, | |
beschimpft die Madrider Regierungschefin die Ärzte als „faul“ und als | |
diejenigen, „die das System zerstören“ – „politischer linke Aktivismus… | |
nennt es [3][Díaz Ayuso]. | |
In einem Fernsehinterview bot sie an, „jeden arbeitslosen Arzt noch | |
einzustellen“. Das ganze hat nur einen Haken. Madrids Hochschulen bilden so | |
viele Ärzte aus, wie sonst nirgends im Land. | |
Nur bleiben wollen sie nicht alle. 338 Familienärzte beendeten im Juni ihr | |
Praxisjahr, 197 Stellen hat die Regionalregierung ausgeschrieben. Gerade | |
einmal 59 konnten besetzt werden. Der Rest der jungen Mediziner ging in | |
andere Regionen oder ins Ausland. „Überall ist es besser als hier“, sagt | |
Justicia. | |
10 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.alamy.de/madrid-spanien-april-2021-arzte-der-grundversorgung-di… | |
[2] /Konservative-Partido-Popular-in-Spanien/!5836289 | |
[3] /Wahl-in-Spaniens-Hauptstadtregion/!5765332 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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