| # taz.de -- Folgen der Sanktionen in Russland: Eingeübte Unterwürfigkeit | |
| > Russische Unternehmer leiden unter den Sanktionen, viele Firmen gehen | |
| > Pleite. Der Kreml redet sich die Lage schön – und verteilt Geldgeschenke. | |
| Bild: Einkaufsstraße in Moskau: Höhepunkt der Krise in Russland angeblich „… | |
| Moskau taz | Wieder muss Andrei seine Unterlagen vorbereiten. Er muss | |
| nachweisen, wann er Verträge abgeschlossen hat, wann Rechnungen nicht | |
| bezahlt worden sind. In zwei Tagen steht die nächste Sitzung an – weil | |
| wieder ein Kunde Insolvenz angemeldet hat. Andrei hat 1,5 Millionen Rubel | |
| verloren (knapp 25.000 Euro). Er glaubt nicht mehr daran, dass er sie | |
| zurückbekommt. | |
| „Lauter Pleiten gerade, und unser Staat lässt uns wie eh und je allein“, | |
| sagt der Moskauer Kleinunternehmer, der Kostüme und Masken verkauft. So | |
| kurz vorm russischen Neujahr, Russlands Familienfest schlechthin, samt | |
| Zügen von Karneval, läuft sein Geschäft gut. Vorerst. „Ich habe es satt, | |
| mich immer wieder auf neue Situationen einzustellen, weil unsere Regierung | |
| immer größeren Bockmist baut. Ich will einfach normal Geschäfte machen. | |
| Stattdessen denke ich immer ernsthafter darüber nach, die Läden | |
| aufzugeben.“ | |
| Andrei will nicht unter seinem echten Namen in einer Zeitung erscheinen. | |
| Will auch keine Details über sein Unternehmen bekanntgeben. Er sei einfach | |
| müde. Müde von den [1][Kriegsgräueln, die sein Land in der Ukraine begeht]. | |
| Müde auch von den Diskussionen mit manchen seiner Angestellten, die den | |
| Krieg befürworten, müde von den ständigen Umstellungen und der | |
| Flexibilität, die er an den Tag legen muss, weil Sanktionen des Westens ein | |
| „vernünftiges Arbeiten“ unmöglich machten. | |
| „Seit 2014 läuft es nicht besonders gut für unsere Wirtschaft, seit dem 24. | |
| Februar sind wir verloren. Aber der Staat und so viele in meiner Umgebung | |
| feiern sich für ihre angebliche Stärke. Jubeln den Präsidenten hoch. Warum | |
| können wir nicht einfach normal leben?“ | |
| ## Suche nach Umwegen | |
| Seine Unzufriedenheit kann er kaum öffentlich äußern, der repressive Staat | |
| versetzt die Menschen in Angst, nimmt ihnen zuweilen alles. Andrei will | |
| nicht ganz pleitegehen – also sucht er nach Umwegen. Die Briten habe er in | |
| mehreren persönlichen Gesprächen angebettelt, das Geschäft mit ihm nicht zu | |
| beenden, die Chinesen hätten ein Rubel-Konto für ihn eingerichtet, für | |
| Europäer habe er ein Konto bei einer russischen Bank eröffnet, die noch | |
| nicht vom [2][Swift-System] ausgeschlossen ist. „Die Rezession macht mir | |
| keine Angst“, sagt Andrei. „Wenn man ohnehin ständig in Angst lebt, alles | |
| zu verlieren, interessiert eine Rezession nicht mehr.“ | |
| Der russische Staat redet sich die Lage schön. Zuständige sprechen zwar von | |
| „Turbulenzen“ und „nie dagewesenem Druck aus dem Westen“, aber auch von | |
| „beschleunigter Anpassung“: mittels sogenannter „technologischer | |
| Souveränität“, also dem Umschwenken auf eigene Produkte, mögen sie | |
| westlichen Waren technisch auch weit hinterher sein. Oder mittels des | |
| „Parallelimports“, einer Grauzone, die es möglich macht, Produkte über | |
| Drittstaaten zu beziehen. | |
| Maxim Reschetnikow, Russlands Minister für wirtschaftliche Entwicklung, | |
| sieht den Höhepunkt der Krise bereits als „überwunden“ an. Um der | |
| Bevölkerung seine Schönfärberei schmackhaft zu machen, verteilt der Kreml | |
| Geld: an Familien, Rentner*innen, Staatsangestellte. Das Budget für das | |
| kommende Jahr beschrieb der Parlamentssprecher Wjatscheslaw Wolodin als | |
| „das schwerste der vergangenen Jahre“. Moskau prognostiziert ein Minus von | |
| umgerechnet 50 Milliarden Euro. | |
| Die Armut hält das Putin-System stabil. Die Wirtschaftsgeografin Natalja | |
| Subarewitsch meint, die Menschen im Land pflegten seit Jahrzehnten | |
| Vermeidungsstrategien. „Sie finden sich mit allem Schlechten einfach ab“, | |
| sagt sie. Unterwürfigkeit und Atomisierung brächten kaum den Wunsch nach | |
| Veränderungen, Massenproteste seien so unmöglich, wie sie in einem | |
| Youtube-Interview mit der russischen Journalistin Katerina Gordejewa sagt. | |
| Der Staat veröffentlicht seit dem Frühjahr keine Statistiken mehr. | |
| Subarewitsch arbeitet mit Hochrechnungen auf Grundlage von Daten, die sie | |
| in öffentlichen Datenbanken finden kann. An Arbeitslosigkeit aber werde das | |
| Land nicht leiden. „Wenn Technologie fehlt, braucht die Wirtschaft Hände“, | |
| sagt sie. Der Staat werde die ständige Verschlechterung der Lage auf diese | |
| Weise als Aufschwung verkaufen können. Auch der Unternehmer Andrei kennt | |
| diese russische „Na awos“-Haltung, den Ausdruck für „irgendwie wird es | |
| schon gehen“. „Die Schicksalsergebenheit hält das System aufrecht“, sagt | |
| der Unternehmer. | |
| 6 Dec 2022 | |
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| Inna Hartwich | |
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