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# taz.de -- Anschläge auf Synagogen in NRW: Ermittler prüfen Spur in den Iran
> Der Generalbundesanwalt übernimmt Ermittlungen zu Anschlägen in NRW.
> Politisch brisant: Geprüft werden Verbindungen zum Iran.
Bild: Schusslöcher an einer Tür der Synagoge in Essen am 18. November
Berlin taz | Der Fall birgt politische Sprengkraft: Nach den jüngsten
[1][Anschlägen auf Synagogen] in Nordrhein-Westfalen prüfen Ermittler eine
Spur in den Iran. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft bestätigte am Freitag
der taz, dass seine Behörde den Fall übernehmen wird. Herangezogen wird
dafür offenbar der Vorwurf der geheimdienstlichen Tätigkeit. Demnach
vermuten die Ermittler die iranischen Revolutionsgarden hinter den
Anschlägen. Damit wächst der Druck auf das Außenministerium, sich für eine
Aufnahme der Revolutionsgarden auf die Terrorliste der EU einzusetzen.
Wie es aus Sicherheitskreisen heißt, prüfen Ermittler, ob der
Deutsch-Iraner und frühere Hells Angel Ramin Y. die Anschläge in Auftrag
gegeben haben könnte. Er war bereits im Herbst 2021 aus Nordrhein-Westfalen
in den Iran geflüchtet, weil nach ihm wegen eines Mordvorwurfs im
Rockermilieu gefahndet wird. Ermittler werfen Ramin Y. nun auch vor, für
die iranischen Revolutionsgarden ein Anschlagskommando in Deutschland
geleitet zu haben. Zuvor hatte [2][die ARD darüber berichtet].
Am Abend des 17. November waren mehrere Schüsse auf die Alte Synagoge in
Essen abgegeben worden. Am selben Abend wurde auch ein Molotowcocktail auf
die Hildegardis-Schule in Bochum geschleudert, die unmittelbar an die
lokale Synagoge grenzt. Es entstand ein Rußschaden an einem Fensterrahmen
und ein Brandschaden an der Fassade. Zudem hatte sich ein Mann bei der
Polizei gemeldet, der angab, von einem Bekannten zu einem Brandanschlag auf
die Synagoge in Dortmund angestiftet worden zu sein. Das lehnte er aber ab.
Den mutmaßlichen Anstifter [3][verhaftete die Polizei bereits am 18.
November in Dortmund], auch er ist Deutsch-Iraner. Er wird ebenfalls
beschuldigt, den Brandsatz auf die Synagoge in Bochum geworfen zu haben.
Seine Verbindung zu der Tat in Essen wird noch ermittelt. Nach
taz-Informationen soll der 35-Jährige Kontakt zu Ramin Y. im Iran gehabt
haben. Den Männern wird eine geheimdienstliche, gegen die Bundesrepublik
gerichtete Tätigkeit vorgeworfen.
## Präsident des Zentralrats der Juden ausgespäht
Neben den Synagogen in Nordrhein-Westfalen soll auch Josef Schuster,
Präsident des Zentralrats der Juden, im Fokus der Gruppe um Y. gestanden
haben. Ein Sprecher des Zentralrats bestätigte, dass es eine aktuelle
Bedrohungslage gegen Präsident Schuster gebe. Man vertraue aber den
Sicherheitsbehörden und ihren Ermittlungen.
Die Bundesanwaltschaft und die bisher ermittelnde Generalstaatsanwaltschaft
Düsseldorf wollten zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen. Auch das
Bundesamt für Verfassungsschutz wollte sich zu dem Fall und „etwaigen
operativen Maßnahmen“ nicht äußern.
Grundsätzlich analysiere man aber die Aktivitäten iranischer Stellen in
Deutschland, sagte eine Sprecherin der taz. Dafür habe man auch mögliche
Auswirkungen der aktuellen Lage im Land im Blick. Zuletzt hatte das
Bundesamt daran erinnert, dass der Iran Israel und seine Repräsentanten zu
Feinden erklärt habe und auch in Deutschland jüdische Ziele „unverändert
zum Tätigkeitsfeld der Spionage Irans“ gehörten.
Interessant wird nun, wie politisch auf die Vorwürfe reagiert wird. Das
Auswärtige Amt ließ eine taz-Anfrage dazu zunächst unbeantwortet. Auf Ebene
der EU wird seit Wochen darüber verhandelt, ob die iranischen
Revolutionsgarden in die EU-Terrorliste aufgenommen werden. Offenbar
[4][sind es dabei vor allem Frankreich und Belgien, die sich querstellen].
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte das Vorhaben, die
Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen, selbst Ende Oktober
öffentlich bekannt gemacht. Man stehe den Menschen im Iran bei. Aber
Baerbock betonte, dass Sanktionen und Maßnahmen rechtssicher sein müssten.
## Ermittlungen sind politisch brisant
Erst am Mittwoch hatte Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, im
Bundestag zu den rechtlichen Voraussetzungen erklärt, dass eine Möglichkeit
für die Aufnahme der Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste bestünde,
„wenn es in einem der EU-Mitgliedstaaten bereits entweder Ermittlungen oder
eine Strafverfolgung wegen einer terroristischen Handlung oder des
Versuchs, eine terroristische Handlung zu begehen oder sie zu erleichtern,
gibt.“ Entsprechende Ermittlungen oder eine Verurteilung im Zusammenhang
mit den islamischen Revolutionsgarden gebe es bislang in keinem
EU-Mitgliedstaat, sagte Keul.
CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, der die Frage dazu im Bundestag
gestellt hatte, erklärte am Freitag der taz nach Bekanntwerden der
Ermittlungen zu den Anschlägen auf die Synagogen in Nordrhein-Westfalen:
„Wenn die Bundesregierung jetzt also nicht entsprechend handelt, dann liegt
das nicht an rechtlichen Voraussetzungen. Es heißt vielmehr, dass sie das
Ziel, die Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen, nicht aktiv
verfolgt.“
Er teile nicht die rechtliche Auffassung, wonach es für eine
EU-Terrorlistung zunächst ein Ermittlungsverfahren im Zuge einer
terroristischen Handlung innerhalb der Europäischen Union bedürfe. „Einige
der bereits gelisteten Organisationen belegen das.“ Für Röttgen wären aber
ansonsten die Voraussetzungen auch längst erfüllt. „Die Revolutionsgarden
waren allein in den letzten Jahren an der Planung gleich mehrerer
Terrorakte innerhalb der EU beteiligt.“
Er verwies auf einen Fall in Deutschland, den die USA unter anderen
explizit aufführten, als sie die Revolutionsgarden auf die Terrorliste
aufnahmen: 2018 hatte die [5][Bundesanwaltschaft zehn mutmaßliche iranische
Agenten] enttarnt. Laut US-Botschaft in Deutschland sollen sie Verbindungen
zu den iranischen Revolutionsgarden gehabt und Terroranschläge geplant
haben.
## Mehrere Fälle mit Verbindungen zu Revolutionsgarden
Auch in weiteren Fällen gab es Verbindungen zu den Revolutionsgarden. Im
Mai 2022 hatte Israel bekannt gegeben, iranische Attentatspläne vereitelt
zu haben, die von den Revolutionsgarden ausgeführt werden sollten –
darunter auch auf einen US-General in Deutschland.
Im Jahr 2017 wurde ein Mann vom Kammergericht in Berlin wegen Spionage für
den Iran zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Er hatte Verbindungen zu den
Quds-Kräften, einer Spezialeinheit der iranischen Revolutionsgarden, und
soll potenzielle Anschlagsziele ausgekundschaftet haben, darunter einen
französisch-israelischen Wirtschaftsprofessor sowie Reinhold Robbe (SPD),
ehemals Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und früherer
Wehrbeauftragter des Bundestags.
Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte und Politikwissenschaftler an der
American University of Beirut, erklärte: „Man muss davon ausgehen, dass
hinter jeglicher Operation des Iran im Ausland die Revolutionsgarden
stehen.“ Die Revolutionsgarden nun auch in der EU auf die Terrorliste zu
setzen, wäre „ein starkes politisches Signal in Richtung Teheran, wo die
Revolutionsgarden fast einen heiligen Status haben“. Sie seien im Iran
omnipräsent. „Im Bezug auf den Geheimdienst, die Auslandsoperationen, aber
auch auf die Administration sind die Revolutionsgarden der dominante Player
im Iran.“
Mitte November hatte auch Grünen-Chef Omid Nouripour gefordert, die EU
solle die Revolutionsgarden auf die Terrorliste setzen. Diese seien „die
Hauptträger der Unterdrückung“.
## Schwere Menschenrechtsverletzungen im Iran
Die Revolutionsgarden sind direkt dem Revolutionsführer Ali Chamenei
unterstellt und wurden nach der islamistischen Revolution 1979 als
Gegengewicht zur regulären Armee gegründet. Die EU und das deutsche
Außenministerium werfen den Revolutionsgarden schwere
Menschenrechtsverletzungen vor. Mitte November wurden [6][neue
EU-Sanktionen] vor allem auch gegen deren inneren Machtzirkel beschlossen.
Den Revolutionsgarden und den ihnen unterstellten Basidsch-Milizen kommt
bei den brutalen Angriffen auf die DemonstrantInnen der letzten Wochen eine
zentrale Rolle zu. [7][Die Proteste hatten nach dem Tod der 22-Jährigen
Mahsa Amini begonnen.] Sie war am 13. September von der Sittenpolizei
festgenommen worden, wurde misshandelt und starb drei Tage später im
Polizeigewahrsam.
Laut Fathollah-Nejad sind die Revolutionsgarden ebenso stark in die
iranische Wirtschaft verstrickt. Er verweist auf Schätzungen, wonach sie
mit jedem zweiten Unternehmen im Iran verbunden seien. Wichtige
Industriebereiche wie Bau, Verkehr, Telekommunikation und Energie werden
von ihnen dominiert.
## Firmen der Revolutionsgarden auch in Deutschland
Der [8][Islamwissenschaftler Wilfried Buchta schätzte 2020], dass die
Revolutionsgarden weit über 1.200 Firmen und Unternehmen in Iran und im
Ausland besäßen und damit mindestens 40 Prozent der gesamten iranischen
Wirtschaft kontrollierten. Bei vielen internationalen wirtschaftlichen
Transaktionen der Revolutionsgarden scheine es sich um kriminelle Geschäfte
zu handeln. Auch zahlreiche Firmen in Deutschland haben Verbindungen zu den
Revolutionsgarden, einige sind deshalb in den USA seit Jahren sanktioniert.
Eine Aufnahme der Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste hat weitreichende
Folgen. Zu den restriktiven Maßnahmen gehört das Einfrieren von Geldern und
Vermögen und das Verbot, den gelisteten Organisationen finanzielle Mittel
zur Verfügung zu stellen. Polizei und Justiz haben zudem mehr Befugnisse
für die Zusammenarbeit.
Die sogenannte EU-Terrorliste wurde als Reaktion auf die Anschläge des 11.
September 2001 eingeführt und umfasst laut [9][Europäischem Rat aktuell 21
Organisationen und 13 Einzelpersonen], die mit terroristischen Handlungen
in Verbindung gebracht werden. Die Liste wird mindestens zweimal im Jahr
überprüft, es ist möglich, dagegen zu klagen.
2 Dec 2022
## LINKS
[1] /Neben-Alter-Synagoge-in-Essen/!5896158
[2] https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/synagogen-anschlaege-101.h…
[3] /Anschlaege-auf-juedische-Einrichtungen/!5898295
[4] /Repression-in-Iran/!5898220
[5] /Iranischer-Geheimdienst/!5475436
[6] /Strafmassnahmen-gegen-Iran/!5894895
[7] /Proteste-in-Iran/!t5884344
[8] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/309948/eine-theokratie-hinter-re…
[9] https://www.consilium.europa.eu/de/policies/fight-against-terrorism/terrori…
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
Konrad Litschko
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