# taz.de -- Die Kunst der Woche: 17 Schlüssel | |
> Kirsi Mikkola zum Harlem der 90er. Die Marinemalerei in der | |
> Gemäldegalerie erinnert an Superyachten vor Venedig. Carola Göllner setzt | |
> Godard ins Bild. | |
Bild: Restaurierung des Gemäldes “Dreimaster auf leicht bewegter See“ von … | |
Rund hundert Papierarbeiten aus den 1990er Jahren zeigt Kirsi Mikkola im | |
zweiten Teil ihrer Ausstellung in den Räumen der Miettinen Collection nahe | |
dem Ku’damm. Doch so bunt sie sich auf den ersten Blick der Wand entlang | |
ziehen – ein kräftiges Gelb, strahlendes Blau und ein frisches Grasgrün | |
stechen ins Auge – sie berichten keineswegs nur von der heiteren Seite des | |
Lebens. Tatsächlich hat Mikkola ihren Bilderreigen den Titel „The Golden | |
Hour“ gegeben – und damit jene Stunde aufgerufen, in der die | |
Überlebenschancen eines Unfallopfers im Krankenhaus am besten stehen. | |
Die Person in kritischem Zustand ist die Künstlerin selbst, wie in den | |
Aquarellmalereien und -zeichnungen deutlich wird, die als eine Art Tagebuch | |
der Zeit nach dem Ende des Studiums gelesen werden könnten. Fällt dann bei | |
genauem Hinsehen auf, dass die kräftigen, attraktiven Farben zwar wichtige | |
Akzente in den pointiert festgehaltenen Alltagsszenen setzen, die | |
Hauptrolle aber die Farbe der Haut spielt, ist man schon mitten drin im | |
Geschehen. Es sind die 90er Jahre und die finnische Künstlerin ist von | |
Berlin nach New York gezogen, wo sie in Harlem ihren Freund und in der | |
125th Street Ecke Lexington Avenue ihr Atelier fand. | |
Man sieht also ein glückliches Paar grinsend im Bett liegen, vor lauter | |
Wohlsein haben sich ihre Fingernägel zu pinken Blüten aufgestellt. Aber mit | |
dem Glück kommt der Streit und dann fliegt die weiße Faust ins schwarze | |
Gesicht und der schwarze Zeigefinger richtet sich anklagend und bedrohlich | |
zugleich gegen die rosigweiße, blonde Frau. Mit dem Glück kommt die Freude, | |
der Tanz, das Lachen, die freundlichen Leute, Alltagsbeobachtungen, | |
anekdotenhaft, mit offenem Ausgang treffsicher aufs Papier gebracht – | |
genauso wie der Hader und der Hass, der in Ku-Klux-Klan-Hauben | |
aufmarschiert. Da ist die Depression vollkommen. Und Flucht ist die einzige | |
Rettung. | |
Die Künstlerin sattelt im wahrsten Sinn des Wortes auf Pferde um. Bis sie, | |
wieder in Berlin, die Kunst neu für sich entdeckt, mit rasanten, [1][aus | |
Papierstreifen collagierten Abstraktionen] und zuletzt wieder mit | |
figürlicher Malerei wie sie in [2][„Glo-W!“], dem großartigen erste Teil | |
der Ausstellung zeigte. | |
## Die Kunst und ihre Flotte | |
Der „Dreimaster auf leicht bewegter See“ 1665 von Olfert de Vrij gemalt, | |
ist ein „Juwel“ der Sammlung, wie es in der Pressemitteilung der | |
[3][Berliner Gemäldegalerie] heißt. Freilich ein „in Vergessenheit | |
geratenes“, also die längste Zeit verkanntes und ins Depot verbanntes | |
Meisterwerk. Anders als die „Kurbrandenburgische Flotte“ von Lieve | |
Verschuler, 1684 malerisch doch eher bescheiden ins Bild gesetzt, die bis | |
heute immer präsent blieb. Jetzt ist das Ölgemälde aus dem Schloss | |
Oranienburg nach Berlin gekommen, als Teil der Sonderausstellung „Vision | |
Seemacht. Ein Marinestück für den Großen Kurfürsten“ zu Ehren des mit | |
größter Sorgfalt restaurierten, als „penschilderijen“, also als Federstü… | |
ausgeführten Seestücks von Olfert de Vrij. | |
Dass der Künstler die schwarze Tusche freilich gar nicht mit der Feder, | |
sondern mit feinen Pinseln stupfend, strichelnd und lavierend auf den | |
weißen Malgrund auftrug, aus diesem Vorgehen resultierte dann der große | |
Charme des Schiffsporträts, das die Gestalt der Fregatten Grafschaft Mark | |
und Herzogtum Cleve im großen Format ungeheuer lebendig aufkreuzen lässt. | |
Man meint in ihrem beweglichen Auftritt geradezu ein filmisches Moment zu | |
sehen, sicher bestärkt vom Schwarzweiß der „penschilderijen“, das die Idee | |
an den frühen expressionistischen Film evoziert. | |
Die „Kurbrandenburgische Flotte“ dagegen ruft Assoziationen an heutige | |
Kunstsammler herauf, wie sie (vor Corona) zu Biennale-Zeiten mit der | |
Kriegsflotte ihrer Superyachten in Venedig anlandeten. Verschulers Gemälde | |
wirkt unfreiwillig komisch, weil es das Repräsentationsbedürfnis des | |
Kurfürsten so überdeutlich herausstellt, im Sammelsurium einer Flotte von | |
Schiffen, die so nie zusammen gekommen waren, wie auf dem Bild dargestellt. | |
Und so ist es, wenn auch darin unfreiwillig, ein schöner ironischer | |
Kommentar zur Realität des Kunstbetriebs, wo Kunst von Repräsentation noch | |
immer ausgestochen wird. | |
Aber manchmal nutzen schlaue Museumsleute die Gunst der Umstände, also den | |
reichen institutionellen Fundus und finden die Juwelen doch noch. Dabei | |
machen sie uns mit den raffiniertesten Restaurierungstechniken bekannt, | |
erzählen vom Entstehen der Marinemalerei und der dabei führenden Hoorner | |
Malerschule, der Olfert de Vrij entstammt. Erstaunlicherweise war er nur | |
ein Amateurmaler und von Beruf Jurist, als solcher aber als | |
Schiffsausrüster bestens mit seinem Motiv vertraut. Wir lernen weitere | |
Beispiele von Marinemalerei kennen und werden last not last über die | |
Ambitionen des Großen Kurfürsten aufgeklärt, Preußen als Seehandelsmacht zu | |
etablieren. | |
## 17 Schlüssel zu Godard | |
Nicht die Bilder weisen auf den Film, sondern der Film verweist auf die | |
Malerei. So die Wahrnehmung der Ausstellung von Carola Göllner in der | |
[4][Galerie des Institut Français]. Die Malerin meint in der Anlage seiner | |
Bildeinstellungen und der Erzählung in zwölf Sequenzen den visuellen | |
Ausgangspunkt von Jean-Luc Godard bei „Vivre sa vie“ (Das Leben der Nana | |
S., 1962) in der Malerei zu erkennen. Ihre Annahme suchte die Berliner | |
Künstlerin in der Zeit von 2002 bis 2004 in einer Serie von 17 Bildern zu | |
belegen. Dass die Bilder mitsamt den vorausgehenden zeichnerischen Skizzen | |
nun im Jahr von Godards Tod im Haus des Cinema Paris ihre Wiederaufführung | |
haben ist ein glücklicher Zufall. | |
Carola Göllner, die an der HdK, jetzt UdK, bei Wolfgang Petrick und Georg | |
Baselitz studierte, ging ihr Vorhaben systematisch an. Sie erkannte 17 | |
Schlüsselszenen des Films, der vom fatalen Abrutschen einer jungen Frau in | |
die Prostitution erzählt, die sie in Themengruppen wie etwa Cigarettes, Les | |
Mains oder Les Bras und la Chambre listete. Für die malerische Umsetzung | |
stellte sie die Pariser Szenen mit Berliner Modellen in ihrem Atelier und | |
auf den Straßen im Wedding nach, wobei sie Godards Schwarzweißfilm in | |
farbiger Malerei umsetzte. Es sind stille melancholische Momente, die | |
festgehalten werden, Porträts der Nana, die im einen Bild ausschaut wie | |
Anna Karina und im anderen wie ihr Berliner Modell. | |
Auch die Straßen sind mal Pariser Straßen mit Französisch sprachiger | |
Plakatwerbung im Hintergrund, mal deutlich Berliner Straßen. Aber das ist | |
unwichtig, denn Göllners Bilder interessiert weniger die Situation oder der | |
Gegenstand als vielmehr der Blick, der sich darauf richtet, wie er das tut, | |
wann und wo. Es interessiert, wo sein Fokus liegt und wie er die filmische | |
Bewegung in gewisser Weise still stellt, wie „Vivre sa vie“ Blicke als | |
Gemälde aneinander reiht. Diese Stills von Händen, die den Riemen der Mary | |
Jane Pumps schließen, die die Zigarette halten, falls sie nicht im | |
Mundwinkel klebt, von Godards Mädchen in der Metro von heute, den Blick | |
aufs Handy konzentriert, sie sind von großem Reiz und von Carola Göllner in | |
scheinbar anstrengungsloser Sorgfalt gemalt. | |
16 Dec 2022 | |
## LINKS | |
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[2] /Die-Kunst-der-Woche/!5883831 | |
[3] https://www.smb.museum/ausstellungen/detail/vision-seemacht/ | |
[4] https://www.institutfrancais.de/berlin/event/ausstellung-vivre-sa-vie-carol… | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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