# taz.de -- Anreiz durch Gamification: Duschen mit Habeck und Konfetti | |
> Umweltbewusstes und klimaschonendes Verhalten wird im realen Leben viel | |
> zu selten direkt belohnt. Zum Glück gibt es die Digitalisierung. | |
Bild: Zähneputzen kann Spaß machen! | |
Die Erlösung naht. Na gut, nicht für alle natürlich. Aber zumindest für | |
Eltern, die sich morgens und abends in einer Zeitschleife aus Diskussionen | |
über das Zähneputzen wähnen. Ja, zwei Minuten sind zweimal 60 Sekunden. Ja, | |
innen und oben und außen, jedes Mal. Und auch jedes Mal rechts und links, | |
und zwar bewegen, nicht kauen. | |
Die Lösung? Natürlich die Digitalisierung. Hier in Gestalt einer | |
elektrischen Zahnbürste. Mit den Putzbewegungen steuern die Kinder Figuren | |
in einem Computerspiel, das in der App läuft. Gamification in Perfektion. | |
Gut, jetzt kommen alle, die schon in dritter Generation ihre Zähne ganz | |
wunderbar mit einer Bambuszahnbürste sauber halten, und prangern die | |
überflüssige Technik an, die viel zu schnell zu Elektronikschrott wird. Ja, | |
korrekt. Und Glückwunsch zum Superheld:innen-Zahnschmelz. Nur sieht die | |
Realität leider bei vielen anders aus. Und mal ehrlich: Wäre ein bisschen | |
mehr Gamification, also spielerisches Element im Alltag, nicht für uns alle | |
ganz gut, so ab und an? | |
Denn wenn man ehrlich ist: Soziales, ökologisches, klimafreundliches, | |
gesundheitsförderndes Verhalten wird viel zu selten auf natürliche Art und | |
Weise belohnt. Und schon gar nicht unmittelbar. Wer die Treppe steigt, ist | |
deutlich später im achten Stock als die Kolleg:innen, die den Fahrstuhl | |
genommen haben. Und außerdem ziemlich außer Puste. Wer Rad fährt, wird nass | |
und von Lkws geschnitten. Die morgendliche U-Bahnfahrt wird zum | |
unfreiwilligen Training im Vollkontaktsport, während die | |
Autofahrer:innen zwar ab und an im Stau stehen, aber von der Witterung | |
und anderen Unannehmlichkeiten verschont bleiben. [1][Wer das vegane | |
Gericht wählt], darf sich auf eine mittagessenlange Diskussion über | |
Vitamin-B12-Supplementierung freuen und wer im Sommer literweise Wasser zum | |
Straßenbaum schleppt über eine Sehnenscheidenentzündung. | |
## „Jippieh, Igel gerettet“ | |
Warum also darf nicht der Baum via App Danke sagen fürs Gießen? Genauso wie | |
die Lunge, die dort jedes Mal ein bisschen Volumen dazugewinnt, wenn wieder | |
ein rauchfreier Tag geschafft ist. Bei der Duschzeit tritt man mit | |
Politiker:innen in den Wettkampf – na, heute schon besser als Kubicki, | |
nächste Woche ist [2][auch Habeck geknackt], und dann regnet es Konfetti. | |
Digital natürlich, wer will schon einen Haufen bunter Papierschnipsel aus | |
der Dusche beseitigen müssen? Und wenn das Auto stehen bleibt, ist ein | |
virtueller Igel gerettet. Oder so. Schummeln ist nicht, schließlich wissen | |
Smartphones schon heute fast alles über uns und können aus den Sensoren | |
beispielsweise erkennen, mit welchem Verkehrsmittel wir uns gerade | |
fortbewegen. | |
Was nicht zuletzt dann auch noch wichtig ist: eine App, die es belohnt, | |
wenn man das Smartphone beiseitelegt. Davon gibt es natürlich längst einen | |
ganzen Haufen, auch inklusive Gamification. Zum Beispiel eine, die bei | |
Bildschirm-Abstinenz Bäume wachsen lässt. Virtuell, klar. Bloß nicht noch | |
eine Sehnenscheidenentzündung. | |
27 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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