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# taz.de -- Gespräch mit ukrainischem Justizminister: „Wir sammeln Beweise“
> Kriegsverbrechen in der Ukraine sollen nicht ungesühnt bleiben, sagt
> Justizminister Denys Maljuska. Auch die Korruptionsbekämpfung im Land sei
> wichtig.
Bild: Die russische Armee bombardierte Ende November Wohnviertel der Stadt Vysh…
Ende November trafen sich die Justizminister der G7 in Berlin. Auch der
ukrainische Minister Denys Maljuska war eingeladen, weil es um [1][die
Ermittlungen zu völkerstrafrechtlich relevanten Verbrechen] in der Ukraine
ging. Am Ende des ersten Arbeitstages nahm er sich Zeit für ein Interview.
taz: Herr Maljuska, mehr als neun Monate dauert der russische Angriffskrieg
gegen die Ukraine jetzt schon. Was bedeutet das für Ihre Arbeit als
Justizminister?
Denys Maljuska: Es sind viele neue Herausforderungen: mit Kriegsgefangenen
umgehen, die nötigen Rahmenbedingungen für Entschädigungen schaffen, die
Arbeit des Anklägers des Internationalen Strafgerichtshofs in der Ukraine
ermöglichen. Außerdem müssen wir das Justizministerium funktionsfähig
halten. Uns untersteht die Verwaltung der Gefängnisse. Wir mussten viele
Insassen evakuieren. Auch durch die russischen Angriffe auf die
Energieinfrastruktur können wir die Sicherheit in den Gefängnissen nicht
immer gewährleisten.
Wie gehen Sie in der Ukraine juristisch mit Kriegsverbrechen um?
Wir sammeln Beweise. Mehr als 40.000 Strafverfahren im Bereich
Kriegsverbrechen wurden bereits von den Strafvollzugsbehörden eingeleitet
und mehrere Fälle vor ukrainische Gerichte gebracht. Es ist allerdings
schwer bis fast unmöglich, Urteile zu vollstrecken, weil wir russische
Kriegsgefangene stets gegen ukrainische Soldaten, unsere Helden,
austauschen. Das Wichtigste ist: die Hauptverantwortlichen, nämlich den
russischen Präsidenten Wladimir Putin und sein Team, vor ein Sondergericht
zu bringen.
Wie sammeln Sie die Beweise?
Unsere Gegenoffensive hat die Russen überrascht und deswegen hinterließen
sie so viele Beweise – anders als im Krieg im Donbass seit 2014, in dem wir
keinen Zugang zu den Tatorten hatten. Jetzt bekommen wir auch viele anonyme
Anrufe. Allerdings werden nicht alle Fälle bekannt oder den
Vollzugsbehörden gemeldet. Viele Opfer haben die Ukraine inzwischen
verlassen.
[2][Wir arbeiten auch mit ukrainischen und ausländischen
Nichtregierungsorganisationen sowie mit Behörden im Ausland zusammen] –
auch das ist anders als beim Krieg im Donbass. Der Internationale
Gerichtshof sammelt ebenfalls Beweise für Kriegsverbrechen in der Ukraine.
Diese ganzen Informationen werden für künftige Entschädigungsforderungen
wichtig sein.
Werden auch die Fälle untersucht, in die ukrainische Soldaten verwickelt
sein sollen?
Bislang wurde keine Anklage erhoben. In den letzten Wochen kursierten
mehrere Videos, die auf Kriegsverbrechen seitens ukrainischer Soldaten
hindeuten. Wir warten auf die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden.
Wichtig ist: Wir erkennen die Zuständigkeit des Internationalen
Strafgerichtshofs an, auch wenn sich ukrainische Soldaten dort für
Kriegsverbrechen verantworten sollten müssen.
Im März wurde vom ukrainischen Parlament ein Gesetz gegen Kollaboration
beschlossen. Um welche Leute geht es dabei? Welche Konsequenzen drohen
Kollaborateuren?
Wenn eine Person den Aggressorstaat unterstützt, mit ihm kommuniziert oder
dabei hilft, dessen Pläne umzusetzen, so definieren wir das als
Kollaboration. Wenn jemand gezwungen wird, den Aggressor zu unterstützen
oder auf besetztem Territorium lebt und arbeitet, ohne den Aggressor aktiv
zuzuarbeiten, ist diese Person dafür nicht haftbar zu machen.
Einige Leute haben in den von Russland besetzten Gebieten Informationen
über Ukrainer*innen weitergegeben, die das ukrainische Militär
unterstützt haben. Diese wurden daraufhin von Besatzern gefoltert, manchmal
sogar getötet. Das darf nicht ungestraft bleiben. Wir sind gerade dabei,
das Strafrecht zu ändern – ein Gesetzesentwurf liegt dem Parlament vor. Die
Definition von Kollaboration muss enger gefasst werden, damit wirklich klar
ist, wer zur Verantwortung gezogen werden muss und wer nicht. Ein Gesetz,
das die Beschlagnahme von Vermögenswerten von Kollaborateuren und
Aggressoren erlaubt, haben wir bereits verabschiedet.
Wurde dieses Gesetz bereits angewendet?
Einige Fälle sind bei Gericht anhängig. Wir konzentrieren uns vor allem auf
Oligarchen, auf reiche Leute, die das russische Militär oder die russische
Regierung unterstützen – finanziell oder durch Informationen, um den Krieg
fortzusetzen. Sie haben Vermögenswerte auf ukrainischem Territorium.
Stichwort Entschädigungen: Haben Sie eine Summe errechnet und wie
realistisch sind Ihre Forderungen, eingefrorenes russisches Kapital an die
Ukraine zu übergeben?
Wir bitten unsere Verbündeten, die Idee zu unterstützen, dass die über 300
Milliarden US-Dollar der russischen Zentralbank, die sich in westlichen
Ländern befinden, in einen Entschädigungsfonds fließen. Das würde
Verhandlungen und die Unterzeichnung und Ratifizierung eines
entsprechenden Vertrags erfordern. Ein Entschädigungsfonds und eine
Entschädigungskommission sollten ins Leben gerufen werden. Die
internationale Gemeinschaft sollte sie verwalten und die
Entschädigungszahlungen verteilen.
Die Ukraine hat im Juni den Status eines EU-Beitrittskandidaten bekommen.
Hat der Krieg diese Entwicklung beschleunigt?
Auf jeden Fall. Und was die dafür notwendigen Reformen angeht, da haben wir
erst die Hälfte dieses Weges zurückgelegt.
Woran liegt das?
An unseren westlichen Partnern. So ist die Umsetzung einiger Reformen von
den Empfehlungen der Venedig-Kommission, die Verfassungen und demokratische
Prozesse in Osteuropa evaluiert, abhängig. Auf diese Empfehlungen warten
wir noch. Dasselbe gilt auch für die Besetzung wichtiger Posten im
Justizbereich. Diese Auswahl haben wir ebenfalls unseren Partner
übertragen.
Aber es geht auch um den Kampf gegen Korruption. Transparency International
listet die Ukraine auf Platz 122 von 180.
Korruptionsbekämpfung war und ist eine Priorität unserer Partner, trotz des
Krieges. Aber sie haben auch Verständnis dafür, dass die gesamte Wirtschaft
und das ganze Land umstrukturiert und wiederaufgebaut werden müssen. Da
gibt es noch einiges zu tun und wir benötigen externe Hilfe. Unsere
Anti-Korruptions-Gremien sind aber schon sehr aktiv. Innerhalb einiger
Monate haben sie Anklage gegen hochrangige Beamte in der Ukraine erhoben.
Das EU-Parlament hat Russland in einer Resolution zu einem staatlichen
Unterstützer von Terrorismus erklärt.
Es wäre mir lieber, wenn das US-Außenministerium das gemacht hätte. Das
hätte – anders als bei der EU – erhebliche juristische Konsequenzen, die
ganze Geschäftszweige blockieren würden.
Der Bundestag hat am Mittwoch eine Resolution zum Holodomor der 1930er
Jahre verabschiedet. Ist das mehr als Symbolpolitik?
Es geht um Gerechtigkeit, aber das schafft auch einen Rahmen und ein
historisches Verständnis dafür, was gerade im Angriffskrieg passiert: Das
ist ein Völkermord. Es ist eine Aggression, aber auch ein Versuch, die
ukrainische Nation zu eliminieren, Menschen zu vernichten – sei es durch
Hunger wie damals oder durch die Zerstörung von Infrastruktur für
Energieversorgung wie jetzt.
Sie sind seit August 2019 Justizminister. Wie geht es Ihnen damit?
Es ist nicht leicht. In den ersten Monaten haben wir das Land komplett
umgekrempelt und einiges auf den Weg gebracht. Dann brach die
Coronapandemie aus und ich dachte, als Justizminister den schlimmsten Job
zu haben – von wegen. Und anschließend begann Russlands Krieg gegen die
Ukraine. Irgendwie war ich nie ein gewöhnlicher Justizminister, der über
umfassende Reformen nachdenken konnte. Aber ich bin froh über das, was wir
geschafft haben.
Was ist Ihre Botschaft an Deutschland?
Die ist sehr schlicht: Wir sitzen alle im selben Boot. Ja, wir leiden, aber
auch die Deutschen leiden. Es ist offensichtlich, dass Russland nicht die
Ukraine als eigentlichen Feind sieht, sondern den Westen. Die Ukraine wird
nur als erster Schritt betrachtet. Viele Deutsche erinnern sich noch, in
was für einer Welt wir lebten, als ihr Land geteilt war. Wenn es keine
effiziente Antwort auf Russland gibt, wird sich diese Geschichte
wiederholen.
3 Dec 2022
## LINKS
[1] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!5899558
[2] /Treffen-der-G7-Justizminister/!5899471
## AUTOREN
Barbara Oertel
Gemma Teres Arilla
## TAGS
Ukraine
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