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# taz.de -- Bilanz nach einem Jahr Ampel: Auf Harmonie getrimmt
> Nach einem Jahr Ampel ziehen die Fraktionschef*innen Bilanz. Der Ton
> ist pragmatischer geworden. Dennoch sind sich alle einig: Läuft super.
Bild: Scheinbar Hand in Hand: Christian Dürr, Katharina Dröge, Britta Haßelm…
Berlin taz | Lustig wurde es eigentlich erst, als ein Journalist nach der
abgewetzten Aktentasche von Olaf Scholz fragte, die der Kanzler ständig mit
sich herumschleppt. Rolf Mützenich, der Fraktionsvorsitzende der SPD,
musste da erst mal überlegen. „Mich begeistert eigentlich, dass Olaf Scholz
an traditionellen Arbeitsmitteln festhält, und wenn in dieser Tasche gute
Inhalte sind, dann soll er diese Tasche auch weiterhin durch sein Leben
tragen“, sagte er dann ziemlich bedacht. Darin seien ja gute
Kabinettsvorlagen.
Sein FDP-Kollege Christian Dürr mutmaßte daraufhin, dass darin ja bestimmt
auch ein Tablet sei, „wegen Digitalisierung und so“. Dürr lachte los und
stupste Mützenich kurz an. Diese Aufheiterung haben irgendwie alle
gebraucht. Denn sonst war das Ganze eine ziemlich bedächtige,
durchchoreografierte Veranstaltung: Nach einem Jahr Ampel wollten die
Fraktionsvorsitzenden der Ampelparteien eine erste Zwischenbilanz ziehen.
Dafür stellten sich [1][Rolf Mützenich (SPD)], Britta Haßelmann und
Katharina Dröge (Grüne) sowie FDP-Mann Christian Dürr am Mittwoch vor vier
schmale Mikrofone im Berliner Paul-Löbe-Haus. Im Hintergrund war das
Kanzleramt zu sehen, sie selbst blickten auf die Berliner Spree und auf
einen Haufen Hauptstadtjournalisten.
Natürlich war klar: Nach einem krisengeprägten Jahr wird das ein
Harmonietermin zum Jahresende. Erwartbar lobte Mützenich die Zusammenarbeit
und sprach von drei „gleichberechtigten Partnern“. Und doch kann man
Mützenich zugute halten, dass er sich nicht an Standardphrasen abarbeitete.
Die Worte Doppelwumms und Zeitenwende ließ er aus. „Es ist nicht nur eine
Fortschrittskoalition“, sondern auch eine Koalition, die in den letzten
zwölf Monaten „Krisenpolitik betreiben musste“. Gemessen an der
[2][Aufbruchstimmung vor einem Jahr] klang der Sound deutlich
runtergepegelt und pragmatischer. Trotz eines „beispiellosen
Angriffskriegs“ habe der Bundestag im ersten Jahr rund hundert
Gesetzentwürfe verabschiedet, sagte Mützenich.
Zu Beginn war das Versprechen ja groß: Mehr Fortschritt wagen wollte die
Ampel, die erste Dreierkoalition im Bund, die einen Bruch mit dem
traditionellen Lagerdenken markierte. Doch dann überlagerten sich die
Krisen in einem unvorhersehbaren Ausmaß: Klimakrise, Pandemie, der
russische Angriffskrieg. Aus der selbst ernannten Fortschrittskoalition
wurde die Krisenbewältigungskoalition.
## Umfragewerte so mies wie das nasskalte Berliner Wetter
Oder, wie es Britta Haßelmann formulierte: „eine Arbeitskoalition“. Für d…
Ampel stünden in dieser krisenhaften Zeit „die Menschen im Mittelpunkt“.
Haßelmann sprach dann über „wertegebundene Außenpolitik mit Haltung und
klarem Kompass“, über Solidarität mit der Ukraine, Bürgergeld, erhöhtes
Kindergeld oder die Abschaffung des Paragrafen 219a.
Dröge setzte die Lobeshymne fort: „Wir sind die erste Koalition seit 16
Jahren, die den Klimaschutz in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt.“ Man
habe mit dem 49-Euro-Ticket gezeigt, „was geht, wenn drei Partnerinnen und
Partner entschlossen handeln und es wagen, einmal Strukturen in Frage zu
stellen“. Was sie natürlich nicht erwähnte: den zermürbenden [3][Streit
zwischen Grünen und FDP um die Atomkraft] oder die [4][Tragödie der
Gasumlage].
Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr wählte recht nette Worte für seine
Koalitionspartner. „Wir wollten mehr Fortschritt wagen und genau das tut
diese Koalition“, sagte er. Die FDP tut sich in der Ampelregierung nach
etlichen Wahlschlappen ja bekanntlich besonders schwer, und manchmal klingt
die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen wie eine Bürde. Aber am Mittwoch
waren dann doch alle auf Harmonie getrimmt. Dürr erwähnte etwa das
[5][LNG-Terminal in Wilhelmshaven] und sagte: „Das hätte vor Monaten ja
niemand geglaubt, dass Deutschland so schnell sein kann“.
Und doch ist es so, dass die Umfragewerte der Ampel genau so mies sind wie
das nasskalte Wetter in Berlin.
7 Dec 2022
## LINKS
[1] /SPD-Fraktionschef-ueber-russische-Aengste/!5825219
[2] /Bundestag-waehlt-Olaf-Scholz-zum-Kanzler/!5814660
[3] /Streit-ueber-AKW-Weiterbetrieb/!5889230
[4] /Umstrittene-Energieabgabe/!5880157
[5] /LNG-Terminal-in-Wilhelmshaven/!5893962
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
## TAGS
Rolf Mützenich
Ampel-Koalition
Britta Haßelmann
FDP
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Ampel-Koalition
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Lesestück Recherche und Reportage
Olaf Scholz
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