# taz.de -- Wohnungslose in der Habersaathstraße: Kalte Räumung droht | |
> Die Menschen in der Berliner Habersaathstraße könnten schon bald wieder | |
> auf der Straße landen. Verhandlungen mit dem Eigentümer gibt es nicht. | |
Bild: Kämpferische Töne, hier bei einer Kundgebung in der Habersaathstraße i… | |
BERLIN taz | Mitten im Winter hängt über den ehemaligen Obdachlosen in der | |
Habersaathstraße 40–48 das Damoklesschwert der Räumung – und damit die | |
Gefahr, wieder auf der Straße zu landen. Seit fast einem Jahr [1][leben in | |
dem Plattenbau in Berlin-Mitte rund 60 Wohnungslose], die vom Eigentümer, | |
der Arcadia Estates GmbH, geduldet werden. Bislang jedenfalls. | |
Eine von ihnen ist Janet Amin. Die 45-Jährige sitzt in ihrer Wohnung auf | |
dem Sofa und nippt an einer Kaffetasse. Um sie herum tollen ihre beiden | |
Hundewelpen Pinsel und Chappi. Die Wohnung ist ordentlich und gemütlich | |
eingerichtet. „Ich fühle mich hier zu Hause“, sagt Amin. Seit Anfang des | |
Jahres wohnt sie hier, seitdem kriege sie ihr Leben wieder in den Griff, | |
sagt sie. „Ich war 20 Jahre heroinabhängig, habe gesoffen und andere Drogen | |
konsumiert.“ | |
Mehr als sieben Jahre war Amin obdachlos, zuletzt am Alex „auf Platte“. Als | |
Frau ist das nicht ungefährlich, erzählt sie. In der Habersaathstraße sei | |
sie wieder clean geworden, ohne eine eigene Wohnung und die | |
Hausgemeinschaft hätte sie es nicht geschafft, ist sie überzeugt. | |
Mittlerweile geht Amin zur Schuldenberatung und ist beim Jobcenter. „Ich | |
würde gerne bleiben, wir haben uns hier etwas aufgebaut“, sagt die | |
gebürtige Hamburgerin. | |
Im Oktober 2020 und im Dezember 2021 hatten Obdachlose gemeinsam mit | |
Aktivist*innen der Initiative „Leerstand Hab-ich-saath“ das | |
größtenteils leer stehende Gebäude besetzt. Der mittlerweile abgewählte | |
Ex-Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) vereinbarte daraufhin | |
eine Zwischennutzung. Mittlerweile sind auch ukrainische Geflüchtete in dem | |
Gebäude untergebracht. | |
Ein Jahr später liegen die Verhandlungen mit dem Eigentümer auf Eis. Anfang | |
September hat das Bezirksamt der Arcadia nach jahrelangem Rechtsstreit eine | |
[2][umstrittene Abrissgenehmigung] für das fünfstöckige Gebäude erteilt, | |
das erst in den 1980er Jahren mit öffentlichen Mitteln errichtet und 2008 | |
energetisch saniert wurde. Laut Antwort der Senatsverwaltung für | |
Stadtentwicklung auf eine aktuelle Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas | |
Schenker hat der Eigentümer im Gegenzug zugesichert, für alle 105 Wohnungen | |
Ersatzwohnraum zu 7,92 Euro pro Quadratmeter zu schaffen. | |
Für die Bewohner*innen des Hauses gibt es jedoch bislang keine Lösung. | |
Eine Einigung über den Verbleib der Obdachlosen bis zum Abriss scheiterte | |
am Widerstand des Eigentümers. Dabei gebe es durchaus Spielraum für | |
Verhandlungen, sagt Niklas Schenker zur taz. „Ohne Baugenehmigung bringt | |
die Abrissgenehmigung dem Eigentümer wenig.“ | |
Seit [3][von Dassels A][4][bwahl] im September haben laut Bezirksamt aber | |
keine Gespräche mehr stattgefunden. Das letzte Angebot der Arcadia kam Ende | |
Oktober: Die Wohnungslosen würden „als temporäre Winterhilfe“ bis Ende M�… | |
geduldet, wenn diese zusicherten, das Gebäude bis dahin zu verlassen. | |
## Räumung im Prinzip jederzeit möglich | |
Eine befristete Duldung ohne „Perspektive für eine Nutzung über den | |
genannten Termin hinaus“ lehnt der Bezirk jedoch ab, so Sozialstadtrat | |
Carsten Spallek (CDU) zur taz. Solange der Eigentümer von seinen | |
Forderungen nicht abrücke, seien Gespräche „nicht zielführend“. Ob die | |
Arcadia – wie zuvor angekündigt – mittlerweile rechtliche Schritte | |
eingeleitet hat, ist dem Bezirk nicht bekannt. Auf eine Anfrage der taz | |
reagierte der Immobilienkonzern nicht. Ohne Einigung ist eine Räumung im | |
Prinzip jederzeit möglich. | |
Der Sozialträger „Neue Chance“ musste sein Büro im Erdgeschoss bereits | |
verlassen. Auch die Finanzierung wurde eingestellt. Die Beratung findet | |
jetzt „im Notbetrieb“ ein paar Häuser weiter statt, wie auf einem Zettel an | |
der Haustür zu lesen ist. | |
Die verbliebenen zwölf Altmieter*innen, die zum Teil seit fast 20 | |
Jahren in dem Haus wohnen, haben eine Verwertungskündigung zum 1. Mai | |
bekommen. Gemeinsam mit dem Mieterverein prüfen sie rechtliche Schritte | |
gegen ihren Rausschmiss. Bis die Gerichte über die Gültigkeit ihrer | |
unbefristeten Mietverträge entscheiden, könnten Jahre vergehen. So lange | |
kann die Arcadia weder abreißen noch wie geplant Luxuswohnungen errichten. | |
Die Bewohner*innen wollen nun eine Rekommunalisierung des Gebäudes | |
erreichen, das 2006 vom Land Berlin für zwei Millionen Euro verkauft und | |
2017 für das Zehnfache an die Arcadia weiterverkauft wurde. Auf der | |
nächsten Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 15. Dezember steht das | |
Obdachlosen-Wohnprojekt auf der Tagesordnung. Während die | |
Bewohner*innen draußen eine Kundgebung abhalten wollen, will die Linke | |
im Rathaus die Einrichtung eines Runden Tischs beantragen. Bereits vor zwei | |
Jahren hatte die BVV eine Rekommunalisierung beschlossen. Passiert ist | |
seitdem jedoch nichts. | |
Laut Stadtrat Spallek sind dafür im Bezirkshaushalt „keinerlei finanziellen | |
Mittel vorhanden“, und es gebe auch keine Anzeichen, dass der Senat die | |
Kosten übernimmt. In der Senatsverwaltung für Finanzen zeigt man sich | |
überrascht. Bislang sei „kein Antrag auf Erwerb des Grundstücks gestellt | |
worden, auch nicht vom Bezirk Mitte“, so ein Sprecher zur taz. | |
Doch nicht nur von außen droht der Habersaathstraße 40–48 der Abriss, auch | |
innerhalb des Hauses gibt es Konflikte. Laut dem Vorsitzenden des | |
Mieterrats, Daniel Diekmann, kommt es sowohl zwischen den Obdachlosen als | |
auch zwischen einigen der Neu- und den Altmieter*innen immer wieder zu | |
Streitigkeiten. Dabei sollen auch schon Türen aufgebrochen und Drohungen an | |
die Wände gesprüht worden sein. | |
## Läuft erstaunlich gut | |
„Uns war klar, dass es schwierig wird“, sagt Valentina Hauser von der | |
Initiative „Leerstand Hab-ich-saath“. Viele der neuen Bewohner*innen | |
würden Suchterkrankungen, Gewalterfahrungen und Traumata mitbringen. | |
Angesichts dessen liefe es erstaunlich gut. Und dass durch das Projekt 60 | |
Menschen von der Straße in eine eigene Wohnung geholt werden konnten, sei | |
ein großer Erfolg: „Für viele hat das ihr Leben verändert, sie sind clean | |
oder trocken geworden und haben sich einen Job oder eine Ausbildung | |
gesucht.“ | |
Noch bis zum 8. Dezember findet in Berlin die Strategiekonferenz | |
Wohnungslosenhilfe statt, auf der beraten wird, wie Obdachlosigkeit bis | |
2030 abgeschafft werden kann. Wenn der Senat es ernst damit meine, müsse | |
das Projekt gerettet werden, sagt Hauser. „Sonst gibt es bald 60 Obdachlose | |
mehr.“ | |
5 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Projekt-gegen-spekulativen-Leerstand/!5828915 | |
[2] /Streit-um-Habersaathstrasse/!5861054 | |
[3] /Abwahl-des-Buergermeisters-von-Mitte/!5880988 | |
[4] /Abwahl-des-Buergermeisters-von-Mitte/!5880988 | |
## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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