| # taz.de -- Demokraten gewinnen US-Senat: Der Trumpismus wankt | |
| > Donald Trump gilt vielen Republikanern als Grund für den verpassten | |
| > Wahlsieg. Und doch ist nicht ausgemacht, dass er mit seiner Bewegung am | |
| > Ende ist. | |
| Bild: Der Trumpismus liegt nach der Niederlage der Republikaner am Boden | |
| Wer nach einem Beispiel für eine gänzlich unerwartete, peinliche, geradezu | |
| desaströse Klatsche sucht, der wird seit heute in den USA fündig. Dass die | |
| Republikaner nach monatelangem Gefasel von einem Erdrutschsieg bei den | |
| Halbzeitwahlen inklusive vorauseilendem Triumphgeheul den US-Senat nun | |
| nicht nur einfach nicht gewinnen konnten, sondern im schlimmsten Fall nun | |
| auch noch mit einer geschrumpften Fraktion in die kommenden zwei Jahre | |
| gehen, ist ein Desaster historischen Ausmaßes. | |
| Erfahrungsgemäß muss der amtierende Präsident ab den Halbzeitwahlen gegen | |
| eine Senatsmehrheit der Oppositionspartei regieren – eine Spielart des | |
| angelsächsischen Checks and Balances-Tradition. Unter Ronald Reagan | |
| verloren die Republikaner die Senatsmehrheit 1987 in der Mitte der zweiten | |
| Legislaturperiode ihrer Parteiikone an die Demokraten. | |
| George H.W. Bush regierte komplett gegen eine oppositionelle Mehrheit, Bill | |
| Clinton verlor den Senat 1995 nach zwei Jahren an die Republikaner und | |
| konnte ihn auch 1999 nicht zurückgewinnen. George W. Bush verlor die | |
| Mehrheit im Senat wie Reagan in der Mitte seiner zweiten Amtszeit 2007 an | |
| die Demokraten, Barack Obama nach zwei Jahren im Amt 2011 an die | |
| Republikaner. | |
| Der erste Präsident seit Jimmy Carter, dem glücklosen und nach nur einer | |
| Amtszeit abgewählten Demokraten, der die Mehrheit der eigenen Partei im | |
| Senat halten konnte, war mit Donald Trump im Jahr 2019 ausgerechnet der | |
| erste Mann im Weißen Haus seit Carter, der ebenfalls nach nur vier Jahren | |
| aus dem Amt gewählt wurde. Genau dieser Donald Trump gilt vielen als | |
| verantwortlich dafür, dass mit Joe Biden nun auch sein Nachfolger wohl die | |
| Senatsmehrheit seiner Partei verteidigt. | |
| ## Die „Rote Welle“ bleibt aus | |
| Schließlich hatte sich Trump nach seiner Abwahl in einer Mischung aus Furor | |
| und Hybris [1][nicht mit der Rolle des Besiegten abgefunden], sondern | |
| mischte sich seither auf unverschämte Weise in die Bestellung des | |
| republikanischen Kandidatenfeldes ein. Und drückte per Empfehlung gemeinsam | |
| mit seiner fanatischen Anhängerschaft an der Parteibasis Dutzende | |
| Kandidatinnen und Kandidaten durch, die seine Lüge vom Wahlbetrug nachbeten | |
| und ließ jene abstrafen, die den Mut zur Wahrheit hatten. | |
| [2][Liz Cheney], [3][Lisa Murkowski] und Mitt Romney seien stellvertretend | |
| genannt. Die Midterms wollte Trump als eine triumphale Krönungsmesse für | |
| seine erneute Präsidentschaftskandidatur nutzen und kündigte im direkten | |
| Dunstkreis des landesweiten Urnengangs selbstherrlich eine Bekanntmachung | |
| an, die seine Basis „glücklich machen“ werde. Ausgemacht war: Trump gibt | |
| seinen Einstieg ins Rennen 2024 bekannt. | |
| Surfen wollte er dabei auf einer [4][„Roten Welle“], einem Durchmarsch | |
| seiner Republikaner bei den Halbzeitwahlen also, bei denen er beide | |
| Parlamentskammern erobern und damit Joe Bidens Regierung faktisch lahmlegen | |
| wollte. Stattdessen liegen die Pläne der Republikaner nun in Trümmern, die | |
| Demokraten konnten ihre Senatsmehrheit verteidigen und haben es gar in der | |
| Hand, ihre Mehrheit am 6. Dezember auf 51 von 100 Sitzen (bisher oblag es | |
| Vizepräsidentin Harris, als Senatspräsidentin das 50/50-Patt zugunsten der | |
| Demokraten zu brechen) auszubauen. | |
| Sollte Georgia dann auch an die Demokraten gehen, könnte zudem der als | |
| verkappter Republikaner geltende demokratische Senator [5][Joe Manchin] | |
| ausgebremst werden, der mit seiner Stimme so ziemlich jedes sinnvolle | |
| Gesetzesvorhaben behinderte. | |
| Die Vorstädte senken den Daumen über Trump | |
| Was ist da passiert? Die Antwort liegt auf der Hand: Zwar gelang es Trump, | |
| die traditionsreiche republikanische Partei mit der Hilfe seiner | |
| fanatischen Koalition aus Rechtsextremisten, Verschwörungsgläubigen und | |
| Rassisten an der Basis zu unterjochen. Was er dabei übersah: Die | |
| Wählerschaft der Republikaner tickt nicht landesweit so dermaßen widerlich, | |
| wie es seine Anhängerschaft zelebriert. | |
| In den gutbürgerlichen Trabanten-, Vor- und Schlafstädten rund um die | |
| urbanen Zentren wandten sich traditionell den Republikanern zugewandte | |
| weiße Mittelschichten angewidert vom Getöse Trumps und dessen schriller | |
| Gefolgschaft ab. Auffällig oft verloren die Republikaner dort enge Rennen, | |
| wo besonders trumphörige Kandidatinnen und Kandidaten das Lied ihres Gurus | |
| sangen, von Wahlbetrug palaverten und in ihrem Wahlkampf das Gespenst des | |
| Kommunismus heraufbeschworen. | |
| ## Der parteiinterne Rückhalt bröckelt | |
| Schon reden Republikaner offen und hinter vorgehaltener Hand davon, dass | |
| Trump die eigentlich sichere Mehrheit in beiden Häusern vermasselt habe. | |
| Landauf und landab tönt die Forderung immer lauter, die republikanische | |
| Partei müsse sich nun erneuern, um 2024 kampagnen- und siegfähig zu sein. | |
| Dabei schwingt eine gewisse Ironie mit, hat sich diese Partei doch erst mit | |
| Trumps Aufstieg während der republikanischen Vorwahlen 2016 und schließlich | |
| mit dessen [6][Wahlsieg im November desselben Jahres] demaskiert. | |
| Aus einer zuvor zumindest nach außen hin staatstragenden, | |
| rechts-konservativen Partei wurde eine an der Basis zu großen Teilen | |
| rechtsextreme Politsekte. Die meisten Würdenträger in Senat und | |
| Repräsentantenhaus ordneten sich widerstrebend, oft zähneknirschend unter, | |
| immer mit dem Blick auf eigene Pfründe und Wiederwahlchancen. | |
| Jetzt scheint diese Zweckgemeinschaft zu bröckeln. Bereits zum zweiten Mal | |
| ist Trump ein Verlierer und der Mann, der seine Partei in die Niederlage | |
| poltert. Wieder ist er es, der die Schuld auf andere schiebt und sich | |
| selbst als Opfer darstellt. Und wieder ist es Trump, der sich seiner Sache | |
| darin sicher ist, dass seine ihm blind folgenden Fans diese Masche | |
| schlucken werden. | |
| Ob das funktioniert? [7][Ron DeSantis], der mit eindrucksvoller Zustimmung | |
| wiedergewählte Gouverneur von Florida, wetzt bereits die Messer. Er will | |
| Trump dem Vernehmen nach lieber früher als später als starken Mann der | |
| Republikaner ablösen und 2024 selbst ins Rennen um die Präsidentschaft | |
| gehen. Für ihn spricht, dass seine Ansichten nicht weniger rechts, abwegig | |
| und widerlich sind als die seines Gegenspielers, er selbst aktuell aber als | |
| Gewinner dasteht. Damit könnte er Trumps Basis zum Überlaufen bewegen. | |
| Trump ist noch nicht am Ende | |
| Dennoch soll niemand glauben, dass sich Trump seine Fußtruppen kampflos | |
| abjagen lässt. Er wird alles daran setzen, auch diese erneute Schmach | |
| auszuradieren und nun erst recht Gift versprühen, beleidigen, mit seinen | |
| Schlägen zielsicher unter die Gürtellinie seiner Gegner zielen. Nicht | |
| zufällig signalisierte er bereits, dass niemand so viel Schmutz über | |
| DeSantis auskippen könne wie er selbst und dass er dies zu tun gedenke, | |
| sollte es der Volkstribun aus dem Sunshine State tatsächlich wagen, gegen | |
| ihn ins parteiinterne Rennen zu gehen. | |
| Über Donald Trump lässt sich verlässlich zu Recht so viel Schlechtes sagen. | |
| Der Immobilienmogul ist ein [8][Frauenfeind], ein [9][Rassist], ein Egoist, | |
| dem nichts näher steht als er selbst. Trump ist skrupellos, hinterlistig, | |
| vulgär und bösartig. Aber eines kann dieser Mann aus New York wie kaum ein | |
| anderer: in Bedrängnis zur Gegenoffensive übergehen. | |
| Die Chancen stehen tatsächlich nicht schlecht, dass er den Trumpismus am | |
| Leben halten und mit seinen Fans die Regentschaft über die Partei retten | |
| kann. Den Demokraten wäre das fast zu wünschen. Denn die Menschen in den | |
| USA haben Trump und sein Großmaul satt. Sie wollen einen Neuanfang. | |
| 13 Nov 2022 | |
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| [5] /US-Demokrat-Joe-Manchin/!5823152 | |
| [6] /taz-Liveticker-zur-US-Wahl-2016/!5355525 | |
| [7] /Midterms-in-Florida/!5894241 | |
| [8] /Womens-March-in-den-USA/!5478649 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mirko Schmid | |
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