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# taz.de -- Karlsruhe zu Sozialleistungen: Mehr Geld für Flüchtlinge in Heimen
> Das Bundesverfassungsgericht kippt Leistungssenkungen für Menschen in
> Sammelunterkünften. Sie wirschafteten nicht „aus einem Topf“, so die
> Begründung.
Bild: Wer hier wohnt, bekommt etwas mehr Geld: Flüchtlingsunterkunft in Freibu…
Freiburg taz | Viele Asyl-Antragsteller:innen in Sammelunterkünften
bekommen ab sofort mehr Sozialleistungen. Das Bundesverfassungsgericht hat
die seit 2019 geltende zehn-prozentige Absenkung der Leistungen für
Bewohner von Flüchtlingsheimen für verfassungswidrig erklärt. Die Annahme,
die Flüchtlinge könnten „aus einem Topf“ wirtschaften, sei nicht empirisch
belegt.
Flüchtlinge, die sich legal mehr als 18 Monate in Deutschland aufhalten,
bekommen laut Asylbewerberleistungsgesetz derzeit 448 Euro pro Monat,
entsprechend dem Hartz IV-Satz.
Seit einer Gesetzesänderung im September 2019 bekommen Flüchtlinge, die in
[1][Sammelunterkünften und Heimen] leben, allerdings zehn Prozent weniger
Geld, derzeit also 404.10 Euro. Begründung: sie könnten beim Einkaufen,
Kochen und Putzen gemeinsam wirtschaften. Wer Familienpackungen nutzt,
braucht weniger Geld. Auch alleinstehende Flüchtlinge werden damit
behandelt wie Ehepaare, die gemeinsam in einer Wohnung leben.
Die damals regierende Koalition aus CDU/CSU und SPD [2][fand das
wirtschaften „aus einem Topf“ auch zumutbar], schließlich seien die
Flüchtlinge eine „Schicksalsgemeinschaft“. Da könne erwartet werden, dass
sie sich solidarisieren, um Spar- und Synergieeffekte zu erzielen.
## 40.000 Flüchtlinge profitieren
Schon im Gesetzgebungsverfahren gab es allerdings verfassungsrechtliche
Zweifel, vom DGB über die Kirchen bis zu Pro Asyl. Die Annahme des
gemeinsamen Wirtschaftens sei in hohem Maße unrealistisch. Dagegen spreche
die hohe Fluktuation in den Unterkünften und auch die Herkunft aus
verschiedenen Kulturkreisen. Wer unterschiedliche Essgewohnheiten und
sonstige Bedürfnisse hat, kann beim Einkauf auch nicht sparen.
Im konkreten Fall ging es um einen Mann aus Sri Lanka, der seit 2014 in
Deutschland lebt. Sein Asylantrag ist abgelehnt, er war dann geduldet und
hat inzwischen ein Aufenthaltsrecht. 2019 lebte er in einer Unterkunft mit
sieben weiteren Männern zusammen, vier kamen aus Eritrea und je einer aus
Guinea, Somalia und dem Irak. Sie teilten nichts.
Das Sozialgericht Düsseldorf hielt die Neuregelung von 2019 für
verfassungswidrig und legte das Verfahren deshalb dem
Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Die Düsseldorfer Richter:innen
nutzten dabei eine Mustervorlage der [3][Gesellschaft für Freiheitsrechte
(GFF)].
Nun hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die entsprechende
Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz beanstandet. Die Absenkung sei
nicht gerechtfertigt. Auch drei Jahre nach Inkrafttreten der Regelung gebe
es keine empirischen Erkenntnisse, dass Flüchtlinge in
Gemeinschaftsunterkünften Einsparungen erzielen können. Die zehnprozentige
Kürzung ihrer Leistungen verletze daher das „Grundrecht auf Gewährleistung
eines menschenwürdigen Existenzminimums“.
Von der Entscheidung profitieren nach Angaben im Karlsruher Beschluss
unmittelbar rund 40.000 Menschen, die sich länger als 18 Monate in
Deutschland aufhalten.
GFF-Expertin Sarah Lincoln fordert, dass auch Flüchtlinge, die weniger als
18 Monate in Deutschland sind, von dem Beschluss profitieren sollen, wenn
sie in Sammelunterkünften leben. Sie bekommen derzeit ungekürzt 367 Euro
und wenn sie in einem Asylheim leben nur 330 Euro. Über diese Konstellation
hat das BVerfG nicht entschieden, weil der Mann aus Sri Lanka schon seit
2014 in Deutschland lebt.
Dass Flüchtlinge in den ersten 18 Monaten knapp zwanzig Prozent weniger
Sozialleistungen bekommen, ist ebenfalls umstritten. Das
Landessozialgericht Niedersachsen/Bremen hält auch dies für
verfassungswidrig. Hierüber wird Karlsruhe in einem anderen Verfahren
entscheiden. Az.: 1 BvL 3/21
24 Nov 2022
## LINKS
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[3] /NGO-moniert-Hartz-IV-fuer-Fluechtlinge/!5713121
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Bundesverfassungsgericht
Unterbringung von Geflüchteten
Sozialleistungen
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