| # taz.de -- Homeoffice an der Adria: Endlich Workation | |
| > Warum Regen, wenn's anderswo noch schön ist? Unser Autor darf endlich von | |
| > seinem liebsten Ort aus arbeiten – und hätte damit gar nicht mehr | |
| > gerechnet. | |
| Bild: „Schönen Feierabend!“: Blick über die Dächer von Koper | |
| Am Morgen vor der ersten taz-Konferenz ist es noch nicht so voll am | |
| Stadtstrand von Koper, nur ein paar ältere Damen mit aufwendigen Frisuren, | |
| die keinesfalls nass werden dürfen, ziehen ihre Kreise. Die ich dann mit | |
| meinen Bahnen störe. Frühsport in der Adria statt im Berliner Prinzenbad, | |
| denn während sich die Damen im Anschluss an das Bad in ihre Sarongs | |
| wickeln, um Kette zu rauchen und Espressi zu trinken, gönne ich mir nur | |
| rasch einen „Bela Kava“, bevor ich wieder nach oben in die Wohnung gehe. | |
| Beziehungsweise in mein Redaktionsbüro, das auch als Schlafzimmer dient. | |
| Von dort aus blickt man über die Dächer Kopers, einer slowenischen | |
| Hafenstadt, die eine Anmutung von Venedig hat. Und durch meinen VPN-Tunnel | |
| blicke ich direkt nach Kreuzberg in die taz-Redaktion oder zumindest in die | |
| Wohn- und Arbeitszimmer meiner Kolleg*innen, die von zu Hause tätig sind. | |
| Zoom-Konferenz. | |
| Die DKB-Bank hat gerade verkündet, dass ihre Mitarbeiter in Zukunft | |
| aufgrund einer Betriebsvereinbarung [1][30 Tage im Jahr im Ausland arbeiten | |
| dürfen, egal wo], und dass es in Absprache mit den Vorgesetzten und wenn es | |
| passt, gerne auch mehr Tage sein dürfen. Die Bank tut das, damit ihre | |
| Mitarbeiter*innen glücklich sind, und vor allem auch deshalb, weil es | |
| aufgrund des akuten Fachkräftemangels immer schwieriger wird, | |
| Mitarbeiter*innen überhaupt noch zu drangsalieren, auch nicht mit | |
| einer Präsenzpflicht am Montag. | |
| Während CEOs eine Neigung zur Überwachung der durch ihre Untergebenen | |
| erbrachte Leistung in besagter Präsenz haben, tendieren die Angestellten | |
| spätestens seit Corona nicht nur zum working at home, sondern auch zum | |
| working abroad: Warum den November im Nieselregen verbringen, während | |
| anderswo noch die Sonne scheint und man draußen sitzen kann? Vor allem, | |
| wenn man keine schulpflichtigen Kinder hat und eine Bewässerungsanlage für | |
| die Balkonpflanzen? | |
| So wie ich. Nie im Traum wäre ich früher auf die Idee gekommen, dass ich | |
| einmal dort meine Arbeit verrichten werde, wo andere (ich auch) gerne ihren | |
| Urlaub verbringen. Der Traum, der meiner Generation aufgedrängt worden war, | |
| bestand ja eher darin, eine Work-Life-Balance herzustellen, indem man die | |
| Barriere zwischen Arbeit und Privatleben aufhob. Man bekam also | |
| Billardtische, Sofas und Espressomaschinen ins Büro gestellt, während zu | |
| Hause der Laptop mit dem Dienst-Mail-Account zwischen Wohn- und | |
| Schlafzimmer hin- und hervagabundierte. Von einem Ortswechsel aber war nie | |
| die Rede, Mittelmeer bitte schön nur im Urlaub, gibt ja das Prinzenbad. | |
| Nun bin ich also fast 50, und der Traum von Freiheit und Sicherheit, einer | |
| Einheit von Privatleben und Arbeit wird doch noch wahr. Die taz, mein | |
| Arbeitgeber, schenkt mir, dass ich mehr Zeit meines Lebens an dem Ort | |
| verbringen kann, an dem ich glücklich bin. Zusammen mit meinem Mann, der | |
| Slowene ist und ebenfalls in Koper und Berlin arbeitet. | |
| Wenn ich hier bin, gehe ich zum Mittagessen nicht in die hervorragende | |
| taz-Kantine, sondern in [2][eines der kleinen Restaurants] der Stadt mit | |
| preiswerten Mittagsgerichten, Pasta mit frischen istrischen Trüffeln zum | |
| Beispiel. Und heute Mittag ist eine Kehrmaschine an mir vorbeigefahren, die | |
| einen Duft nach Thymian und Rosmarin hinter sich her ventilierte – wie es | |
| gerade in Berlin riecht, versuche ich mir gar nicht erst vorzustellen. Aber | |
| dafür habe ich auch keine Zeit, die Sonne geht demnächst unter und ich will | |
| noch mal ins Meer, das immer noch zwanzig Grad hat. Einen schönen | |
| Feierabend. | |
| 14 Nov 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Martin Reichert | |
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