# taz.de -- Wirtschaftsprognose für 2023: Weise Ratschläge an die Ampel | |
> Die ökonomischen Folgen von Krieg und Inflation fallen geringer aus als | |
> gedacht. Die Wirtschaftsweisen raten zu einer Reichensteuer – und zu | |
> Atomkraft. | |
Bild: Strahlende Aussichten: Die Wirtschaftsweisen empfehlen der Ampel, auf Ato… | |
BERLIN taz | Die Inflation bleibt zwar heftig, aber insgesamt rutscht | |
Deutschland nicht in eine dramatische Wirtschaftskrise. Das prognostizieren | |
die Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten, für 2023. Die fünf | |
Ökonomie-ProfessorInnen sagen eine leichte Schrumpfung der | |
Wirtschaftsleistung für kommendes Jahr voraus. Zur Bewältigung der | |
[1][Kriegs- und Energiekrise] machten sie außerdem einige kontroverse | |
Vorschläge: längere Betriebszeiten der drei noch laufenden Atomkraftwerke, | |
weitere Aussetzung der Schuldenbremse, [2][mehr Steuern auf hohe | |
Einkommen]. | |
Um 0,2 Prozent könnte das Bruttoinlandsprodukt nächstes Jahr zurückgehen, | |
schreiben Veronika Grimm, Ulrike Malmendier, Monika Schnitzer, Achim Truger | |
und Martin Werding in ihrem Jahresgutachten. Auch die Inflationsrate soll | |
etwas sinken – von 8 Prozent in diesem Jahr auf 7,4 Prozent 2023. | |
Nach ihrer Einschätzung hinterlassen [3][der russische Krieg], die damit | |
zusammenhängende Explosion der Energiepreise und die weltwirtschaftlichen | |
Spätfolgen der Coronakrise hierzulande zwar Spuren. Aber die Katastrophe | |
bleibe aus: „Eine breite Deindustrialisierung des Standorts Deutschland ist | |
nicht zu befürchten.“ | |
Auch für den Arbeitsmarkt gab es verhalten positive Ausblicke. Trotz aller | |
Probleme soll die Zahl der Erwerbstätigen weiter steigen, von 45,5 (2022) | |
auf 45,6 Millionen im nächsten Jahr. Die sozialversicherungspflichtige | |
Beschäftigung nehme wohl ebenfalls leicht von 34,5 auf 34,6 Millionen | |
Personen zu. Die Arbeitslosenquote wachse nur marginal von 5,3 auf 5,4 | |
Prozent. | |
Die erstaunliche Entwicklung der vergangenen Jahre setzt sich damit | |
tendenziell fort. Den Unternehmen geht es gut, im internationalen Vergleich | |
sind sie so konkurrenzfähig, dass sie auch in einer Krise mehr Leute | |
brauchen. Und: Es herrscht Mangel an Leuten, die arbeiten wollen. Ohne | |
zusätzliche Erwerbsmigration und berufliche Weiterbildung blieben die | |
Fachkräfteengpässe dauerhaft bestehen und würden zunehmen. Die Empfehlung | |
des Sachverständigenrats an die Politik lautet deshalb auch, Einwanderung | |
zu erleichtern und die gegenwärtig Anforderungen an die Gleichwertigkeit | |
ausländischer Berufsabschlüsse zu lockern. | |
Über ihre Bestandsaufnahme hinaus sparten die ProfessorInnen nicht mit | |
Ratschlägen an die Politik. Dazu gehört der Vorschlag, die drei noch | |
laufenden Atomkraftwerke länger zu betreiben – über das von der | |
Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP festgelegte Enddatum des 15. April | |
2023 hinaus. Argument der ÖkonomInnen: Energie ist gerade teuer, weil sie | |
knapp ist. Also müsse die Politik alles dafür tun, das Angebot zu erhöhen. | |
Laufen die drei Blöcke weiter, könne der Strompreis alleine deshalb „um 8 | |
bis 12 Prozent“ sinken, heißt es im Gutachten. Mit dieser Idee haben die | |
Grünen Probleme. | |
Andere Ratschläge sind vor allem für die FDP schwierig. „Ein Aussetzen der | |
Schuldenbremse ließe sich im Jahr 2023 aufgrund der Folgen der Energiekrise | |
erneut rechtfertigen“, sagen die Weisen. Bundesfinanzminister Christian | |
Lindner (FDP) will die Schuldenregel im Grundgesetz im nächsten Jahr | |
erstmals nach Corona aber unbedingt einhalten. Die für die Gas- und | |
Strompreisbremse nötigen Schulden verbucht er deshalb teilweise in diesem | |
Jahr, in Gestalt eines Sondervermögens neben dem Bundeshaushalt. | |
Ebenfalls kontrovers: „Aktuell geht es um eine zielgenaue Entlastung | |
unterer und mittlerer Einkommensgruppen, und die öffentlichen Haushalte | |
sollten nicht überstrapaziert werden“, sagte Achim Truger, Professor aus | |
Duisburg. „Daher sollte der Abbau der kalten Progression auf einen späteren | |
Zeitpunkt verschoben werden.“ Lindner will 2023 eine Steuerentlastung | |
umsetzen, die auch Wohlhabende und Reiche begünstigt. Die Sachverständigen | |
haben das Gegenteil im Sinn. Truger: „Einkommensstarke Haushalte könnten | |
auch streng befristet über einen Energie-Solidaritätszuschlag oder eine | |
Erhöhung des Spitzensteuersatzes an der Finanzierung der | |
Entlastungsmaßnahmen beteiligt werden.“ | |
Parallel zur Präsentation des Gutachtens erklärte Lindner: „Die | |
Bundesregierung beabsichtigt nicht, Steuern zu erhöhen. Im Gegenteil: Wir | |
geben inflationsbedingte Mehreinnahmen zurück.“ Die Steuerentlastung werde | |
nächstes Jahr rund 16 Milliarden Euro betragen. Der Finanzminister erhielt | |
Unterstützung von PolitikerInnen der Union und Wirtschaftsverbänden. | |
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte dagegen, die Erhöhung des | |
Spitzensteuersatzes für zwei Jahre sei eine „sehr interessante Idee“. | |
9 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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