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# taz.de -- Skandale im öffentlichen Rundfunk: Mehr Demokratie in die Medien!
> Die Strukturen beim Rundfunk sind archaisch, Beschäftigte haben kaum
> Mitbestimmung. Lernen könnte man von DAX-Unternehmen und Universitäten.
Bild: Freie Mitarbeitende protestieren vor einer Sondersitzung des RBB-Rundfunk…
Der öffentliche Rundfunk hat – [1][das haben die letzten Monate
überdeutlich gezeigt] – ein Governance-Problem: Das System seiner
Unternehmensführung überzeugt nicht, schon gar nicht im Krisenmodus. Dabei
hatte man sich ja seit Jahrzehnten an ein System von Rundfunk- und
Verwaltungsräten gewöhnt, an Intendanten und Direktoren, die die Flotte der
Sendeanstalten mehr oder minder auf Kurs hielten.
Doch spätestens nach dem großen Knall im RBB erweisen sich die
Führungsstrukturen als archaisch: Die sogenannte Intendantenverfassung
ermöglicht einsame Entscheidungen an der Spitze, wie sie nicht einmal in
den vorstandsgeführten Aktiengesellschaften möglich sind. [2][Die
Kontrollstrukturen sind laienhaft und ineffizient]. Und in der Krise fällt
auch auf: Die Beschäftigten der Sender haben bei all dem fast nichts zu
sagen, denn Mitbestimmung ist ihnen verwehrt. Das Problem geht auf
historische Entscheidungen zurück.
In (West-)Deutschland wurde nach dem Krieg – zur Eindämmung der Macht der
Ruhrbarone, der Kohle-, Stahl- und Rüstungsmagnaten – die
Montanmitbestimmung eingeführt. Die sozialliberale Koalition erweiterte die
paritätische Mitbestimmung 1976 auf alle Unternehmen –
Aktiengesellschaften, GmbHs und Genossenschaften – mit in der Regel mehr
als 2.000 Beschäftigten. Ob Allianz oder VW, ob Deutsche Bank oder Siemens:
Die Mehrheit der DAX-Unternehmen unterliegt der paritätischen
Mitbestimmung, und Hunderte weitere Unternehmen auch. Das bedeutet, dass
die Beschäftigten die Hälfte der Mandate in den Aufsichtsräten besetzen
können und auch mindestens ein Mitglied der Geschäftsleitung, den
Arbeitsdirektor. Doch die Funkhäuser waren keine AGs, GmbHs oder
Genossenschaften – sie sind nach öffentlichem Recht organisiert, nicht nach
Privatrecht.
Aber auch die privaten Medienunternehmen der Größenordnung 2.000+ blieben
außen vor bei der Mitbestimmung. Denn schon im ersten Paragrafen des
Mitbestimmungsgesetzes werden einige Ausnahmen festgeschrieben: „Dieses
Gesetz ist nicht anzuwenden auf Unternehmen, die unmittelbar und
überwiegend […] Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf
die Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes anzuwenden ist, dienen.“
Dieser Gedanke war sinngemäß schon im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 zu
finden, wo im sogenannten Tendenzschutzparagrafen festgehalten wurde, dass
in solchen Betrieben die Rechte des Betriebsrates nur eingeschränkt gelten
– ein Paragraf zum Wohlgefallen der Verleger, der auch die Modernisierung
des Gesetzes 1972 überlebte.
## Seit 50 Jahren nicht viel getan
Seit 50 Jahren also hat sich in Sachen Mitbestimmung bei den Medien nicht
mehr viel getan. Doch das muss nicht so bleiben. Auch nicht beim
öffentlichen Rundfunk, der bekanntlich nicht als Aktiengesellschaft
organisiert ist, sondern zumeist als Anstalt des öffentlichen Rechts. In
deren Gremien gibt es zwar gelegentlich Sitze, aber kaum eine Stimme für
die Beschäftigten – schon gar nicht paritätische Mitbestimmung. Bei aller
Diskussion über Staatsferne des Rundfunks: Es ist die Politik, die die
rechtlichen Grundlagen aller Funkhäuser bestimmt.
Dabei könnte die Politik sich etwas abschauen von Deutschlands
Universitäten. Die waren in den 50er Jahren noch reine
Ordinarien-Universitäten, in denen die Herren Professoren den Betrieb
weitgehend im Alleingang regelten. Erst in den 60er und 70er Jahren setzte
sich die „Gruppenuniversität“ durch, bei der Professoren, Studenten,
Wissenschaftliche und sonstige Mitarbeiter in den Uni-Gremien mit zunächst
gleichem Gewicht vertreten waren. Allerdings setzte das
Bundesverfassungsgericht dem 1973 – erneut mit Verweis auf Artikel 5 des
Grundgesetzes (diesmal: Wissenschaftsfreiheit) – Grenzen. In Kernfragen von
Forschung und Lehre dürften die Träger der Wissenschaftsfreiheit – und
dafür hielt das Gericht die Professoren – nicht überstimmt werden. Hieß es
damals. Und heißt es noch heute.
## Paritätische Mitbestimmung
Übertragen wir diese Gedanken mal auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
der Bundesrepublik. Rufen wir also nach paritätischer Mitbestimmung in den
Sendern. Am Ende der Debatte könnte dann ein Modell stehen, bei dem 50
Prozent der Sitze in den Gremien, in Rundfunk- und Verwaltungsräten durch
sachkundige Vertreter der Öffentlichkeit, aus Politik und Gesellschaft,
besetzt werden – nicht durch medienpolitisch oft ahnungslose Amateure, wie
sie bisher immer wieder durch Verbände, Parteien und Institutionen entsandt
worden sind.
Die anderen 50 Prozent bekommen die Beschäftigten: das administrative
Personal, das technische Personal, das redaktionelle Personal. Und weil die
Sender nun mal Ausdruck der Pressefreiheit sind, wären es diesmal die
Redakteure, die in Programmfragen nicht überstimmt werden dürften.
Mitbestimmung schützt nicht zwangsläufig vor weiteren Skandalen. Und auch
paritätisch besetzte Aufsichtsräte in der deutschen Wirtschaft haben
[3][exorbitante Managergehälter gebilligt]. Insofern bedarf es begleitender
Regeln – dass beispielsweise ein Intendant, eine Intendantin nicht mehr
verdienen darf als der Ministerpräsident des Landes, in dem sie senden. Und
ein Mitglied des Direktoriums nicht mehr als ein Mitglied des
Landeskabinetts. Mitbestimmung ist kein Allheilmittel, aber sie gibt jenen
Verantwortung, die am Ende die Fehler ausbaden müssen – wie jetzt im RBB.
Und beim RBB wird der Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg ohnehin
gerade neu verhandelt: eine perfekte Chance für mehr Mitbestimmung.
Der Autor arbeitet seit 1982 – mit Unterbrechungen – frei für den SFB/RBB.
Von 2016 bis 2020 war er Vorsitzender des Journalistenverbands
Berlin-Brandenburg
8 Nov 2022
## LINKS
[1] /Schlesinger-Affaere-beim-RBB/!5873272
[2] /RBB-in-der-Krise/!5873629
[3] /Kommentar-Managergehaelter/!5071247
## AUTOREN
Christian Walther
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