| # taz.de -- Belarussische Künstlerin im Exil: Aktiv gegen erzwungenen Stillsta… | |
| > DJ und Veranstalterin Ludmila Pogodina hält die subkulturelle Diaspora | |
| > ihrer Heimat Belarus zusammen – vom Berliner Exil aus. Porträt einer | |
| > Rastlosen. | |
| Bild: Lidschatten gegen Lukanschenko: DJ Ludmila Pogodina | |
| Für Ludmila Pogodina war der Name des Partykollektivs, das sie in ihrer | |
| Heimatstadt Minsk ins Leben gerufen hat, viele Jahre programmatisch: | |
| #keepminskweird nennt sich die Gruppe, mit der sie bis vor Kurzem | |
| Punkshows, DJ-Abende, Kostümpartys und Festivals in der belarussischen | |
| Hauptstadt veranstaltete. Die Reihe war ein [1][kleiner Lichtschimmer im | |
| Lukaschenko-Land]. | |
| Heute, gut zwei Jahre nach der gescheiterten belarussischen Revolution und | |
| den damit einsetzenden krassen Repressionen, ist das Kollektiv in seinem | |
| Heimatland nicht mehr aktiv. Pogodina selbst lebt seit April 2022 in | |
| Berlin. „Unsere Gruppe ist momentan über Polen, Litauen und Deutschland | |
| verstreut, die meisten sind in der Diaspora“, sagt die 38-Jährige, die zum | |
| Gespräch in ein Café in Prenzlauer Berg gekommen ist. | |
| „Wir sind aber weiter in Kontakt miteinander und versuchen im Ausland | |
| Veranstaltungen zu machen.“ In Berlin wird dies kommenden Sonntag der Fall | |
| sein: Dann findet unter dem Titel „Weird Fem Division“ ein Konzertabend in | |
| der Panke im Berliner Bezirk Wedding statt. Pogodina wird als DJ dabei | |
| sein. | |
| ## Klassische Multicheckerin | |
| Ludmila Pogodina ist eine Multifunktionskulturschaffende, deren Output kaum | |
| zu überschauen ist: Sie ist Veranstalterin und DJ, verantwortet einen | |
| Podcast, ist [2][Kuratorin beim Kurzfilmfestival „Interfilm“], Fotografin | |
| und Journalistin. Aktuell arbeitet sie an einem autobiografisch grundierten | |
| Roman – sie will darin die vergangenen Jahre in Belarus aufarbeiten. | |
| Spricht man mit ihr über diese Epoche, sprudelt es nur so aus ihr heraus. | |
| Ihr Aussehen ist punkig, sie hat dunkles Haar mit gefärbten Strähnen, trägt | |
| eine Krawatte mit Totenkopfmotiv und dicken schwarzen Lidschatten. Pogodina | |
| ist übrigens ihr bürgerlicher Nachname, er kommt aus dem Russischen. | |
| Geboren wird Ludmila Pogodina 1984 in dem heute russischen Dorf Znamensk, | |
| fünf Jahre später zieht sie mit ihrer Familie nach Minsk. Ihre Mutter ist | |
| Belarussin, ihr Vater Russe, ihr Großvater Ukrainer. | |
| Sie wächst in einer „typischen postsowjetischen Familie“ auf, wie sie sagt. | |
| In Teenagertagen entdeckt sie die Rockszene: [3][„In Belarus war Rockmusik | |
| schon immer politisch, sie war in Opposition zum Regime“], sagt sie. In den | |
| Nullerjahren beginnt sie als Musikjournalistin zu arbeiten, vor allem für | |
| ukrainische und belarussische Medien. 2011 wird sie von einem Minsker Club | |
| gefragt, ob sie dort auflegen will, so kommt sie zum DJing. | |
| ## Minsk bleibt seltsam | |
| Kurze Zeit später fängt sie an, eigene Partys zu veranstalten. Ihre | |
| Liaision mit Berlin beginnt schon 2008, Pogodina lebt von da an zeitweise | |
| in der deutschen Hauptstadt. Die Gruppe #keepminskweird gründet sich im | |
| Jahr 2015 auch deshalb, weil sie zwischen Berlin und Minsk pendelt und zu | |
| viel mit ihren Veranstaltungen und Clubabenden zu tun hat. Sie fragt | |
| Freunde in Minsk, ob sie ihr helfen. Daraus erwächst schließlich ein | |
| Kollektiv. | |
| Inzwischen ist es unter dem immer rigideren und brutaleren Regime in | |
| Belarus kaum mehr möglich, Konzerte auszurichten. „Clubs in Minsk haben | |
| reihenweise dichtgemacht, einige aus politischen Gründen, andere, weil die | |
| Leute das Land verlassen mussten. Es gab ungefähr ein Dutzend Auftrittsorte | |
| in Minsk, in denen wir Partys veranstaltet haben. Von denen ist fast nichts | |
| mehr übrig.“ | |
| Pogodina hofft, dass die Gruppe bald öfter gemeinsame Veranstaltungen im | |
| Exil organisieren kann. Wobei, Exil – würde sie sich als Exilantin | |
| bezeichnen? „Nun, weil ich in meiner Heimat nicht das machen kann, was ich | |
| machen möchte und nicht einfach zurückkehren kann, ist ‚Exil‘ wohl das | |
| beste Wort für meinen Status.“ | |
| ## Tierische Angst vor Kultur | |
| Eigentlich tritt #keepminskweird dabei gar nicht sonderlich politisch auf. | |
| „Mir geht es vor allem um Kunst und Kultur“, sagt Pogodina. „Aber | |
| Lukaschenko hat vor allem Künstlerischem tierische Angst. Es ist | |
| lächerlich. Erst kürzlich sind zwei Freunde von mir auf der | |
| Extremistenliste der Regierung gelandet. Einer von ihnen ist DJ, der andere | |
| Bühnenbildner.“ | |
| Für den Alltag in der Diktatur findet sie ein stimmiges Bild: „In Belarus | |
| zu leben ist, als würdest du mit deinem eigenen Vergewaltiger in einem Haus | |
| leben und könntest nichts dagegen tun. Dein Dasein ist geprägt von Stress, | |
| Angst und Panik.“ Pogodina berichtet, wie in ihrem Elternhaus nur leise | |
| über Politik gesprochen werden durfte, damit die Nachbarn nichts hören. | |
| Sie macht sich darüber lustig, dass Lukaschenko kein richtiges Belarussisch | |
| spricht und erzählt, wie auf einer Halloween-Party ihres Kollektivs auf | |
| einmal Polizisten auftauchten und eine Razzia durchführten (sie dachte | |
| zunächst, es handele sich um kostümierte Gäste). | |
| Richtig unpolitisch könne man in Belarus ohnehin nicht sein: „Es gibt ein | |
| geflügeltes Wort bei uns: ‚Wenn du dich nicht für Politik interessiert, | |
| wird sich die Politik irgendwann für dich interessieren.‘“ | |
| Wenige Tage nach der #keepminskweird-Party steht für Pogodina das nächste | |
| Projekt an: Für das Interfilm-Kurzfilmfestival hat sie das Spezialprogramm | |
| „Spotlight: Belarus“ kuratiert. Es geht ihr auch darum, die Repressionen in | |
| Belarus auf der Agenda zu halten, denn die Zahl der politischen Gefangenen | |
| dort steigt weiterhin stetig. „Wir dürfen die fast 1.400 inhaftierten | |
| Menschen nicht vergessen“, sagt sie. | |
| 7 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Protestsong-aus-Belarus/!5728183 | |
| [2] /Berliner-Kurzfilmfestival-laeuft-online/!5723450 | |
| [3] /Kuenstlerin-ueber-Proteste-in-Belarus/!5715771 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
| ## TAGS | |
| Belarus | |
| Kultur in Berlin | |
| Schwerpunkt Krisenherd Belarus | |
| Exil | |
| DJ | |
| taz Plan | |
| IG | |
| Lukaschenko | |
| Aktivismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kinotipp der Woche: The Sound of it All | |
| Das Soundwatch Music Film Festival zeigt Musiker:innenporträts wie | |
| „Ennio“ und den Sound in Städtchen und Städten – von Versailles bis Kö… | |
| Musiker Igor Bancer über Belarus: „Es geht nicht um mich“ | |
| Überraschend aus belarussischer Haft entlassen: Der Musiker Igor Bancer | |
| über seinen neuen Alltag und die Proteste in Kasachstan. | |
| Belarussischer Musiker über Proteste: „Wir werden gewinnen“ | |
| Der belarussische Musiker Igor Bancer kommt in den nächsten Tagen für acht | |
| Monate in eine Strafkolonie. Ein Gespräch darüber und zur Stimmung in | |
| seinem Land. | |
| Im Kampf für Demokratie in Belarus: Kampf der Farben | |
| Ein Bauwagen als Botschaft „der freien und demokratischen Republik | |
| Belarus“. Damit demonstriert Taras Siakerka, Aktionskünstler, in Berlin. |