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# taz.de -- Scholz' AKW-Entscheidung: Basta war gestern
> Der Kompromiss im Streit zwischen Grünen und FDP über die drei AKWs war
> nötig. Es ist kein Machtwort von Scholz, sondern eher ein Griff zur
> Notbremse.
Bild: Kann Olaf Scholz wirklich ein Machtwort sprechen und die Koalition herumk…
Der Kanzler [1][hat ein Machtwort gesprochen]. Endlich greift Scholz durch.
Endlich macht er von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Warum denn nicht
früher? So sehen es manche. Aber das ist ein autoritär durchtränktes Bild
von Politik. Und es hat mit den Machtverhältnissen in der Ampel wenig zu
tun.
Scholz' Richtlinienkompetenz ist kein Fürstenwort, sondern realpolitisch
gesehen nur ein mit gewissem Nachdruck versehener Vorschlag zur Güte. Denn
wir haben eine parlamentarische Demokratie, keine Präsidialdemokratie.
Scholz hat nur Erfolg, wenn FDP und Grüne nun auch brav die Hand im
Bundestag für das veränderte Atomgesetz heben.
Deshalb war der Kanzler gut beraten, dieses Instrument nicht früh, sondern
sehr spät einzusetzen – und nur, um [2][die entfesselte, autodestruktive
Dynamik zwischen FDP und Grünen] zu stoppen. Denn Grüne und FDP hatten sich
in dem Atomstreit derart verhakt, dass drohte, womit niemand glücklich
geworden wäre. Weil Christian Lindner sich einfach weigerte, den
Streckbetrieb für zwei AKWs durchzuwinken, wäre der Reservebetrieb für das
reparaturbedürftige AKW Isar 2 unmöglich gewesen. Was FDP und Grüne boten,
erinnerte an einen Slapstickfilm, in dem eine harmlose Rauferei mit dem
Totalabriss des Gebäudes endet.
Scholz hat auch kein Machtwort gesprochen (ohnehin ein Ausdruck, der eher
an preußische Kadettenanstalten erinnert). Gerhard Schröder konnte mit
Machtworten und Basta regieren, weil die SPD 1999 sehr groß war und die
Grünen sehr klein waren. Die Grünen waren mangels anderen
Koalitionspartners auf die SPD angewiesen und damit erpressbar. Machtwort
ist ja nur ein hübscheres Wort für eine gelungene Erpressung. In einer
Dreierkoalition, in der Grüne und FDP zusammen stärker als die SPD sind,
ist das Druckpotenzial des Kanzlers recht übersichtlich. Grüne und FDP
können gehen, wenn ihnen die Ampel nicht mehr passt. Im Hintergrund wartet
die Union.
## Notbremse im richtigen Moment
Scholz hat im richtigen Moment zur Notbremse gegriffen und verhindert, dass
[3][Lindners Sturheit] zu einem Ergebnis führte, das niemand wollte. Dieser
Schritt ist ein dosiertes Wagnis. Erst der späte Zeitpunkt verleiht ihm
jene Legitimität, die ein Kanzler eines so fragilen Bündnisses für dieses
Manöver braucht. Verwunderlich war, mit welcher Inbrunst der Streit über
die AKWs geführt wurde. Der Anteil der AKWs an der Stromproduktion ist ja
minimal. So standen Affekte und Relevanz in einem seltsamen Missverhältnis.
Für die Grünen ist der Atomausstieg [4][eine Art Fetisch]. Sie machen in
der Regierung viele Kompromisse, von Kohlekraftwerken bis zu
Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien, die den Idealen feministischer
Außenpolitik ja nicht direkt entsprechen. Dafür stehen sie eisern beim
Atomausstieg – es hat etwas von einer Ersatzhandlung.
## Wir haben wichtigere Probleme
Für die FDP bot die Atomdebatte endlich die Möglichkeit, die bei Wahlen so
unverschämt erfolgreichen Grünen wie früher als antimoderne Ideologen
anzugreifen. Daher rührte die Verve der Debatte. Nüchtern betrachtet ist es
hingegen zweitrangig, ob zwei oder drei Atomkraftwerke in Deutschland 14
Wochen länger laufen werden. Eigentlich haben wir – Ukraine, Rezession,
Inflation, Pleitewelle – wichtigere Probleme.
Scholz' Entscheidung ist ein brauchbarer Kompromiss, der inhaltlich näher
bei Grünen und SPD ist. Keine neuen Brennstäbe, und am 16. April ist
Atomenergie hierzulande Geschichte. Dass die FDP nun jubelt, zeigt, wie
verzweifelt die Liberalen sind. Eigentlich wollte die FDP ja viel mehr. Sie
feiert alles, was nicht scharf nach Niederlage riecht.
Also ein glimpfliches Ende eines zähen, von allen Seiten überbewerteten
Streits? Ja, aber nicht nur. Dass der Kanzler schon nach zehn Monaten zu
diesem Mittel greifen muss, zeigt, wie tief sich das Misstrauen in dieser
Koalition eingenistet hat.
18 Oct 2022
## LINKS
[1] /Streit-um-Atomkraftwerke/!5889222
[2] /Streit-um-Atomkraft-in-der-Ampel/!5885493
[3] /Lindner-blockiert-Streckbetrieb-Novelle/!5883865
[4] /Atomausstieg-nein-danke/!vn5872218
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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