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# taz.de -- Iranische Proteste: Gott wird zur Privatsache
> Die iranische Protestbewegung wird Hand in Hand mit den Exiliranern die
> Revolution vollbringen. Friedlich auf dem Weg in ein weltliches, freies
> Land.
Bild: Rund 80.000 DemonstrantInnen solidarisierten sich in Berlin mit dem Freih…
Nach sechs Wochen der iranischen Protestbewegung, die sichtbar stärker
wird, stellt sich die Frage, was nach der Islamischen Republik kommen
könnte. Die Antwort darauf liefert auch Gründe, warum diese nach Freiheit
strebende Zivilgesellschaft politisch entschieden unterstützt werden muss.
Dieser Text entwirft ein mögliches Szenario innerhalb des Iran am Tag
nachdem [1][Ali Chamenei] in Handschellen abgeführt wird und sich die Türen
des Foltergefängnisses Evin öffnen und sämtliche politische Gefangene
entlassen werden.
Auch das Freiluftgefängnis Iran endet dann. In der Politik gibt es einen
lustigen Satz: Wenn du nicht mehr weiterweißt, dann gründe einen
Arbeitskreis. In einem iranischen Kontext gestaltet sich das umgekehrt:
Gerade, weil die Iraner weiterwissen, gründen sie einen Arbeitskreis. Ein
Baustein, dem dann ein Referendum zur Staatsform, eine neue demokratische
Verfassung und freie Wahlen folgen.
Eine Regierung für den Übergang, deren Legitimation darin gefestigt ist,
dass sie sich aus den aufgeklärtesten Köpfen zusammensetzt, die alles
riskieren oder jetzt in den Gefängnismauern um ihr Leben kämpfen.
[2][Hossein Ronaghi], der als Blogger und Bürgerrechtler unerschrocken über
die Freiheit im Iran für das Wall Street Journal geschrieben hat, wird Teil
einer Übergangsregierung sein.
[3][Nasrin Sotoudeh], die als mutige Juristin immer wieder Menschenrechtler
verteidigt hat, irgendwann selbst zum Ziel des Regimes wurde und die aus
dem Gefängnis einen Brief an ihren Sohn schrieb, dass er sich nicht um
seine Mutter sorgen muss, sondern vielmehr die Schergen dieser Diktatur
bemitleiden sollte. Diese prominenten Stimmen und ihre Empathie zeigen
gemeinsam mit der Friedfertigkeit dieser gesamten Bewegung, wie wenig Chaos
nach dem Sturz des Regimes zu erwarten ist.
## Komplett säkulare Gesellschaft
Zu nennen sind hier auch ganz pragmatische Gründe, die mit dem sozialen
Gefüge der iranischen Gesellschaft zu tun haben. In vier Dekaden Diktatur
hat der Islamismus keine Freunde gefunden in diesem Land, das durch und
durch säkular geworden ist im Widerstand zum Klerikalfaschismus. Der hohe
Alphabetisierungs- und der hohe akademische Bildungsgrad der Iraner spielen
eine Rolle.
Dieses Streben nach Wissen hat die gegenwärtige Revolution unumgänglich
gemacht. Die Iraner greifen nach Selbstbestimmung. Auch weil der Islamismus
im Iran niemals ankam und weil die Iraner die Geschichte ihrer eigenen
alten Zivilisation gut kennen, gibt es eine unverrückbare iranische
nationale Identität, die auch ethnische und religiöse Minderheiten
einschließt. Dazu gehört, dass der Iran über eine seit Tausenden von Jahren
existierende Landesgrenze verfügt. Wie viele Länder können das von sich
sagen?
Um diese Landesgrenzen zu bewahren, um allen ethnischen und religiösen
Minderheiten ihre unveräußerlichen Bürgerrechte zu ermöglichen, muss diese
Islamische Republik Geschichte werden. Gott wird in einem freien Iran zur
Privatsache. Die weiteren friedlichen Befreiungsschläge zielen darauf ab,
mit sämtlichen ideologischen Säulen – Antiamerikanismus, Antizionismus,
Geschlechter-Apartheid – und einer unterdrückten Ökonomie zu brechen.
Welche Rolle wird nun die iranische Diaspora in dieser Transition spielen?
[4][Kaveh Shahrooz], iranisch-kanadischer Rechtsanwalt und Experte für
Außenpolitik, macht darauf aufmerksam, wie erfolgreich und demokratisch
integriert Exiliraner in ihren jeweiligen Ländern sind. Jetzt kommt ihnen
eine besondere Verantwortung in der freien Welt zu, ihren Landsleuten im
Iran den Rücken zu stärken und größten politischen Druck auf das Regime zu
fordern.
## Wichtige Rolle für die Iraner in der Diaspora
Nicht von ungefähr kamen aus zahlreichen europäischen Städten Iraner zu der
großen Demonstration am Wochenende in Berlin gereist. Es zeugt aber auch
von großer Demut, wenn Shahrooz, Absolvent der juristischen Fakultät von
Harvard, sich selbst nur als Tourist im Iran sieht. Die Wahrheit liegt
irgendwo im Mittelfeld: Ja, vor allem die Iraner im Land, die diese Hölle
durchlebt haben und noch durchleben, werden die Richtung vorgeben, aber
Iraner aus der Diaspora werden ihnen beratend zur Seite stehen – gemeinsam
im Dienst eines säkularen und freien Iran.
Reza Pahlavi, der Sohn des letzten Schahs, könnte hier eine wichtige Rolle
spielen. Die Menschen auf den Straßen des Iran rufen lautstark seit Jahren
nach ihm, eben weil sie Zusammenhalt und eine heilende Wirkung wollen. Die
Revolutionsgarden werden entwaffnet und eine Art Entnazifizierung
durchlaufen müssen – wer könnte das besser als eine Übergangskoalition, die
sich auf die undogmatische Entfaltung des Iran konzentriert?
Strafrechtliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen ohne Rache ist
hier das Ziel. All diese politischen Elemente der iranischen Freiheit sind
laut und deutlich in den Protestslogans zu hören. Es sind zukünftige
Parteiprogramme, die hier skandiert werden. Sanktionen und diplomatische
Isolation sind nötig, damit die Iraner sich schneller selbst befreien
können. Nach dem Mittelalter des politischen Islam folgen weder Chaos noch
eine Militärdiktatur, sondern friedliche Entwicklungen.
Die Iraner wollen die rückständige [5][islamische Revolution von 1979]
beenden und die bürgerliche konstitutionelle Revolution von 1906 vollenden.
Wer das nicht sehen will, betreibt die Propaganda eines Regimes, das von
Anfang an moralisch bankrott war. Wer glaubt, dass die iranische
Zivilgesellschaft ein Atomprogramm befürwortet, das immense finanzielle und
politische Kosten für das Land verursacht hat, der will diesen
Sicherheitskonflikt einfach nicht beendet sehen.
Wenn die Iraner es geschafft haben, ihre Angst gegenüber einem
menschenverachtenden Regime in einer Unwiderrufbarkeit abzulegen, dann
kann und muss endlich auch Europa seine paranoide Angst vor dem ersten Tag
der iranischen Freiheit ablegen.
23 Oct 2022
## LINKS
[1] /Ajatollah-Ali-Chamenei/!t5015511
[2] https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-236-2013-2/blogger-kritischem-zusta…
[3] https://www.amnesty.de/mitmachen/petition/freiheit-fuer-nasrin-sotoudeh
[4] https://twitter.com/kshahrooz
[5] /40-Jahre-Islamische-Revolution/!5567037
## AUTOREN
Saba Farzan
## TAGS
Proteste in Iran
Kopftuch
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