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# taz.de -- Internationale Strafverfolgung: Chomeinis Blutrichter in Hannover?
> Vieles spricht dafür, dass der iranische Geistliche Hossein Ali Nayyeri
> in Hannover behandelt wird. Die deutsche Justiz prüft einen Strafantrag.
Bild: Exil-Iraner vermuten einen Blutrichter Khomeinis in Hannover: Protest vor…
Hannover taz | „Frau, Leben, Freiheit!“, steht auf Farsi auf Plakaten, die
Demonstrant*innen am Samstag in Groß-Buchholz im Nordosten von Hannover
in die Höhe recken. Geformt wie ein Gehirn erhebt sich hinter ihnen die
Privatklinik „International Neuroscience Institute“ (INI) über dem Medical
Park.
Etwa 200 Menschen – hauptsächlich [1][Exiliraner*innen] – sind zu
einer Kundgebung gekommen. Sowohl progressive Demonstrant*innen, wie die
[2][Mediziner*innen der Gruppe „Parsi Med“], als auch
Monarchist*innen, die sich den Schah zurückwünschen, beteiligen sich.
Einer der Monarchisten hat einen Strick an einem Galgen dabei. Durch die
Straße getrennt demonstrieren sie die zweite Woche in Folge in der gleichen
Sache. „Bedienen der Mörder ist Beihilfe zum Mord und Terrorismus!“, steht
auf dem Schild eines älteren Mannes. Bereits Mitte Juli habe die Community
der Exiliraner*innen davon erfahren, dass der iranische Richter
Hossein Ali Nayyeri sich in Hannover aufhalte, sagt die
Menschenrechtsaktivistin Mina Ahadi. Ihr lägen interne Schilderungen aus
dem INI vor, die das bestätigten.
Hossein Ali Nayyeri ist ein hochrangiger Geistlicher und Berater des
iranischen Justizchefs. Im Jahr 1988 wurde er, auf Befehl Ajatollah
Chomeinis, zum Vorsitzenden der „Todeskommission“ ernannt. Er entschied
über die Massenhinrichtung tausender politischer Gefangener – unter ihnen
Kommunist*innen und Volksmudschahedin. Im Halbstundentakt seien die
Menschen im Dutzend an Gabelstaplern gehängt worden, heißt es in den
Memoiren von Chomeinis Stellvertreter.
## Mit Entschiedenheit Urteile gefällt
In einem [3][Interview mit dem staatlichen „Islamic Revolution Documentary
Center“ äußerte Nayyeri sich zu den Vorwürfen]: „Wir mussten mit
Entschiedenheit Urteile fällen“, rechtfertigt sich der Richter. Wie viele
Menschen hingerichtet wurden, ist unklar. Amnesty International wirft dem
Regime vor, Spuren zu verwischen und spricht von etwa 5.000 Toten. Andere
Schätzungen kommen auf bis zu 30.000 Ermordete.
Ulrike Becker, Forschungsleiterin des Berliner Thinktanks „Mideast Freedom
Forum“, fordert die Strafverfolgungsbehörden zum Handeln auf. Nach dem
Weltrechtsprinzip sei es möglich und geboten, Nayyeris Verbrechen in
Deutschland zu ahnden. „Die Verfolgung von schweren
Menschenrechtsverbrechen darf nicht aus außenpolitischer Rücksichtnahme
verschleppt werden, bis der Todesrichter das Krankenhaus wieder verlässt“,
sagt Becker.
Vorgemacht hatte es im vergangenen Jahr Schweden. Dort wurde Hamit N. für
seine Beteiligung an den Hinrichtungen 1988 wegen Mordes und Verbrechen
gegen das Völkerrecht zu mehr als 30 Jahren Haft und
Schadensersatzzahlungen verurteilt.
Der Vorsitzende der [4][Deutsch-Israelischen Gesellschaft] und ehemalige
Bundestagsabgeordnete der Grünen, [5][Volker Beck], stellte am 7. Juli 2023
eine Strafanzeige gegen Nayyeri. „Während die Opfer der
Menschenrechtsverbrecher in den iranischen Gefängnissen ermordet und zu
Tode gefoltert werden, gehen die Verantwortlichen ungeschoren in
Deutschland ein und aus“, kritisiert Beck.
Seit dem 18. Juli prüft die Staatsanwaltschaft Hannover, ob eine
Zuständigkeit nach dem deutschen Strafgesetzbuch besteht. Dass Nayyeri
tatsächlich im Krankenhaus in Groß-Buchholz sei, habe man bisher nicht
bestätigen können, teilte die Behörde mit. Es habe aber Nachforschungen
gegeben. Einen von Beck über Dritte vermittelten Zeugen zu kontaktieren,
gehörte wohl nicht dazu.
Einiges spricht dafür, dass der Todesrichter zumindest als Patient
willkommen wäre. Geleitet wird das INI, ein Erfolgsunternehmen mit 48
Millionen Euro Jahresumsatz, von dem renommierten Neurochirurgen Majid
Samii.
Der 1937 im Iran Geborene präsentiert sich auf Instagram als Mann von Welt:
[6][beim Geburtstag des Anwalts Götz Fromberg mit Gerhard Schröder] oder
beim Handshake mit dem Sprecher des iranischen Parlaments Mohammad
Ghalibaf. Zahlreiche Ehrungen hat Samii sein chirurgisches Können bereits
eingebracht – unter anderem das Bundesverdienstkreuz. Drei Dependancen hat
das INI weltweit. Anteile am Unternehmen halten der Klinikbetreiber
Asklepios und die Norddeutsche Landesbank.
Ein Betreten des Glaskomplexes ist seit 19. Juli wegen
„krankenhaushygienischer Maßnahmen“ nicht möglich. Das Gesundheitsamt der
Region Hannover teilte der taz mit, die Klinik habe drei Nachweise des
seltenen Pilzerregers Candida Auris gemeldet. Alle vom Gesundheitsamt
entnommenen Umgebungsproben seien allerdings unauffällig gewesen.
## Die Klinik verschließt sich
Unter der Woche herrscht in der Klinik reges Treiben. Den ganzen Tag gehen
Patient*innen ein und aus. Vor einer Woche seien zwei Limousinen der
iranischen Botschaft vorgefahren, erzählt ein Exiliraner der in
Dauerkundgebung steht. Eine Angestellte an einem Seiteneingangwill will
sich zu den Gerüchten und dem Medienrummel nicht äußern, fügt dann aber
nickend hinzu: „Vertrauen Sie einfach Ihrem Bauchgefühl.“
Eine schriftliche Anfrage der taz ließ das INI unbeantwortet. Am Telefon
will man sich nicht zum Fall äußern und beruft sich auf den Datenschutz –
für jemanden, der doch angeblich gar kein Patient ist. Die Bild berichtet,
es habe eine Krankenakte für Nayyeri gegeben, die nun gelöscht worden sei.
[7][Gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung] dementiert der Chef
der Klinik, dass der Todesrichter im INI behandelt werde. Samii betont aber
auch, er würde im Zweifel aus ärztlichem Pflichtbewusstsein auch Putin
behandeln.
Nayyeri wäre nicht der erste hochrangige Vertreter des iranischen Regimes,
der in Hannover behandelt wird. [8][Vor fünf Jahren war der mittlerweile
verstorbene Todesrichter Mahmud Haschemi Shahroudi als Patient im INI].
Shahroudi war Leiter der iranischen Justiz und auch ihm wurden schwere
Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
Der ehemalige Botschafter des Iran in Deutschland, Ali Majedi,
[9][beschrieb jüngst in einem Interview], wie viel diplomatisches Geschick
notwendig gewesen sei, um damals eine Polizeieskorte für Shahroudi zum
Flughafen Hamburg zu bekommen. Bereits damals hatte Volker Beck Anzeige
erstattet. Der Richter konnte jedoch unbehelligt ausreisen.
31 Jul 2023
## LINKS
[1] /Irans-Geheimdienste-in-Deutschland/!5903805
[2] https://parsimed.org/
[3] https://www.middleeasteye.net/news/iran-1988-executions-official-appointed-…
[4] https://www.deutsch-israelische-gesellschaft.de/
[5] https://www.volkerbeck.de/
[6] /Portait-Madjid-Samii/!5167411
[7] https://www.haz.de/lokales/hannover/keine-beweise-fuer-anwesenheit-von-iran…
[8] /Anzeige-gegen-iranischen-Justiz-Chef/!5472490
[9] https://twitter.com/IranIntl_En/status/1684227748724723712
## AUTOREN
Michael Trammer
## TAGS
Schwerpunkt Iran
Strafverfolgung
Protest
Mahnwache
Klinik
Kolumne Provinzhauptstadt
Frauenrechte
Wochenkommentar
Proteste in Iran
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