| # taz.de -- Fachkräftemangel in der Gastronomie: Lieber Busfahrerin als Kellne… | |
| > Trotz boomender Nachfrage laufen der Gastro-Branche die Angestellten weg, | |
| > zeigt eine Gewerkschaftsstudie. Helfen könnte deutlich bessere Bezahlung. | |
| Bild: Viel Schütteln für wenig Geld: Jobs in der Gastro | |
| Berlin taz | Sebastian Riesner von der Gewerkschaft | |
| Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hat Spektakuläres zu berichten: „Im Hotel | |
| eines Kollegen hat eine ganze Küchenbrigade innerhalb einer Woche | |
| gekündigt“, berichtet der Geschäftsführer des Regionalbüros | |
| Berlin-Brandenburg der NGG während einer Pressekonferenz in den Räumen der | |
| Gewerkschaft in Mitte. „Die haben die Schnauze voll und lassen sich lieber | |
| bei der BVG zum Busfahrer ausbilden.“ | |
| Schlechte Bezahlung, zu viel Stress, zu wenig Wertschätzung: Immer mehr | |
| Beschäftigte kehren der Gastro-Branche den Rücken. Zu diesem Schluss kommt | |
| eine bundesweite Befragung von über 4.000 Beschäftigten in der Gastronomie | |
| und im Gastgewerbe, die die Gewerkschaft an Dienstagvormittag vorgestellt | |
| hat. Nur etwas über ein Drittel der Befragten können sich vorstellen, | |
| langfristig in der Branche zu bleiben. | |
| Eine „alarmierende Zahl“ nennt der Vorsitzende des Bundesverbands, Guido | |
| Zeitler, die Ergebnisse. Die Pandemie habe den Fachkräftemangel noch | |
| verschärft. „Viele haben damals die Branche verlassen, weil sie vom | |
| Kurzarbeitsgeld nicht leben konnten“, erklärt Zeitler. Tausende | |
| Beschäftigte kehrten seit der Coronakrise auch in Berlin und Brandenburg | |
| der Gastronomie endgültig den Rücken und suchten Arbeit in Branchen mit | |
| besseren Arbeitsbedingungen. | |
| Die Pandemie hätte [1][die Schwächen in der Branche] offenbart, sagt | |
| Zeitler. Denn einmal gab es einen sehr hohen Anteil an Minijobbern, die | |
| überhaupt keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld hatten. Außerdem fielen | |
| Einnahmen durch Trinkgelder ganz weg, da sie nicht durch die | |
| Sozialversicherung erfasst wurden. | |
| ## Weniger Personal, mehr Stress | |
| Unter den Folgen des Exodus haben vor allem die Beschäftigten zu leiden, | |
| die weiterhin in der Branche arbeiten. Um den Personalmangel auszugleichen, | |
| müssen sie immer öfter kurzfristig einspringen; Überstunden sind die Regel. | |
| Mehr als drei Viertel der Befragten gaben an, dass sie den Personalmangel | |
| im Betrieb als Belastung empfinden. „Gerade in dünn besiedelten Gebieten | |
| Brandenburgs ist es schwierig, Ersatz zu finden“, ordnet Riesner ein. | |
| Das Ergebnis ist „eine Abwärtsspirale“, die immer mehr Beschäftigte aus d… | |
| Branche heraustreibt, fürchtet Zeitler. Durchbrochen werden könne diese nur | |
| durch ein radikales Umdenken der Arbeitgeber:innen. Neben besseren | |
| Arbeitsbedingungen sieht der Gewerkschaftsfunktionär dabei vor allem | |
| Lohnerhöhungen als wichtigste Stellschraube: „3.000 Euro pro Monat muss für | |
| Fachkräfte in Zukunft das Minimum sein“, fordert Zeitler. | |
| Nach Angaben der Gewerkschaft verdient eine ausgelernte Fachkraft in Berlin | |
| derzeit im Schnitt 2.400 Euro brutto im Monat.Verschärft wird die Situation | |
| durch den Nachfrage-Boom, den die Branche nach dem Wegfall der | |
| Schutzmaßnahmen erlebt. „In Berlin mussten bereits viele Betriebe ihr | |
| Angebot einschränken“, berichtet Riesner. Ruhetage, abgesperrte Bereiche, | |
| verkleinerte Speisekarten seien keine Seltenheit. Und weniger selbst | |
| kochen: „Ich kenne Caterer, die vermehrt Fertigprodukte servieren, weil sie | |
| keine Köche mehr finden“, verdeutlicht Riesner. | |
| ## Kaum Tarifbindung in der Branche | |
| Auch bedingt durch die Erhöhung des Mindestlohns konnte die Gewerkschaft | |
| deutliche Lohnsteigerungen von bis zu 30 Prozent in den letzten | |
| Tarifverhandlungen durchsetzen. Diese kämen allerdings bei den wenigsten | |
| Beschäftigten an, erklärt Riesner. In Berlin gebe es nur in 10 Prozent der | |
| Betriebe eine Tarifbindung. | |
| Der Branchenverband Dehoga teilt die Kritik der Gewerkschaft nur bedingt: | |
| „Die Masse der Betriebe zahlt deutlich über Tarif, sonst würden sie keine | |
| Mitarbeiter finden“, entgegnet Thomas Lengfelder, Hauptgeschäftsführer des | |
| Berliner Regionalverbands. Die Forderung nach höheren Löhnen käme zu einer | |
| Zeit, in der die Betriebe ohnehin schon [2][mit einer Kostenexplosion von | |
| Lebensmittel- und Energiepreisen zu kämpfen hätten]. „Für viele wird es | |
| langsam echt eng“, sagt Lengfelder. Für Riesner ist die Inflation kein | |
| Argument, auf Lohnerhöhungen für die Beschäftigten zu verzichten. „Wir | |
| fordern schon lange, dass die Gastro ihre Preise erhöht“, sagt er. Das | |
| derzeitige Preisniveau sei viel zu niedrig. | |
| Dass es auch anders geht, will die NGG am Ende der Pressekonferenz an einem | |
| praktischen Beispiel zeigen. „Wir haben hier ein hervorragendes Catering“, | |
| weist Zeitler die Anwesenden auf mehrere auf einem Tresen liegende | |
| Schnittchenbleche hin, „vegan und tariflich bezahlt mit über 3.000 Euro | |
| Brutto im Monat.“ | |
| 18 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonas Wahmkow | |
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