| # taz.de -- Regierungshandeln in der Energiekrise: Geht die Ampel baden? | |
| > Die Koalition will die Energiekosten senken. Ihre Vorschläge sind | |
| > teilweise nebulös und sozial ungerecht. Sechs Ideen, wie es besser ginge. | |
| Bild: Energiekosten sind das große Streitthema innerhalb der Ampel-Regierung | |
| Wie wird die von der Bundesregierung versprochene Dämpfung der | |
| Energiekosten konkret aussehen? Zwar hat in dieser Woche die eigens | |
| eingesetzte Kommission Gas und Wärme Vorschläge vorgelegt, aber die | |
| Umsetzung ist offen. Vertreter:innen von Sozialverbänden und | |
| Ökonom:innen fordern bereits Änderungen und Ergänzungen, denn sie sehen | |
| eine erhebliche soziale Unwucht. | |
| Der Vorschlag der Kommission sieht vor, dass Privathaushalte und kleinere | |
| Unternehmen im Dezember eine Einmalzahlung erhalten und ab dem Frühjahr | |
| eine Gaspreisbremse greifen soll, mit der der Preis für die Kilowattstunde | |
| auf 12 Cent begrenzt wird – für 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs, der | |
| anhand der Abschlagszahlung für September 2022 festgelegt wird. Für den | |
| darüberliegenden Verbrauch muss der Marktpreis gezahlt werden. Auch für | |
| Fernwärme ist so ein Vorgehen geplant, hier liegt der subventionierte Preis | |
| bei 9,5 Cent pro Kilowattstunde. Für die Industrie soll es keine | |
| Einmalzahlung geben, aber ab Januar eine Preisbremse. | |
| Neben dem Gas will die Bundesregierung auch den Strompreis subventionieren. | |
| Details dazu stehen noch nicht fest, eventuell soll es eine Regelung auf | |
| europäischer Ebene geben. „Wichtig ist, die beiden Energiepreisbremsen für | |
| Gas und für Strom zusammenzudenken und zusammenzuführen“, sagt eine | |
| Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Wie die Regierung die | |
| Vorschläge der Kommission umsetzt, wird sich wohl im Zuge der | |
| Ministerpräsident:innenkonferenz in der kommenden Woche zeigen. | |
| Dann wollen das Bundeskanzleramt, das Bundeswirtschafts- und das | |
| Bundesfinanzministerium über den Stand der Umsetzung berichten, an der sie | |
| „gemeinsam sehr zügig und vertraulich“ arbeiten, sagt die Sprecherin. Ein | |
| großes Problem: So wie die Subventionierung bislang vorgesehen ist, bringt | |
| sie Wohlhabenden mit großem Verbrauch sehr viel mehr als Menschen mit wenig | |
| Geld, die sich ohnehin keinen energieintensiven Lebensstil leisten können. | |
| Nach Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung | |
| (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung werden bei den | |
| Kommissionsvorschlägen die ärmsten 10 Prozent der Haushalte im Schnitt im | |
| Jahr um 893 Euro entlastet, wenn der Marktpreis bei 25 Cent pro | |
| Kilowattstunde liegt. Sie müssten statt 2.116 Euro 1.222 Euro für Gas | |
| zahlen. Gleichzeitig würde den reichsten 10 Prozent mit 1.375 Euro im Jahr | |
| geholfen. Krass wäre die Entlastung für einen Villenbesitzer mit Pool und | |
| einem Jahresverbrauch von 90.000 Kilowattstunden: Sie läge laut IMK bei | |
| 9.648 Euro. Ein Haushalt in einem Mehrfamilienhaus, der im Jahr 11.000 | |
| Kilowattstunden verbraucht, würde dagegen nur mit 1.170 Euro unterstützt. | |
| Vertreter:innen von Sozialverbänden wollen Änderungen. „Eine | |
| Gaspreisbremse muss sozial orientiert und sozial gerecht ausgestaltet | |
| werden und bei der Entlastung bei Energiekosten muss dringend nachgebessert | |
| werden“, sagte etwa der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen | |
| Gesamtverbandes, Ulrich Schneider. Auch der Chef des Deutschen Instituts | |
| für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, Marcel Fratzscher, übt harsche | |
| Kritik an den Vorschlägen der Kommission. Sie führten zu einer Umverteilung | |
| von unten nach oben, sagt er. | |
| Die Kommission hat derweil Ungerechtigkeiten selbst eingeräumt und das mit | |
| technischen Aspekten begründet. Die Energieversorger, deren Daten für die | |
| Entlastung der Bürger:innen entscheidend sind, würden nicht wissen, ob | |
| am Ende eines Gasanschlusses mit großem Verbrauch ein Mehrfamilienhaus oder | |
| eine Villa mit Pool hänge, so der Co-Kommissionsvorsitzende Michael | |
| Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie. Eine andere | |
| Lösung hätte mehr Zeit gebraucht. „Uns war die Geschwindigkeit wichtiger“, | |
| sagt er. Allerdings: Bei den Vorschlägen handelt es sich erst um einen | |
| Zwischenstand, in einigen Wochen erst wird die Kommission ihren | |
| Abschlussbericht vorlegen und dann möglicherweise selbst noch | |
| Nachschärfungen vornehmen. Dann werden wahrscheinlich auch Vorschläge für | |
| andere Heizformen wie Öl oder Holzpellets gemacht, denn auch hier sind die | |
| Preise gestiegen.Damit die Gaspreisbremse richtig zieht, gibt es | |
| Schärfungsbedarf bei mindestens sechs Punkten. | |
| ## 1. Hilfe für Härtefälle | |
| Viele Verbraucher:innen werden trotz der geplanten Hilfen überfordert | |
| sein. Wer plötzlich mehr als 1.000 Euro im Monat als Abschlag zahlen muss, | |
| gerät auch bei einem mittleren Einkommen in Schwierigkeiten. Der | |
| Sozialverband VdK fordert deshalb, bereits für dieses Jahr einen | |
| Härtefallfonds einzurichten, der bei den Kommunen angesiedelt sein soll. | |
| „Es geht nicht darum, Menschen mit Einkommen bis 1.500 Euro oder einem | |
| anderen Betrag die Gaskosten zu subventionieren, sondern darum, dass | |
| niemand nur aufgrund der Gaskosten in Grundsicherung landet“, sagt eine | |
| Sprecherin des VdK. | |
| ## 2. Obergrenzen | |
| Wer bislang sehr sparsam war, wird sich kaum noch einschränken können, aber | |
| nur 80 Prozent des Verbrauchs zu einem günstigen Preis bekommen. Das heißt | |
| aber auch: Wer bislang enorme Mengen Energie verbraucht hat, etwa für Pool | |
| oder Heimsauna, hat jetzt großen Spielraum. Während die einen frösteln, | |
| müssen diese anderen nur ihren Luxus einschränken. IMK-Direktor Sebastian | |
| Dullien fordert deshalb eine Obergrenze für den subventionierten Verbrauch. | |
| Auch die Kommission spricht sich dafür aus und bittet die Bundesregierung, | |
| die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Möglich wäre, eine Höchstzahl an | |
| Kilowattstunden zu bestimmen, die subventioniert werden. Das umzusetzen, | |
| ist jedoch eine große Herausforderung, wenn man dabei anderen | |
| Ungerechtigkeiten entgehen will, die zum Beispiel entstehen könnten, weil | |
| sich Mehrfamilienhaus und Villa mit Pool technisch nicht immer | |
| unterscheiden lassen. | |
| ## 3. Gerechte Berechnung | |
| Wer im vergangenen Jahr lange im Krankenhaus oder verreist war und deshalb | |
| kaum geheizt hat, oder wessen Heizung lange kaputt war, bekommt nur eine | |
| geringe verbilligte Menge. Unklar ist auch, was mit Verbraucher:innen | |
| ist, die umgezogen sind, zum Beispiel in eine bislang leerstehende Wohnung. | |
| Besonders ungerecht: Neugeborene Kinder werden nicht berücksichtigt. Durch | |
| sie wächst der Haushalt nicht nur um eine Person, auch das | |
| Wärmebedürfnis steigt. Das könnte durch einen Aufschlag für diejenigen | |
| abgefangen werden, deren Lebensumstände sich in dieser Hinsicht kürzlich | |
| gravierend geändert haben. | |
| ## 4. Freibeträge | |
| Die Kommission schlägt vor, dass die Rabatte als geldwerte Vorteile | |
| versteuert werden müssen. Dadurch fließt ein Teil der Hilfen an den Staat | |
| zurück. Außerdem würde es auf diese Weise einen sozialen Ausgleich geben. | |
| Die Kommissionsvorsitzende Veronika Grimm rät, diese Regelung nur bei | |
| höheren Einkommensklassen anzuwenden und hohe Freibeträge für niedrige | |
| Einkommen vorzusehen. Es wird auf eine gute Balance ankommen: Wird die | |
| Freigrenze zu niedrig angesetzt, werden möglicherweise auch mittlere | |
| Einkommen weniger als gedacht entlastet, ist sie zu hoch, profitieren | |
| diejenigen, die es nicht brauchen. Möglich wäre, auf die Einkommensgrenzen | |
| des früheren Solidaritätszuschlags zurückzugreifen, der erst ab einem | |
| bestimmten Einkommen erhoben wurde. | |
| ## 5. Problematische Einmalzahlung | |
| Die Kommission will, dass Verbraucher:innen bereits in diesem Jahr eine | |
| Entlastung spüren, und macht folgenden Vorschlag: Die Verbraucher:innen | |
| zahlen im Dezember keinen Abschlag für Gas. Stattdessen übernimmt der Staat | |
| die Kosten und überweist das Geld bis zum 1. Dezember an die Versorger. Als | |
| Referenzwert wird die Abschlagszahlung von September 2022 genommen. | |
| Was einfach klingt, wird so nicht funktionieren, warnt der | |
| Eigentümerverband Haus & Grund. Viele Gasversorger verzichten auf einen | |
| Dezemberabschlag, weil sie dann die Jahresabrechnung machen. Und: Nicht | |
| alle Verbraucher:innen haben einen Vertrag mit einem Versorger. Bei | |
| Mieter:innen ist oft der Vermieter zwischengeschaltet. Vermieter müssen | |
| bis Dezember genau ausrechnen, wie hoch der Abschlag für die einzelnen | |
| Mietparteien wäre, ihnen den entsprechenden Betrag gutschreiben und ihnen | |
| das mitteilen. Das ist bis Dezember nicht zu schaffen, denn die genauen | |
| Vorgaben werden erst in Wochen feststehen, sagt Haus & Grund. | |
| Der Eigentümerverband fordert deshalb eine andere Mechanik, etwa den | |
| Abschlag mit der Jahresabrechnung zu verrechnen, und mehr Zeit. Vor allem: | |
| Die Einmalzahlung löst für viele das Problem nicht. „Einkommensschwachen | |
| Haushalten hilft die Übernahme einer Abschlagszahlung wenig“, sagt | |
| Paritätischen-Chef Schneider. Denn die leiden auch besonders stark unter | |
| den steigenden Lebensmittelpreisen. Schneider fordert weitere Unterstützung | |
| für arme Menschen, etwa eine schnelle Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze um | |
| 200 Euro. | |
| ## 6. Mehr Klimaschutz | |
| Was immer noch fehlt, ist ein richtig großer Wurf zum Energiesparen. Als | |
| Sofortmaßnahme wäre es sinnvoll, an das Modell für einen Energiesparbonus | |
| anzuknüpfen, das der Ökonom Jens Südekum und die SPD-Bundesabgeordnete Nina | |
| Scheer vorgeschlagen haben. Damit würden Privathaushalte, die Energie | |
| einsparen, finanziell belohnt. Darüber hinaus müssen die Erneuerbaren | |
| Energien schnell und umfassend ausgebaut werden. | |
| 15 Oct 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
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