# taz.de -- Frank Spilker über seine Band Die Sterne: „Bestimmte Systeme in … | |
> Frank Spilker über das neue tanzbare Album „Hallo Euphoria“ seiner Band | |
> Die Sterne und Glücksgefühle, die Musik auslösen kann – trotz der | |
> Weltlage. | |
Bild: Wie Marquis de Sade in seiner Zelle: Musiker Frank Spilker | |
taz am wochenende: Frank Spilker, „Hallo Euphoria“ heißt das neue | |
Sterne-Album. Wann hatten Sie zuletzt euphorische Momente? | |
Frank Spilker: Beim Schreiben und beim Musikmachen. Diese Momente entstehen | |
oft dann, wenn ich zu Hause am Klavier oder auf der Gitarre daddele und mir | |
etwas gefällt. Dann merke ich: Das ist der Grund, warum ich da bin, warum | |
ich am Leben bin. | |
Lassen Sie uns zunächst über die neuen Songs sprechen. Sie klingen | |
unbeschwert, funky, tanzbar. Wollen Sie der akuten Weltuntergangsstimmung | |
etwas entgegensetzen? | |
Ich freue mich, erst mal über Musik sprechen zu können. Als | |
deutschsprachige Band wird man oft ausschließlich zu Songtexten befragt. | |
Ich glaube, ich weiß, woran es liegt, dass dieses Album so klingt. Wir | |
haben es direkt nach der mehrmals verschobenen Tour im Herbst 2021 | |
aufgenommen. Als wir ins Studio gingen, waren wir perfekt eingespielt. Das | |
ist für eine Band echt wichtig. Locker und funky Musik zu machen, hat viel | |
mit dem körperlichen Selbstverständnis der Musiker:innen zu tun. Aber | |
die neue Rhythmussektion – Jan Philipp Janzen und Phillip Tielsch – spielt | |
auch bei Von Spar schon lange zusammen. Kein Wunder also, dass die beiden | |
bestens harmonieren. | |
Es gibt mehrere musikalische Hommagen auf dem Album, an das Genre Krautrock | |
in „Hallo Euphoria“, an The Clash in „Die Welt wird knusprig“, | |
möglicherweise an Blumfeld in „Gleich hinter Krefeld“. Was sagt uns das, | |
wenn Referenzen so in der Vergangenheit liegen? | |
Naja, früher haben wir uns in den 1960ern bedient, bei Bands wie The | |
Meters. Vielleicht dauert es eine Weile, bis man Musik als Zitat verwenden | |
möchte. Die Flaming Lips habe ich Ende der Neunziger entdeckt, aber erst | |
jetzt tauchen sie als Anleihe in meinen Songs auf. Krautrock ist so unique, | |
dass man darauf immer Bezug nimmt. Und auf den Sound von „Gleich hinter | |
Krefeld“ könnten auch My Bloody Valentine das Patent haben. | |
2018 fand ja nach dem Ausstieg von [1][Thomas Wenzel und Christoph Leich | |
eine Zäsur bei Die Sterne] statt. Gab es die Überlegung, sich als Band | |
aufzulösen? | |
Auf jeden Fall gab es große Zweifel, die Band fortzuführen und den Namen | |
beizubehalten. Ich ziehe den Hut davor, dass weder Thomas noch Christoph | |
gesagt haben: Ich will nicht, dass du weitermachst, das ist unsere Band. | |
Bei den beiden Philipps von Von Spar habe ich ins Blaue angefragt, beide | |
kennen Die Sterne schon lange, denen muss man die Band nicht erklären. | |
Gitarrist Max Knoth war schon bei der Frank Spilker Gruppe dabei, Dyan | |
Valdés ist seit 2012 unsere Live-Keyboarderin. Stück für Stück sind wir uns | |
näher gekommen, und dann war irgendwann klar: Ja, es funktioniert. | |
Wollten Sie Die Sterne neu definieren? | |
Durch Besetzungswechsel kommen ohnehin genug neue Einflüsse dazu, deshalb | |
muss ich mir nicht unbedingt ein anderes Konzept zurechtlegen. Im | |
Vordergrund stand erst mal die Kontinuität. Wenn die Band weiter Die Sterne | |
heißt, soll sie auch für ihren Namen einstehen. | |
Das Finale „Wir wissen nichts“ handelt von den Krisen, die uns zuletzt | |
überrumpelt haben. Ist das vielleicht der Schlüsselsong des Albums? | |
Der Ukrainekrieg hatte noch gar nicht begonnen, als wir das Album | |
fertiggestellt haben – auf den Krieg kann man den Song also nicht münzen. | |
Aber er handelt unter anderem von der realen Angst vor einem aufkeimenden | |
Faschismus in den USA und in Europa. Zugleich ist „Wir wissen nichts“ eine | |
grundsätzliche Aussage über unsere Existenz. Wir kennen die Zukunft nicht, | |
wir wissen nicht, wer oder was als Nächstes auftaucht und die Zukunft zum | |
Positiven oder Negativen verändert. Der Song sollte gar nicht so ernst und | |
abgründig klingen, wie manche ihn nun aufnehmen. Vorbild war unter anderem | |
der „Universe Song“ von Monty Python. | |
Waren diese Krisen tatsächlich nicht absehbar oder waren wir sehr lange | |
sehr gut im Verdrängen? | |
Schon lange vor dem Ukrainekrieg hatte der Stellvertreterkrieg in Syrien | |
begonnen. Dort war es auch Putin, der brutal gebombt hat und dafür sorgen | |
wollte, dass Russland seinen Zugang zum Mittelmeer behielt. Ich habe | |
darüber auch in Diskussionen gesprochen – mit einem Krieg in Europa habe | |
ich trotzdem nicht gerechnet. Wobei man sich auch fragen kann, ob die | |
Stellvertreterkriege nicht moralisch noch schlimmer sind, wenn sie dort | |
stattfinden, wo die Bevölkerung damit eigentlich gar nichts zu tun hat, wie | |
in Syrien. Russlands Aggressionen werfen eine Menge Fragen auf. | |
„Die Welt wird knusprig“ und „Die Kinder brauchen Platz“ sind klassische | |
Protestsongs, es geht um drängende Probleme wie Ressourcenverteilung und | |
-verschwendung, Städteplanung, Mobilität. Haben Sie sich gefragt, ob Musik | |
vielleicht zu plakativ ist? | |
Diesbezüglich bin ich angstfreier geworden. Die Songs sind ja nicht | |
durchweg plakativ. Es fängt an mit einem Stück, das Orientierungslosigkeit | |
und Mutlosigkeit illustriert („Stellt mir einen Clown zur Seite“), und es | |
wird immer entschiedener und entschlossener. Außerdem führen einen auch die | |
vermeintlich plakativen Songs auf die falsche Fährte: Da werden lauthals | |
Freiheitsrechte eingefordert und die Selbstverständlichkeit, diese immer | |
weiter auszudehnen. Doch das führt irgendwann dazu, dass andere Menschen | |
unterdrückt oder in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. | |
Beim Wort „knusprig“ hatte ich zunächst positive Assoziationen, dabei | |
handelt der Song davon, dass die Welt brennt. | |
Im Subtext sagen die Lyrics aber auch: die Beschreibung und das Erkennen | |
all dieser Missstände sind nicht neu. Kapitalismus ist nicht neu, die | |
Überbeanspruchung von Ressourcen ist nicht neu, auch die Gedanken des | |
Postkolonialismus sind nicht neu. All das begleitet uns schon seit | |
Jahrzehnten. Vielleicht drückt das Stück auch meine Probleme mit | |
Identitätspolitik aus, denn für mich geht es nicht um Jung gegen Alt, um | |
Schwarz gegen Weiß, um Queer gegen Hetero, sondern es geht darum, bestimmte | |
Systeme in Frage zu stellen. | |
Also Kapitalismus abschaffen? | |
Das wäre die Frage – und die stelle ich auf dem Album auch. Denn ist es | |
wirklich hilfreich, auf Elektroauto umzustellen und mit dem Lastenrad zur | |
Arbeit zu fahren – oder kauft man sich nur von dem schlechten Gewissen | |
frei, weil wir am Ende doch immer wieder Ressourcen verbrauchen als | |
Industrienation? Ich spreche ganz bewusst nicht davon, den Kapitalismus | |
abzuschaffen. Jeder Ökonom weiß, dass dieses Wirtschaftssystem auf Wachstum | |
beruht und dass wir ohne Wachstum diesen Wohlstand nicht hätten. Ich | |
glaube, es ist wichtig, da ehrlich zu sein, bevor man Steine schmeißt und | |
die Revolution fordert. | |
Was folgt dann daraus? | |
Es führt zu weiteren unbequemen Fragen. Welche demokratisch legitimierte | |
Regierung wird denn wiedergewählt, wenn sie den Leuten zumutet, dass sie | |
hinterher weniger haben? Stecken wir nicht in einem Kreislaufsystem fest? | |
Bei all den schweren Themen könnte man den Titel des Albums „Hallo | |
Euphoria“ fast ironisch lesen. Ich habe tatsächlich gleich beim ersten Song | |
ein kleines Glücksgefühl bekommen, wegen der Keyboard- und | |
Streichermelodie. Geht es Ihnen bei dem Stück – um so etwas wie das zeitlos | |
Gute und Schöne? | |
Ich denke ja. Ich stelle mir immer Marquis de Sade in seiner Zelle vor. Er | |
hatte keine Reize von außen, überhaupt kein Grund positiv zu sein, und dann | |
schreibt er diesen Quatsch auf und hat wahrscheinlich genau da seine | |
euphorischen Momente. Am Ende entsteht Euphorie durch Gehirnchemie und hat | |
nicht immer etwas mit realen Ereignissen zu tun. Ich glaube, es kann auch | |
eine Überlebensfunktion sein, dass Menschen in den schlimmsten Situationen | |
Euphorie befällt. | |
7 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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