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# taz.de -- Mangel an Lehrkräften: Quereinstieg ist keine Lösung
> Der Lehr:innenmangel trifft besonders Sachsen-Anhalt. Das Land sollte
> sich schnellstens bemühen, für Lehrkräfte attraktiv zu werden.
Bild: Nach Angaben des Deutschen Lehrerverbandes fehlen bundesweit 40.000 Lehrk…
Stundenpläne werden gekürzt, Klassen vergrößert, Fächer und Förderangebote
gestrichen, Schüler:innen von Laien unterrichtet und ständig früher nach
Hause geschickt, weil Lehrer:innen fehlen – das ist nicht der Plot für
einen dystopischen Roman über den Niedergang der Bildungsrepublik
Deutschland, nein, das ist die Realität in zahlreichen deutschen Schulen.
Der [1][Lehr:innenmangel in Deutschland] hat ein dramatisches Ausmaß
angenommen. Nach Angaben des Deutschen Lehrerverbandes [2][fehlen
bundesweit 40.000 Lehrkräfte]. Die Unterrichtsversorgung habe sich in allen
Bundesländern verschlechtert, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger
zu Beginn dieses Schuljahres.
Wie eine taz-Umfrage unter allen 16 Bildungsministerien zeigt, trifft der
Mangel an Lehrer:innen Ostdeutschland deutlich härter als den Westen.
Besonders dramatisch ist die Situation in Sachsen-Anhalt. Hier ist die
Unterrichtsversorgung laut Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) so schlecht
wie noch nie in der Geschichte des Bundeslandes. Wegen des Personalmangels
konnte zu Beginn des Schuljahres nur 92 Prozent des Unterrichts stattfinden
– in 267 Schulen lag die Unterrichtsversorgung sogar unterhalb von 90
Prozent. Für eine Versorgung von 100 Prozent fehlen rund 850 Lehrer:innen.
Wie das Bildungsministerium Sachsen-Anhalts auf Anfrage mitteilte, seien
Grundschulen und Förder-Sekundarschulen besonders vom Lehrkräftemangel
betroffen. In manchen Regionen könnten Grundschulen eine Öffnungszeit von
fünfeinhalb Stunden nicht mehr gewährleisten. Viele Schulen im Land
[3][wären ohne Seiteneinsteiger:innen nicht mehr arbeitsfähig] –
diese machen laut Ministerium ein Drittel aller Neueinstellungen aus.
## Vielschichtige Gründe
Die Gründe für den wachsenden Lehrkräftemangel in Deutschland sind
vielschichtig. Zum einen gibt es immer mehr Schüler:innen – was daran
liegt, dass die Geburtenzahlen seit Jahren steigen und [4][zahlreiche
Kinder und Jugendliche aus der Ukraine] und anderen Ländern zuwandern. Die
Kultusministerkonferenz (KMK) rechnet damit, dass es 2035 eine Million mehr
Schüler:innen geben wird als heute.
Außerdem gehen zur Zeit mehr Lehrer:innen in den Ruhestand, als neue
eingestellt werden. Das hat mit schlechten Planungen einzelner Länder und
dem demografischen Wandel zu tun, der Ostdeutschland besonders hart trifft.
Es hat aber auch damit zu tun, dass immer weniger Menschen Lehrer:in
werden wollen. [5][Der Beruf hat an Ansehen verloren] – nicht zuletzt wegen
niedriger Einstiegsschwellen für Quereinsteiger:innen. Wegen des
Personalmangels darf in Sachsen-Anhalt zum Beispiel jede
Bachelorabsolventin unterrichten, auch wenn sich aus ihrem Abschluss kein
bestimmtes Unterrichtsfach ableiten lässt.
## Kriterien erneut gesenkt
Um dem Lehrer:innenmangel entgegenzuwirken, setzen die Länder auf
verschiedene Maßnahmen. Thüringen zum Beispiel wirbt um Lehrkräfte im
Ruhestand. Berlin verbeamtet nach langer Zeit wieder Lehrer:innen.
Brandenburg vergibt Stipendien an Lehramtsstudierende, die sich dazu
verpflichten, als Landlehrer:in zu arbeiten. Sachsen-Anhalt hat
angekündigt, Grundschullehrer:innen genauso bezahlen zu wollen wie die
Lehrkräfte an Gymnasien, die Zahl der Studienplätze um 200 auf 1.200 erhöht
und Headhunter engagiert, die im Ausland nach Lehrkräften suchen.
Zusätzlich dazu versuchen die meisten Bundesländer, Personallücken mit
Quereinsteiger:innen zu füllen. Sachsen-Anhalt – wo die Situation
besonders prekär ist – hat die Kriterien für Seiteneinsteiger:innen
mit Bachelor gerade erneut gesenkt. Diese können jetzt nach einem Jahr
entfristet werden, wenn sie sich zu einer Qualifizierung für ein
Unterrichtsfach der Sekundarschule verpflichten.
## Keine langfristige Lösung
Seiteneinsteiger:innen mögen Sachsen-Anhalt und viele andere Länder
zwar kurzfristig vor dem Kollaps des Schulsystems bewahren. Eine
[6][langfristige Lösung sind sie aber nicht]. Kinder und Jugendliche
verdienen voll ausgebildete Lehrer:innen – Menschen, die neben Mathe,
Englisch oder Chemie auch Pädagogik studiert haben. Es hat schon seinen
Grund, dass Lehrer:innen fünf Jahre studieren und danach ein
Referendariat machen müssen, ehe sie unterrichten dürfen.
Ein hoher Anteil an Seiteneinsteiger:innen verschlechtert aber nicht
nur die Bildungschancen von Millionen von Schüler:innen, sondern auch das
Image des Lehrberufs – was wiederum das Kernproblem befeuert und dazu
führt, dass weniger Menschen Lehrer:in werden wollen. Warum sollte ich
mich nach dem Studium durch ein stressiges Referendariat quälen, wenn
gefühlt jede:r Mensch mit Hochschulabschluss eine Klasse unterrichten
darf?
## Imagekampagne nötig
Um das Problem Lehrer:innenmangel langfristig in den Griff zu kriegen,
sollte Sachsen-Anhalt eine massive Imagekampagne für den Beruf starten.
Denn erst dann, wenn sich wieder mehr Menschen für den Lehrerberuf
interessieren, sind Maßnahmen wie die Erhöhung von Studienplätzen wirksam.
Darüber hinaus muss das Land alles dafür tun, um seine Lehramtsstudierenden
nach dem Abschluss in Sachsen-Anhalt zu halten: Es muss zum einen [7][die
ländlichen Regionen attraktiver machen], etwa durch schnelle
Zugverbindungen nach Halle und Magdeburg. Zum anderen muss Sachsen-Anhalt
die Arbeitsbedingungen vor Ort an die Bedürfnisse angehender
Lehrer:innen anpassen. Diese haben keine Lust, in einem maroden Gebäude
ohne Wlan zu unterrichten und sich mit Verwaltungskram herumzuschlagen. Sie
wollen ihre Zeit voll und ganz den Schüler:innen widmen, AGs gründen,
neue Lernformen ausprobieren und den Unterricht frei gestalten. Würde
Sachsen-Anhalt besonders viel Flexibilität bei der Unterrichtsplanung und
-durchführung ermöglichen, würden vielleicht weniger Lehrer:innen in
andere Bundesländer abwandern.
Wichtig ist vor allem, dass Sachsen-Anhalt schnell handelt. Es ist das Land
mit der bundesweit ältesten Bevölkerung, zwei Drittel aller Lehrer:innen
sind älter als 50 Jahre. Das Bildungsministerium muss also alles geben, um
die Zahl der ausgebildeten Lehrer:innen zu erhöhen. Das ist es
mindestens den rund 200.700 Schüler:innen im Land schuldig.
13 Oct 2022
## LINKS
[1] /Lehrermangel-und-Inklusion/!5873408
[2] /Lehrkraeftemangel-in-Deutschland/!5877578
[3] /Seiteneinstieg-in-der-Schule/!5525909
[4] /Flucht-aus-der-Ukraine/!5842547
[5] /Studie-zum-Ansehen-von-Lehrern/!5550596
[6] /Mangel-an-Lehrerinnen-in-Berlin/!5877782
[7] /Verkehrswende-auf-dem-Land/!5803906
## AUTOREN
Rieke Wiemann
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