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# taz.de -- Angriff auf Fastfood-Lieferanten: Wegen ein paar Pommes
> Ein schwarzer Lieferfahrer bringt Essen zum Büro der Johanniter. Dort
> wird ihm der Arm gebrochen. Die Polizei ermittelt gegen einen Sanitäter.
Bild: Lieferfahrer Nelson Mbugu mit Armschlaufe
Brandenburg/Havel taz | Es ist Nelson Mbugus letzte Tour an diesem
Montagabend Anfang September. Der Kenianer ist Lieferant bei McDonald’s in
Brandenburg an der Havel. Er packt zwei Taschen mit Fastfood ins Auto,
einen kleinen Citroën, leuchtend rot lackiert. Weit muss er nicht fahren,
700 Meter die Straße runter. Hier ist die Regionalgeschäftsstelle der
Johanniter Unfall-Hilfe, ein zweistöckiger Betonklotz, zwischen Spielcasino
und Plattenbauten.
In der Geschäftsstelle hat eine Besprechung zum Sanitätsdienst
stattgefunden, die meisten bleiben noch zum Essen. Ein Mitarbeiter hat die
Bestellung aufgegeben: fünf Burger-Menüs mit Pommes und Cola, einen extra
Chicken-Burger und ein McFlurry. Gesamtbetrag: 60,68 Euro. Aber Nelson
Mbugu bekommt keinen Dank oder gar Trinkgeld für diese Lieferung, sein
Arbeitstag endet mit einem komplizierten Bruch im linken Arm. Er wird zehn
Tage im Krankenhaus liegen und wohl für Monate arbeitsunfähig sein.
Es geht in dieser Geschichte um einen Mitarbeiter der Johanniter, der
offenbar ausgerastet ist, weil seine Pommes fehlten. Es geht aber auch
darum, wie fragwürdig die Hilfsorganisation einmal mehr agiert. [1][Die taz
hatte Mitte September eine Recherche über Rechtsextremismus und Rassismus
im Rettungsdienst veröffentlicht.] Es wurde unter anderem beschrieben, wie
ein Mitarbeiter der Johanniter in Köln die Geburtstage von Nazigrößen in
einen Kalender auf der Wache eintrug und die Organisation wenig Interesse
an Aufklärung zeigte. Anders als die damals beschriebenen Fälle ist das,
was Nelson Mbugu in Brandenburg erlebt hat, strafrechtlich relevant. Die
Kriminalpolizei ermittelt wegen Körperverletzung. Für die Johanniter hängt
an dem Fall auch ein Stück Glaubwürdigkeit als christliche
Hilfsorganisation.
Vier Wochen nach dem Angriff sitzt Nelson Mbugu in seinem Wohnzimmer. Er
ist 39 Jahre alt, lebt seit 2017 in Deutschland, ist mit einer Deutschen
verheiratet. Den linken Arm trägt er in einer Schlaufe, noch immer nimmt er
starke Schmerzmittel. Mbugu spricht leise, mischt beim Reden Deutsch und
Englisch. Was am 5. September passiert ist, kann er immer noch nicht
fassen.
## Ein Knacken, dann kommt der Schmerz
Er hat sein Auto vor dem Gebäude der Johanniter geparkt und die Bestellung
abgeliefert. Eine Frau nimmt sie entgegen und fragt, ob das alles sei.
Mbugu sagt, das sei alles, und geht zu seinem Auto. Er ist schon ein paar
Meter gefahren, da sieht er, wie aus dem Gebäude ein Mann auf ihn zuläuft
und winkt. Recht klein, kräftig, mit Glatze. Er spricht Mbugu an, beschwert
sich, dass Pommes fehlen würden. So erinnert sich Mbugu.
Er antwortet, dass er McDonald’s anrufen solle, sie würden alles
nachliefern. Sie diskutieren kurz, aber ruhig, sagt Mbugu, schließlich
greift Mbugu selbst zum Handy. Da bemerkt er, wie sich der Mann durch das
Fenster in sein Auto beugt und versucht, die Autoschlüssel abzuziehen.
Mbugu ist schneller und zieht sie ab.
Was dann passiert, daran erinnert sich Mbugu so: Der Mann zieht seinen Kopf
aus dem Auto, greift dabei Mbugus linken Arm und zieht den Arm aus dem
Fenster. „Ich konnte nichts machen, ich war angeschnallt, ich war in einem
Käfig“, sagt Mbugu. Der Angreifer sieht ihm direkt in die Augen, klemmt
sein Handy, das er in der Hand hatte, zwischen die Zähne und drückt mit
beiden Händen und seinem vollen Gewicht auf Mbugus ausgestreckten Arm.
Mbugu hört ein Knacken, dann kommt der Schmerz.
Der Angreifer lässt ab und geht. In diesem Moment kommt ein weiterer
McDonald’s-Mitarbeiter angefahren. Er heißt Michael Jentschel, es ist sein
erster Tag im Job. Mbugu hatte offenbar tatsächlich einen Teil der
Bestellung vergessen. Michael Jentschel erzählt das alles ausführlich am
Telefon. „Ich bin etwa fünf Minuten nach Nelson losgefahren“, sagt er. „…
ich bei den Johannitern ankam, stand Nelsons Auto quer auf der Straße.“
Den Angriff selbst habe er nicht gesehen, den weiteren Verlauf schildert er
so: Er parkt und sieht einen glatzköpfigen Mann aus der Richtung von Mbugus
Auto auf ihn zulaufen. Aufgebracht habe der gewirkt, wütend, und ihn
angepampt: Wieso hier die Hälfte der Bestellung fehle? Jentschel versucht
den Mann zu beruhigen und übergibt ihm die Tüte mit den Pommes. Aus Mbugus
Auto hört er Geräusche, denkt, das Radio läuft. „Da sagt der Kunde
plötzlich zu mir: Jetzt kannste dich um deinen Kollegen kümmern, du hörst
ja, wie der schreit.“
## Rassistische Beschimpfungen
Michael Jentschel läuft zu seinem Kollegen, der sitzt schreiend auf dem
Fahrersitz. Die Scheibenwischer laufen, der Warnblinker ist an. „Nelson
liefen die Tränen. Er hat immer wieder gesagt: Der hat mir wehgetan. Merk
dir sein Gesicht.“ Jentschel ruft einen Rettungswagen und die Polizei. Er
sagt, er habe so etwas noch nie erlebt: Ein Mann wie Nelson, groß und
stark, wimmernd vor Schmerz. Was ihn aber am meisten schockiert habe: „Da
standen drei oder vier Frauen am geöffneten Fenster der Johanniter, wenige
Meter von uns entfernt. Sie müssen Nelson gehört haben, vielleicht sogar
gesehen haben, was passiert ist.“ Niemand von ihnen habe geholfen, sagt
Jentschel. Auch Mbugu berichtet von den Personen im Fenster. Die beiden
haben seit dem Vorfall nicht gesprochen.
Eine Sprecherin der Johanniter bestätigt, dass zu dieser Zeit noch etwa
sieben Mitarbeitende im Gebäude waren. Wie die sich verhalten haben, warum
sie offenbar nicht geholfen haben, dazu könne sie zurzeit nichts sagen.
„Sollte […] ein Fehlverhalten seitens unserer Mitarbeitenden festgestellt
werden, werden wir die erforderlichen Konsequenzen ziehen“, schreibt sie.
Im Leitbild der Johanniter heißt es, der Umgang miteinander sei „geprägt
von Achtung und Respekt“. Wie kann es sein, dass Ehrenamtliche einer
solchen Organisation nicht helfen, wenn ein Mensch offenkundig schwer
verletzt ist? Geht es hier nicht nur um einen brutalen Angriff, sondern
auch um unterlassene Hilfeleistung? Ein Polizeisprecher sagt, dass deswegen
nicht ermittelt werde. Und ob bei der beschriebenen Auseinandersetzung
zwischen Nelson Mbugu und dem Kunden [2][rassistische] Beschimpfungen
gefallen sind, sei Teil der laufenden Ermittlungen.
Der Rettungswagen nimmt Mbugu mit ins Krankenhaus. Die Schmerzen seien
unerträglich gewesen, sagt Mbugu. Er bekommt Morphium, wird geröntgt.
„Distale Humerusschaftspiralfraktur links“, steht später im Arztbrief.
Spiralbruch im Oberarm. Die Operation dauert Stunden, Mbugu bekommt eine
Metallplatte eingesetzt.
## Der Beschuldigte gilt als Vorbild
Die Polizei veröffentlicht am nächsten Tag eine Pressemitteilung mit dem
Titel „Streit um Pommes Frites eskalierte“. Es sei zu einem Wortgefecht
gekommen, das in „Handgreiflichkeiten zwischen den beiden“ geendet sei.
Einen Tatverdächtigen konnten sie bis dato nicht ermitteln.
Den findet Nelson Mbugu selbst. Er kann kaum schlafen nach dem Angriff. Im
Krankenhausbett klickt er sich durch die Facebook-Fotos der Johanniter
Brandenburg und entdeckt den Mann, von dem er sich sicher ist, dass er der
Angreifer ist. Die Kriminalpolizei kommt später auch auf ihn, führt den
Mann inzwischen als einzigen Tatverdächtigen.
Der Mann ist Anfang 40 und als Rettungssanitäter beim Regionalverband
Brandenburg-Nordwest der Johanniter angestellt. Ehrenamtlich leitet er
darüber hinaus in der Stadt den Bereich Katastrophenschutz, koordiniert die
sogenannte Schnelleinsatzgruppe. Als im Sommer in Brandenburg die Wälder
brannten, verteilte er Brötchen an die Feuerwehrleute. Als im Sommer davor
in Rheinland-Pfalz Täler überflutet wurden, ließ er sich von seinem Job
freistellen, um dort die Feldküche für die Helfer zu betreuen. Für die
Johanniter ist der Mann ein Aushängeschild. Im Juni dieses Jahres erhielt
er den Ehrenamtspreis der Stadt. „Wir sind sehr stolz, jemand so
engagiertes in unserer Johanniter-Familie dabei zu haben“, schreiben die
Johanniter dazu auf Facebook. Herzchen-Emoji.
Der Beschuldigte will nicht mit der taz sprechen. Inzwischen hat er sein
Ehrenamt im Katastrophenschutz aufgegeben und den Standort gewechselt.
Arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen ihn gab es in seinem alten
Regionalverband Brandenburg nicht, man wollte den polizeilichen
Ermittlungen nicht vorgreifen, schreibt die Sprecherin. Seit 1. Oktober
arbeite er „auf eigenen Wunsch“ im Johanniter-Regionalverband
Magdeburg/Börde/Harz. Der dortige Vorstand schreibt auf taz-Anfrage, er sei
zwar aus Brandenburg über den Tatverdacht informiert worden, über die
„Tragweite“ allerdings erst am vergangenen Freitag – an diesem Tag hatte
die taz in Brandenburg nachgefragt, ob der neue Regionalverband informiert
worden sei. Der Mitarbeiter sei noch am Freitagnachmittag „mit sofortiger
Wirkung vom Dienst freigestellt worden“. Man behalte sich weitere
arbeitsrechtliche Maßnahmen vor, schreibt der Magdeburger Vorstand.
Nelson Mbugu ist sehr zufrieden, wie sich sein Arbeitgeber McDonald’s um
ihn kümmert. Von den Johannitern ist er enttäuscht. Bis heute haben sie
sich nicht bei ihm gemeldet. Eine Verwandte von ihm hatte kurz nach dem
Vorfall dem Regionalverband bei Facebook geschrieben, ob sie sich denn
nicht einmal äußern wollen zu dem Vorfall. Das Social-Media-Team antwortet,
man unterstütze die Ermittlungen der Polizei. „Fakt ist, der Vorfall ist
nicht auf unserem Gelände, sondern außerhalb im öffentlichen Raum auf der
Straße passiert“, heißt es in der Antwort. Und: „Freundliche Grüße.“
11 Oct 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Anne Fromm
Sebastian Erb
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