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# taz.de -- Urteil nach Angriff auf Essenslieferant: Pommes oder Prügel
> Ein Rettungssanitäter brach einem McDonald's-Fahrer brutal den Arm. Nun
> wurde der Mann verurteilt.
Bild: Einmal Pommes und Mayo mit einem Schlag Rassismus, bitte
Brandenburg/Havel taz | Der Sitzungssaal 4 im Brandenburger Amtsgericht ist
am Mittwochmorgen so voll, dass zusätzliche Stühle geholt werden müssen.
Rund 30 Zuschauer*innen sind gekommen, um den Prozess zu einer Straftat
zu verfolgen, die die kleine Stadt an der Havel aufgerüttelt hat.
Angeklagt ist Florian P., 42 Jahre, ein kräftiger Mann mit Halbglatze. Er
ist Rettungssanitäter, bis vergangenes Jahr war er bei der
Johanniter-Unfall-Hilfe angestellt, hat den Katastrophenschutz geleitet und
junge Leute ausgebildet. Er ist angeklagt wegen vorsätzlicher
Körperverletzung.
Im September 2022 hat er einem Lieferfahrer von McDonald’s den Arm
gebrochen – angeblich, weil der Lieferfahrer ein paar Pommes vergessen
hatte. Das zumindest glauben der Lieferfahrer und die Staatsanwaltschaft.
Die taz hatte den Fall [1][bundesweit bekannt gemacht].
Florian P. leitete damals eine Fortbildung bei den Johannitern. Am Abend
bestellen die Teilnehmenden beim nahegelegenen McDonald’s. Knapp eine
Stunde später bringt der Fahrer Nelson Mbugu in einem kleinen Lieferauto
Burgermenüs, Getränke und Pommes. Mbugu ist gebürtiger Kenianer, seit 2017
lebt er in Deutschland.
## Ein Schmerz, so schlimm wie noch nie
Er liefert die Bestellung an der Tür ab, aber offenbar ist sie nicht
vollständig. Florian P. läuft Mbugu hinterher. Der sitzt schon im Auto, ist
angeschnallt und will zum nächsten Kunden fahren. Doch bevor er losfahren
kann, kommt es zur Diskussion. Am Ende hat Mbugu einen gebrochenen Oberarm,
er schreit vor Schmerz, hupt unaufhörlich. Florian P. geht zurück ins
Johanniter-Haus. Den Rettungswagen und die Polizei ruft ein Kollege von
Mbugu. So weit ist der Ablauf unstrittig. Vor Gericht geht es um die Frage,
ob Florian P. den Arm von Nelson Mbugu vorsätzlich gebrochen hat oder
fahrlässig, also mit Absicht oder aus Versehen.
Der Verteidiger von P. kündigt an, dass sich sein Mandant nicht äußern
wird. In seinem „opening statement“ fordert er, dass es in der Verhandlung
weder um Hautfarbe, noch um Weltanschauung gehen solle. Weil Mbugu schwarz
ist, hatten er und seine Unterstützer*innen Rassismus als mögliches
Motiv für die Tat gesehen.
Der Verteidiger bestreitet nicht, dass sein Mandant Nelson Mbugu verletzt
hat. Aber er bestreitet, dass er dies vorsätzlich getan hat. Vielmehr habe
sein Mandant „vor Schreck“ nach dem Oberarm gegriffen, weil Mbugu mit dem
Auto losfahren wollte und Florian P. über den Fuß gefahren sei. Dabei sei
der Arm gebrochen.
Nelson Mbugu schildert die Tat anders, viel drastischer. Florian P. habe
aggressiv gewirkt, sei mit seinem Oberkörper durch die heruntergelassene
Scheibe in sein Auto gekommen, um den Schlüssel abzuziehen. Mbugu habe
seine Arme hochgenommen, um zu signalisieren, dass er keine
Auseinandersetzung wolle. Daraufhin habe Florian B. sich mit seinem ganzen
Gewicht gegen den Arm gestemmt, der aus dem Autofenster ragte und habe den
gegen die B-Säule des Wagens gedrückt. Mbugu habe ein Krachen gehört und
danach einen Schmerz gespürt, der schlimmer gewesen sei, als alles was er
bis dahin kannte.
## Zeugen wollen nichts mitbekommen haben
Das Gericht hat auch [2][drei Johanniter] geladen, die während der Tat in
dem Raum waren, vor dessen Fenster die Auseinandersetzung passiert ist. Sie
alle sind sichtlich nervös. Sie winden sich zu beschreiben, was passiert
ist. Sie wollen nichts Entscheidendes gehört oder gesehen haben, sprechen
von „dem Unfall“.
Der Erste erzählt, Florian P. habe nach der Tat nervös gewirkt und
sinngemäß gesagt: Es sei nichts Schlimmes passiert. Wenn der Lieferant Pech
habe, „hab ich ihm maximal das Handgelenk ausgekugelt oder den Finger
gebrochen“. Keiner der Teilnehmer, so sagt der Zeuge, habe darauf reagiert.
Niemand habe Florian P. zur Rede gestellt. Niemand will den hupenden und
schreienden Lieferfahrer gesehen haben, niemand ging ihm helfen. „Wir haben
uns darauf verlassen, dass nichts Schlimmes passiert sei“, sagt der Zeuge.
Dann habe man gegessen.
Die zweite Zeugin sagt, sie habe am Fenster gestanden, aber die Tat nicht
gesehen. Sie habe nur gehört, dass der Lieferfahrer Florian P. als „Nazi“
beschimpft habe. Und eines erinnert sie: Das Auto des Lieferfahrers sei
nicht gerollt. Das widerlegt die Darstellung des Verteidigers, Mbugu sei P.
über den Fuß gefahren.
Der dritte Zeuge will so sehr auf seinen Burger konzentriert gewesen sein,
dass er gar nichts mitbekommen habe.
## „Haben Sie vor etwas Angst?“
Adelheid van Lessen, die Richterin und Direktorin des Amtsgerichts kann
ihre Fassungslosigkeit kaum verbergen. Immer wieder ermahnt sie die Zeugen,
die Wahrheit zu sagen. Sagt, sie glaube nicht, dass sie sich nicht erinnern
könnten. „Haben sie vor irgendetwas Angst?“, fragt sie einen Zeugen.
Auch der Staatsanwalt, der selbst einmal ehrenamtlicher Johanniter war,
ermahnt einen Zeugen: „So eine Körperverletzung kann nicht dazu führen,
dass sie als Katastrophenschützer ihr Hirn ausschalten.“ Florian P. sitzt
während den Vernehmungen gut einen Meter entfernt von den Zeugen, die mal
seine Auszubildenden waren.
Die Richterin zitiert aus der Krankenakte von Nelson Mbugu: Er musste
operiert werden, bekam eine Platte in den Arm eingesetzt. Bis heute könne
er seinen Arm nur eingeschränkt bewegen, schreibt ein Arzt im Mai. Mbugu
leide seit dem an einer posttraumatischen Belastungsstörung,
Schlaflosigkeit und einer Angststörung. Er treffe nur noch selten Freunde
und habe den Job gewechselt. Das Schlimmste sei für ihn, dass das alles an
einem Ort passiert ist, an dem Menschen arbeiten, die darauf spezialisiert
sind, anderen zu helfen. Doch niemand hat ihm geholfen.
Schließlich gibt ein Rechtsmediziner seine Einschätzung ab. Um einen
Oberarm so zu brechen wie den von Nelson Mbugu, brauche es viel Kraft.
Allein mit den Händen ginge das nicht, dafür bräuchte es schon Bein- oder
Körperkraft. Er sehe nicht den leisesten Widerspruch zwischen den
Schilderungen von Nelson Mbugu und den Verletzungen, sagt er.
## Zehn Monate Haft auf Bewährung
Nach fast sieben Stunden Verhandlung fordert die Staatsanwaltschaft sechs
Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung, da der Angeklagte noch nicht
vorbestraft ist. Der Verteidiger von Florian P. fordert einen Freispruch.
Die Richterin geht schließlich sogar über die Forderung des Staatsanwalts
hinaus. Sie verurteilt Florian P. zu zehn Monaten Haft auf Bewährung wegen
vorsätzlicher Körperverletzung. Außerdem muss er 3.600 Euro an die
Opferhilfeorganisation Weißer Ring zahlen.
Florian P. wolle gegen das Urteil in Berufung gehen, kündigte sein
Verteidiger am Tag nach der Verhandlung gegenüber der taz am Telefon an.
2 Nov 2023
## LINKS
[1] /Angriff-auf-Fastfood-Lieferanten/!5883867
[2] /taz-Recherche-Rechte-Retter/!5901817
## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Johanniter
Rettungsdienst
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