# taz.de -- Rechte Retter und die Folgen: Wiederholungstäter | |
> Die taz deckt rechte Vorfälle bei Rettungsdiensten auf, und sofort gibt | |
> es Abwehrreflexe. Um dem entgegenzuwirken, braucht es konkrete | |
> Maßnahmen. | |
Bild: Volles Vertrauen? Rettungswagen im Einsatz | |
Die Reaktionen kamen schnell. Man werde den Vorwürfen nachgehen, | |
versicherten die Malteser. Und auch die Johanniter Unfallhilfe erklärten, | |
die Schilderungen machten „sehr betroffen“ und seien „mit unseren Werten | |
unvereinbar“. Man sei dabei, „diesen Fall konsequent aufzuarbeiten“. | |
Verstöße würden straf- und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. | |
Klare Worte. Oder? Am vergangenen Wochenende hatte die taz die Ergebnisse | |
einer monatelangen Recherche veröffentlicht, in der sie rechtsextreme | |
Vorfälle in den Rettungsdiensten beider Verbände offenlegte. Hitlers | |
Geburtstag im Dienstkalender eingetragen, für alle sichtbar. Äußerungen | |
eines Mitarbeiters, er würde eher ein Flüchtlingsheim anzünden, als den | |
Bewohner:innen zu helfen. Migrantische Patient:innen, denen eine | |
Scheinkrankheit attestiert wurde, ein „Morbus bosporus“. | |
[1][Zuletzt schon waren rassistische Chatgruppen bei der Polizei | |
aufgeflogen.] Immer wieder fiel auch die Bundeswehr mit rechtsextremen | |
Vorfällen auf. Nun also auch der Rettungsdienst? Die Helfer? Die Guten? Es | |
folgten denn auch prompt Abwehrreaktionen. Man habe mit Rechtsextremismus | |
bisher kein Problem gehabt, stellten die Malteser klar. Und: „Wir wehren | |
uns daher gegen eine pauschale Anklage zu rassistischem Verhalten von | |
Rettungskräften.“ | |
Dabei können diese Befunde nicht wirklich erstaunen. Es wurde bisher | |
schlicht nicht genauer hingeguckt in diesem Bereich. Wer will, kann sich | |
aber an Lübeck im Frühjahr 1996 erinnern. Ein Brandanschlag auf ein Haus | |
für Asylsuchende tötete damals 10 Geflüchtete. Die Tat ist bis heute nicht | |
aufgeklärt. Verhaftet wurde danach aber einer der Bewohner, weil ein | |
Sanitäter behauptet hatte, dieser habe ihm die Tat gestanden. Der Vorwurf | |
ließ sich nie erhärten, der Libanese wurde freigesprochen. Mehrere Monate | |
aber musste er in Haft sitzen. [2][In jüngster Zeit machte dann die | |
Feuerwehr Bremen, die auch Rettungsdienste fährt, Schlagzeilen mit | |
rassistischen Chatgruppen.] In Düsseldorf war ein Sanitäter Mitglied einer | |
rechtsextremen Kameradschaft. Alles Einzelfälle? | |
Natürlich lässt sich hier erst mal nichts verallgemeinern. Und natürlich | |
opfern sich die allermeisten in diesem Job ehrlich und rechtschaffen auf, | |
um anderen zu helfen. Wie groß das Problem ist, weiß man aber schlicht | |
nicht. Denn die Empirie dazu existiert quasi nicht. Ein Hinweis lieferte | |
aber zuletzt das Sozioökonomische Panel des Deutschen Instituts für | |
Wirtschaftsforschung, bei dem immerhin knapp 17 Prozent der Befragten | |
erklärten, dass sie Diskriminierungen im Gesundheitsbereich erlebten. Auch | |
eine aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes konstatiert, | |
dass es Hinweise gibt, wonach etwa Migrant*innen „im Hinblick auf den | |
Zugang zur Gesundheitsversorgung und bezüglich der Qualität der | |
medizinischen Behandlung benachteiligt sind“. Das zeige sich in längeren | |
Wartezeiten in Arztpraxen und Krankenhäusern, Stereotypisierungen in | |
Behandlungen, bei verweigerten Untersuchungen bis zum Gefühl von | |
Betroffenen, nicht ernst genommen zu werden. Der Branche fehle eine | |
„Diversitätsorientierung“, so der Bericht. Insbesondere Geflüchtete seien | |
bei der Gesundheitsversorgung mit „einem restriktiveren Umfang der | |
Leistungen konfrontiert“. | |
## 21 Prozent | |
Und natürlich ist auch der Rettungsdienst ein Abbild der Bevölkerung. So | |
verorteten die Mitte-Studien, die seit Jahren Einstellungen der deutschen | |
Bevölkerung erfassen, zuletzt 21 Prozent der Befragten beim Thema Rassismus | |
in einem „Graubereich“, der entsprechende Aussagen teils zustimme, teils | |
ablehne. Fast ebenso viele Befragte äußerten sich latent | |
demokratiefeindlich. Es gibt kaum Gründe anzunehmen, dass diese | |
Einstellungen nicht auch unter Sanitäter:innen verbreitet sind. Dazu | |
kommt ein Job im Dauerstress, in eingeschworenen Teams, mit oft | |
überschaubarer Führungsaufsicht. Einer, der sich immer wieder in | |
Ausnahmesituationen hineinbegibt. All das befördert eine Suche nach | |
Ventilen, die sich offenbar auch rechtsextrem entladen. | |
Warum das besonders heikel ist, liegt ebenso auf der Hand. Denn auch und | |
gerade das Rettungswesen besitzt eine sensible Verantwortungs- und | |
Machtposition. Diese beinhaltet nicht Waffen und Handschellen wie bei der | |
Polizei. Aber auch hier geht es um Menschen, denen wir uns im Notfall | |
ausliefern und das Vertrauen entgegenbringen müssen, dass sie alle gleich | |
behandeln, im Extremfall zwischen Leben und Tod. Ein Vertrauen, das einmal | |
erschüttert schwer wieder herzustellen ist. | |
Umso mehr beunruhigen nicht nur die aufgedeckten Vorfälle, [3][sondern auch | |
der Umgang damit.] Fehlende Statistiken über rechtsextreme Vorkommnisse | |
oder ärztliche Leitungen, die nie davon erfuhren. Nachfragen dazu, die | |
nicht beantwortet werden oder nur ausweichend. Ein Mitarbeiter, der | |
Probleme offen ansprach und letztlich gehen musste. Oder das prompte | |
Verwahren „gegen eine Pauschalverurteilung“, die es gar nicht gab. | |
Das Muster ist bekannt – von der Polizei. Auch dort schließen sich bei | |
Kritik schnell die Reihen, der Korpsgeist sorgt dafür. Wer ausschert, wird | |
zum Nestbeschmutzer. Auch hier ist sehr schnell die Rede von Einzelfällen – | |
obwohl man dies ebenso wenig sagen kann. Bis heute wehren sich Teile der | |
Polizei gegen empirische Untersuchungen. Dabei rügte erst diese Woche | |
erneut der Europarat, dass Deutschland endlich eine Studie zu Racial | |
Profiling in der Polizei anschieben müsse. | |
## Video eines Einsatzes | |
Wie die Sache läuft, wurde gerade erst wieder vorgeführt. In Berlin war ein | |
Video eines Einsatzes aufgetaucht, in dem ein Polizist eine syrische | |
Familie wegen einer ausstehenden Geldstrafe für mehrmaliges Fahren ohne | |
Fahrschein beleidigte: „Das ist mein Land und du bist hier Gast.“ Nach der | |
öffentlichen Kritik dauerte es nicht lang, bis ein Polizeigewerkschafter | |
eine „Hetzjagd“ gegen die Polizei beklagte, ein geschichtsvergessener | |
Begriff. Und selbst Bundesinnenministerin und Sozialdemokratin Nancy Faeser | |
erklärte, sie könne in dem Fall keinen Rassismus sehen. Ja, was denn sonst? | |
Diese Abwehrmechanismen dürfen sich jetzt nicht im Rettungsdienst | |
wiederholen. Und es reichen auch nicht nur Prüfungen im Einzelfall. Was es | |
braucht, sind konkrete Maßnahmen, die in die Struktur gehen. Empirische | |
Untersuchungen, um zu sehen, wie groß das Problem ist und wo es liegt. | |
Unabhängige Beschwerdestellen, für Patienten wie Bedienstete, nicht | |
versteckt in Organigramme, sondern für alle sichtbar und ansprechbar. Und | |
Fortbildungen, die das Thema Rechtsextremismus offensiv ansprechen und | |
kulturelle Sensibilität vermitteln. | |
Kurzum: Es braucht das Hinschauen. Nicht nur von der taz, die weiter | |
recherchieren wird. Nicht nur von den Verbänden, welche die Mitarbeitenden | |
einstellen und führen. Sondern auch von den Ländern und Kommunen, die die | |
Rettungsdienste beauftragen. Vor allem aber in den Kollegien, wo es | |
Widerspruch braucht, sobald sich der Hass offenbart – unmittelbar. | |
24 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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