| # taz.de -- Rechte Retter und die Folgen: Und dann ein Hitlerbärtchen | |
| > Nach der taz-Recherche über rassistische Vorfälle bemühen sich Johanniter | |
| > und Malteser um Aufklärung. Doch nicht alle nehmen das Problem ernst. | |
| Bild: Augen auf beim Einsatz: ein Malteser-Rettungswagen | |
| Berlin taz | Die Ankündigung klang vielversprechend: „Wir gehen Vorwürfen | |
| von menschenverachtendem Verhalten nach, wo es uns bekannt ist“, schrieb | |
| Elmar Pankau, der Obedienzritter des Malteserordens und Chef des Malteser | |
| Hilfsdienstes, am 30. September. Er bittet darum, die Mail an alle | |
| Beschäftigten der katholischen Organisation weiterzuleiten. | |
| Pankau beschreibt darin, wie die Malteser gegen Rassismus in den eigenen | |
| Reihen vorgehen wollen: Die Berufsausbildung soll erweitert, | |
| Pflichtfortbildungen implementiert werden, es soll regelmäßig Gespräche zu | |
| Diskriminierung und Rassismus geben. Man werde dafür auch mit externen | |
| Profis zusammenarbeiten. „Rassistische Äußerungen dürfen nicht verharmlost | |
| werden“, schreibt Pankau an die Mitarbeitenden. | |
| Der Malteser-Geschäftsführer reagierte damit auf [1][eine Recherche in der | |
| taz von Mitte September]. Wir hatten beschrieben, wie offen Rassismus und | |
| Rechtsextremismus im Rettungsdienst zum Teil ausgelebt und toleriert | |
| werden. Wir berichteten über rassistische Witze in Chatgruppen und über die | |
| Verherrlichung von Nazigrößen und NS-Propaganda auf Rettungswachen. Wir | |
| schilderten Fälle, in denen Patient*innen mit Migrationshintergrund | |
| offenbar schlechter behandelt wurden, weil Rettungskräfte rassistische | |
| Vorurteile haben. Konsequenzen: Fehlanzeige. | |
| Aber jetzt versprechen die Hilfsorganisationen Aufklärung. Nicht nur die | |
| Malteser, auch die evangelische Johanniter-Unfall-Hilfe hat Überprüfungen | |
| angekündigt. Es werden Gespräche geführt mit Mitarbeitenden, die sich in | |
| der Vergangenheit über Rassismus beschwert hatten. In beiden Organisationen | |
| sind Mitarbeitende überrascht, wie ernst es zumindest der oberen | |
| Führungsriege plötzlich zu sein scheint. Doch taz-Recherchen zeigen, dass | |
| die interne Aufarbeitung gar nicht so einfach ist. | |
| Viktor Linder und Halit Demir haben gerne im Rettungsdienst gearbeitet, sie | |
| wollten Menschen helfen, egal welcher Herkunft, Religion oder | |
| Weltanschauung. Aber ihre Erfahrungen bei den Maltesern in Köln haben ihnen | |
| die Freude am Beruf genommen. Im Sommer haben sie gekündigt, mit dem | |
| Rettungsdienst seien sie „durch“, sagt Viktor Linder am Telefon. | |
| Linder und Demir hatten zusammen eine Ausbildung zum Notfallsanitäter | |
| begonnen. Demir heißt eigentlich anders, er will nicht, dass diese | |
| Geschichte ewig an ihm klebt. | |
| ## Ein rauer Ton | |
| Beide hatten schon vorher als Rettungssanitäter beim Malteser Hilfsdienst | |
| gearbeitet, aber sie wollten mehr: mehr Wissen, mehr Verantwortung. Die | |
| Ausbildung zum Notfallsanitäter dauert fünf Jahre, wenn man sie – wie die | |
| beiden Männer – berufsbegleitend macht. Für die Praxis wurden sie auf die | |
| Rettungswache 10 geschickt, im Kölner Stadtteil Deutz/Kalk. | |
| Aber schon nach kurzer Zeit, sagen beide, hätten sie gemerkt, dass auf der | |
| Wache ein rauer Ton herrscht. Mehrfach haben sie sich nach eigenen Angaben | |
| über rassistische Äußerungen beschwert. Halit Demir sagt, als Mann mit | |
| Migrationshintergrund sei er von Kollegen beleidigt worden. „Kanake“, | |
| „Kameltreiber“, „Quotentürke“, solche Begriffe seien gefallen. Er habe… | |
| bei seinem Chef angesprochen, aber der habe gesagt: „Was im Rettungswagen | |
| besprochen wird, bleibt auch im Rettungswagen!“ | |
| Demir droht schließlich, das Problem öffentlich zu machen. Daraufhin habe | |
| ein anderer Vorgesetzter nur gesagt: „Was glauben Sie, wem die Presse | |
| glaubt: Der Kirche oder Ihnen?“ Der Sprecher des Malteser-Landesverbandes, | |
| Kai Vogelmann, äußert sich auf Anfrage nicht konkret zu diesen Zitaten, | |
| betont aber, dass die Vorwürfe „so nicht haltbar“ seien. | |
| Auch Viktor Linder hat erlebt, dass es schwierig ist, mit Kolleg*innen | |
| über Rassismus in der Belegschaft zu sprechen. „Da wird viel toleriert und | |
| wenig widersprochen“, sagt er. | |
| Der Höhepunkt sei gewesen, als er im Frühsommer 2021 mit einem | |
| Praxisanleiter zu einem Notfall gerufen worden sei: ein Mann, der kaum | |
| Deutsch sprach, mit einer infizierten Wunde am Bauch. Es sei schwierig | |
| gewesen, den Patienten zu überzeugen, dass er ins Krankenhaus müsse. Kurz | |
| nach der Einlieferung sahen Linder und sein Kollege ihn wieder aus der | |
| Klinik laufen. Da soll der Kollege zu Linder gesagt haben: „Das haben wir | |
| nun davon, wenn wir Paddelboote aus dem Mittelmeer fischen.“ | |
| Malteser-Sprecher Vogelmann äußert sich zu diesem Vorfall nicht. Ihm sei | |
| nur eine einzige Beschwerde der beiden Auszubildenden Linder und Demir | |
| bekannt. In diesem anderem Fall sei der Mitarbeiter, der sich rassistisch | |
| geäußert haben soll, „unverzüglich“ abgemahnt und versetzt worden. | |
| ## Zu unbequem? | |
| Viktor Linder und Halit Demir bekommen einige Monate später mitgeteilt, | |
| dass sie ihre Notfallsanitäter-Ausbildung nicht fortsetzen dürfen. Im | |
| Rettungsdienst herrscht gravierender Fachkräftemangel, normalerweise wird | |
| eine Ausbildung nicht einfach so beendet. Die offizielle Begründung der | |
| Vorgesetzten in Köln: Die schulischen Leistungen würden nicht reichen, das | |
| habe auch der Schulleiter bezeugt. Nur hat Linder nach eigenen Angaben | |
| später erfahren, dass der Schulleiter vorab gar nichts davon wusste. | |
| Gegenüber der taz möchte sich der Schulleiter nicht äußern. Der | |
| Malteser-Sprecher sagt auf taz-Anfrage: Es sei ein normales Prozedere, | |
| Weiterbildungen zu beenden, wenn die Schüler die erforderlichen Leistungen | |
| nicht erbringen. | |
| Linder und Demir glauben, dass sie gekündigt wurden, weil sie zu unbequem | |
| waren und sich über Rassismus beschwert haben. Eine Weile arbeiten sie noch | |
| weiter für die Malteser, als normale Rettungssanitäter, dann kündigen sie. | |
| Die Ankündigung der Malteser, man werde in ganz Nordrhein-Westfalen nun | |
| intensiv verschiedene Rassismusvorfälle überprüfen, klingt für sie wie | |
| Hohn. Bei ihnen hat sich niemand gemeldet, um ihre damaligen Vorwürfe noch | |
| einmal anzuhören. | |
| Auch die Johanniter in Köln bemühen sich um Aufarbeitung der | |
| Rassismusvorwürfe in ihrer Region. Um die Untersuchungen „mit maximaler | |
| Transparenz, Sorgfalt und Glaubwürdigkeit voranzutreiben“, habe man „ein | |
| externes, renommiertes Expertenteam“ beauftragt. Auf Nachfrage heißt es, es | |
| handele sich um die Firma Guttmann Communications. Das ist eine Agentur, | |
| die laut ihrer Webseite auf Krisenkommunikation spezialisiert ist. Zu | |
| Erkenntnissen und etwaigen Konsequenzen könne man noch nichts sagen, | |
| schreibt eine Sprecherin auf Anfrage. | |
| Im Fokus der taz-Recherche vor fünf Wochen stand die Kölner Feuerwache 9. | |
| Dort hatte im Sommer 2020 ein Mitarbeiter die Geburtstage von Nazigrößen in | |
| einen Wandkalender eingetragen. Wer das getan hat, war ein offenes | |
| Geheimnis. Konsequenzen gab es für ihn nicht – stattdessen ging am Ende der | |
| Mitarbeiter, der sich über den Kalender beschwert hatte. [2][Die zögerliche | |
| Aufklärung der Johanniter war inzwischen auch im Kölner Stadtrat Thema]. | |
| ## Nazis in den eigenen Reihen | |
| Die Johanniter beschäftigt derzeit noch ein anderer Fall, den die taz Mitte | |
| Oktober überregional bekannt gemacht hatte. Ein Rettungssanitäter aus | |
| Brandenburg an der Havel hatte Anfang September [3][einem Schwarzen | |
| McDonald’s-Lieferfahrer mutmaßlich brutal den Arm gebrochen]. Die | |
| Kriminalpolizei ermittelt wegen Körperverletzung. Arbeitsrechtliche | |
| Konsequenzen hatte es für den Sanitäter zunächst nicht gegeben. Er | |
| wechselte in einen anderen Regionalverband. Freigestellt wurde er erst, als | |
| die taz bei dem neuen Regionalverband anfragte, ob der wisse, welch brutale | |
| Tat dem Wechsel offenbar vorausgegangen war. | |
| Knapp sechs Wochen nach der Tat haben sich die Johanniter nun zum ersten | |
| Mal bei dem Opfer gemeldet, um ihm Unterstützung anzubieten. Die Polizei | |
| ermittelt weiter, prüfte nach eigenen Angaben auch einen „möglichen | |
| fremdenfeindlichen Hintergrund“. Dazu lägen derzeit aber keine Hinweise | |
| vor, schreibt eine Polizeisprecherin auf taz-Anfrage. | |
| Wie pragmatisch die Johanniter zum Teil mit Nazis in den eigenen Reihen | |
| umgehen, zeigt auch ein Fall der Johanniter aus Eberswalde. Vor zwei Jahren | |
| hat ein Twitter-Nutzer auf einen offenbar rechtsextremen Mitarbeiter dieses | |
| Verbandes hingewiesen. Er veröffentlichte Screenshots eines | |
| Facebook-Profils, auf dem der Mitarbeiter gegen Muslime und Geflüchtete | |
| hetzte, Bilder der rechtsextremen Identitären Bewegung und Einträge eines | |
| bekannten Neonazis teilte. Die Johanniter kündigten damals an, sie würden | |
| sich „mit weiteren Schritten“ melden. | |
| Bis heute hat der Twitter-Nutzer keine Antwort bekommen. | |
| Auf taz-Nachfrage schreibt eine Johanniter-Sprecherin, man habe dem | |
| Mitarbeiter deutlich gemacht, dass seine Äußerungen bei Facebook „nicht mit | |
| unserem Leitbild und unseren Werten vereinbar sind“. Der Mitarbeiter habe | |
| versichert, solche Äußerungen zu unterlassen. Er ist weiter ehrenamtlich | |
| für die Johanniter im Einsatz, bei der Rettungshundestaffel. Sein | |
| Facebook-Profil existiert noch, ist aber öffentlich nicht mehr einsehbar. | |
| Auch bei den Maltesern in Nordrhein-Westfalen scheint das mit der | |
| Sensibilisierung schwierig zu sein. Auf der Rettungswache in Sankt Augustin | |
| gab es bis vor Kurzem einen Aushang, auf dem sich die | |
| Mitarbeitendenvertretung (MAV) vorstellt. Am Morgen des 7. Oktober | |
| entdeckte ein Mitarbeiter ein paar schwarze Striche auf einem Foto, über | |
| dem Mund des MAV-Vorsitzenden. Offenbar sollte er mit dem Hitlerbärtchen | |
| vorgeführt werden. Denn er versucht schon länger, Rassismus in der | |
| Belegschaft zu thematisieren – wobei er auch von seinen Vorgesetzten | |
| ausgebremst wurde. | |
| Der Wachleiter schrieb daraufhin eine Mail an alle: Er dulde dieses | |
| zutiefst beschämende Verhalten nicht. Er bitte alle, die zur Aufklärung | |
| beitragen könnten, sich bei ihm zu melden. | |
| Passiert ist das alles eine Woche, nachdem der Malteser-Chef Elmar Pankau | |
| seine Mail mit den Maßnahmen gegen Rassismus geschickt hatte. Gut möglich, | |
| dass die Person, die das Hitlerbärtchen gemalt hat, von diesen Vorhaben | |
| noch nichts wusste. Denn der für Sankt Augustin zuständige | |
| Bezirksgeschäftsführer hat die Mail bis heute nicht an die Mitarbeitenden | |
| weitergeleitet. | |
| Hinweis: In der Print-Version des Textes wurde irrtümlich die Rettungswache | |
| 7 in Köln-Porz als Ort des Geschehens genannt. Das haben wir für die | |
| Online-Version korrigiert. | |
| 22 Oct 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rassismus-beim-Rettungsdienst/!5879278 | |
| [2] https://ratsinformation.stadt-koeln.de/getfile.asp?id=896495&type=do | |
| [3] /Angriff-auf-Fastfood-Lieferanten/!5883867 | |
| ## AUTOREN | |
| Anne Fromm | |
| Sebastian Erb | |
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