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# taz.de -- Giorgia Meloni als Mutter der Nation: Girl Boss Fascism
> Frauen in rechten Parteien sollen menschenverachtenden Ideologien ein
> menschelndes Antlitz verleihen. Die Strategie funktioniert hervorragend.
Bild: Frau oder Faschistin – oder wie hätten Sie es gern? Premierministerin …
Im Feminismus ist man sich selten einig. Wie auch? Schließlich treffen im
Kampf für Geschlechtergerechtigkeit Menschen mit verschiedenen Erfahrungen
und Erwartungen aufeinander – und den Feminismus hat es eh noch nie
gegeben.
Grundsätzlich ist das kein Problem, Streit und Debatten sind wichtig für
gesellschaftlichen Fortschritt. Doch ein gewisser Konsens sollte im
gemeinsamen Kampf doch bestehen. Beispielsweise, dass eine politische
Überzeugung, die menschenverachtend ist, nicht mehr feministisch sein kann.
Doch immer wieder zeigt die Realität, dass es diesen Konsens nicht gibt –
zuletzt bei der Wahl in Italien.
Vergangenen Sonntag erlangte das Rechts-Mitte-Bündnis in beiden
Parlamentskammern die absolute Mehrheit, die Fratelli d’Italia wurden
stärkste Kraft, [1][die rechtsradikale Giorgia Meloni] wird wohl Italiens
erste Ministerpräsidentin. Kein überraschendes, aber trotz allem ein
erschreckendes Ergebnis. Erschreckend deshalb, weil klar ist, dass unter
einer demokratisch legitimierten neofaschistischen Regierung Italien
e[2][in noch schlechterer und gefährlicherer Ort für migrantische und
behinderte Menschen,] für Arme und Flüchtende, für Queers und Frauen wird.
Doch vor dieser Gefahr verschließen noch immer einige die Augen. Als die
ehemalige US-amerikanische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton
Anfang September von einem Journalisten auf Meloni angesprochen wurde,
sagte sie: „Jedes Mal, wenn eine Frau an die Spitze eines Staates oder
einer Regierung gewählt wird, ist das ein Schritt nach vorne.“
## Schwerpunkt Geschlecht
Im besten Fall wusste Clinton bei ihrer Aussage nicht, wer Meloni ist. Doch
mit ihrer Annahme, Meloni als Ministerpräsidentin sei ein
gesellschaftlicher Fortschritt, ist sie nicht allein. Unzählige
Überschriften internationaler und nationaler Medien legten am Anfang der
Woche ihren Schwerpunkt auf das Geschlecht Melonis statt auf ihre
politische Gesinnung.
Der Nachrichtendienst Reuters schrieb: „Die Nationalistin Meloni will
Italiens gläserne Decke eingeschlagen.“ Eine Metapher dafür, dass Frauen
nicht in Führungspositionen aufsteigen.Und auch Politico nutzt das Narrativ
der Frau, die sich gegen alle Widerstände durchgesetzt hat. Meloni als Girl
Boss. Auf Spiegel.de schreibt Anna Clauß unter der Überschrift [3][„Die
neue starke Frau“] zwar, dass sie sich nicht über den Wahlsieg Melonis
freut, kommt aber zu dem Schluss, dass die es als Frau vielleicht besser
machen werde. Sie schreibt, dass Meloni eine Vertrauenskrise in Italien
verhindern müsse und weiter: „Wer weiß, vielleicht ist eine Frau – auch
wenn es eine zuweilen aggressiv auftretende Populistin ist – besser dafür
geeignet als ein Mann.“ Wieso eine Frau dazu besser geeignet sei, bleibt in
dem Text offen.
Die Liste ließe sich noch verlängern. Einen feministischen Erfolg sieht so
konkret kaum eine*r in Melonis Wahlsieg, doch oft wird im Sieg der
Neofaschistin ein gesellschaftlicher Fortschritt statt einer Bedrohung
gesehen – und das ist brandgefährlich.
Wahr ist, dass nur ein Bruchteil der Staats- und Regierungschef*innen
weiblich ist. Und wahr ist auch, dass Repräsentation eine hohe Relevanz
hat. Doch Repräsentation ist eben nicht alles. Gerade in der Politik ist es
deutlich relevanter, wie queer- und frauenfreundlich eine Politik ist. Dass
Meloni von vielen aber gar nicht als Bedrohung wahrgenommen wird, ist ein
Gewinn für sie. Und zwar einer, der auch etwas mit ihrem Geschlecht zu tun
hat. Denken wir an Rechtsradikale, ist bei vielen im Kopf noch immer das
Bild eines bulligen Mannes mit Glatze und Springerstiefeln.
## Beate Zschäpe – schon vergessen?
Und das kommt nicht von ungefähr: Lange Zeit waren Frauen in extrem rechten
Sphären eher unsichtbar. Die Frau steht dort hierarchisch unter dem Mann,
im völkischen Bild dominiert die Vorstellung einer Frau, die zu Hause
bleibt, um sich um Haushalt und Familie zu kümmern. Dieser Zustand hat sich
in den vergangenen Jahren in mancherlei Hinsicht verändert. Dass auch
Frauen Neonazis sein können, sollte spätestens seit Beate Zschäpe klar sein
– auch sie wurde lange von Behörden und Medien unterschätzt.
Mittlerweile sind Frauen in rechtsextremen Bewegungen sichtbarer, in
sozialen Medien zeigen sich rechte Frauen öffentlichkeitswirksam,
inszenieren sich als fürsorgliche Mütter der Bewegung mit nationalistischen
Symbolen, proklamieren Heimatschutz und hassen die von ihnen ernannten
„Feinde des Volkes“. Und auch in rechten und rechtsextremen Parteien
drängen sie nach oben: So ist es kein Wunder, dass neben Meloni Frauen wie
Marine Le Pen (Rassemblement National) in Frankreich und Alice Weidel (AfD)
in Deutschland an der Spitze ihrer Partei stehen.
Doch wie kommt das? Auch rechtsextreme Parteien sind in der Moderne
angekommen, der Kampf für Gleichstellung treibt auch dort seine Blüten. Den
Widerspruch, dass eine Frau in einer Spitzenposition ein rückwärtsgewandtes
Frauenbild ohne körperliche Selbstbestimmung propagiert, wissen die Rechten
für sich zu nutzen. Sie suggerieren Gleichstellung, obwohl ihre Politik
misogyn und queerfeindlich ist. So wollen sie zeigen, dass linker
Feminismus mit seinen Quoten und dem „Gender-Gaga“ übertrieben und unnütz
sei. Ihre Frauen seien ja der lebende Beweis dafür, dass man scheinbar auch
ohne politisch-emanzipatorische Werkzeuge gleichzeitig Mutter und
Spitzenpolitikerin sein kann.
Mutterschaft ist dabei ein wichtiger Aspekt. Meloni hatte sich im Wahlkampf
stets als fürsorgliche Mutter inszeniert, die die Nöte und Sorgen der
Mütter der Nation kenne. Daraus zog sie zwar keine politischen Konsequenzen
– doch sie pochte auf „Solidarität unter Mamas“.
## Rassistische Inhalte
Immer wieder widmen sich Meloni und Co sogenannten Frauenthemen, wie dem
Schutz von Frauen. Doch in der Regel werden diese Narrative lediglich dazu
genutzt, um trans- und queerfeindliche sowie rassistische Inhalte zu
propagieren. Ein Beispiel dafür [4][ist das Video einer Vergewaltigung auf
offener Straße, das Meloni im Wahlkampf im Netz weiterverbreitet hatte.]
Ihr ging es dabei nicht um fehlende Schutzräume für Frauen, sondern
lediglich darum, das Bild des „kriminellen Ausländers“ zu pushen.
Und obwohl die Aktionen von Meloni, Le Pen und Weidel häufig so einfach zu
durchschauen sind, profitieren sie noch immer von dem Stereotyp, dass
Frauen bessere und friedfertigere Menschen seien als Männer. Sie sollen der
menschenverachtenden Ideologie ein freundliches Gesicht geben. Und die
Berichterstattung zur Wahl in Italien zeigt: Es gelingt ihnen. Wenn Medien
sich in ihrer Berichterstattung darauf konzentrieren, wie gläserne Decken
durchbrochen und Männerbünde hinter sich gelassen werden, fallen sie auf
die Erzählung der Politikerinnen rein.
Doch das sollte in einer demokratischen Gesellschaft nicht passieren.
Feminist*innen sollten sich darauf einigen, dass Neofaschismus und
rechtsradikale Ideologien niemals mit dem Wunsch nach Gleichberechtigung
vereinbar sind, sondern immer eine Gefahr sind, die es zu bekämpfen gilt.
1 Oct 2022
## LINKS
[1] /Giorgia-Meloni/!t5882081
[2] /Rechte-Stimmungsmache-in-Italien/!5867900
[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/news-des-tages-italien-wahl-gior…
[4] /Vor-den-Wahlen-in-Italien/!5873493
## AUTOREN
Carolina Schwarz
## TAGS
Giorgia Meloni
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Feminismus
Italien
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