Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Italien vor den Wahlen: Die Pseudo-Frauenversteherin
> Die Rechtsextremistin Giorgia Meloni könnte die erste Ministerpräsidentin
> Italiens werden. Doch die Situation der Frauen würde sich verschlechtern.
Bild: Giorgia Meloni, Vorsitzende der Brüder Italiens (Fratelli d'Italia)
Die Feministinnen haben sie lange erwartet, die erste Ministerpräsidentin
Italiens, die erste Frau an der Spitze eines Landes, wo das Patriarchat
noch stark verwurzelt ist. Und nun ist sie aller Wahrscheinlichkeit nach
da: [1][Giorgia Meloni, 45 Jahre alt], in der Politik seit ihrer Jugend,
Vorsitzende einer rechtsradikalen Partei namens Brüder Italiens (Fratelli
d'Italia), die immer noch die Flamme der Neofaschisten im Logo trägt.
Sollten sich die aktuellen Umfragen bestätigen, könnte die erste
Regierungschefin nicht aus den Reihen der Sozialdemokraten oder der
moderaten Konservativen kommen, [2][sondern ausgerechnet aus einer
postfaschistischen Partei]. Woraufhin in Italien eine Debatte entbrannte:
Sind vielleicht die Rechten feministischer als die Linken?
Zugegeben, die italienischen Sozialdemokraten haben in den vergangenen
Jahren viel verschlafen. Sie haben Meloni unterschätzt, auch als Frau, und
Diversität nicht als Priorität gesetzt. [3][Laura Boldrini, ehemalige
Präsidentin der Abgeordnetenkammer], sagte einmal über ihre Partei, die
Partito Democratico: „Die Strömungen zermalmen die Protagonistinnen und
verhindern den Wandel.“
Und dennoch ist die Frage, ob die Parteien der Rechtskoalition
feministischer seien als die anderen, falsch gestellt. Wer sich
ausschließlich auf die Anzahl der Frauen konzentriert, der reduziert den
Feminismus auf eine einfache Rechnung. Die Präsenz von Frauen an der Spitze
hat eine wichtige Funktion, um Änderungen anzustoßen und hartnäckige
Vorurteile abzubauen, dennoch geht es dem Feminismus primär nicht darum,
die Macht zu ergreifen, sondern die Gesellschaft im Sinne der Frauen und
der Benachteiligten zu verändern. Die Frage sollte also lauten: Wird sich
Wahlfavoritin Giorgia Meloni für die Rechte der Frauen stark machen? Nein,
wird sie nicht.
Giorgia Meloni thematisiert häufig ihr Frausein und noch häufiger ihr
Muttersein. Sie erzählt von ihrer sechsjährigen Tochter, deren Name
mittlerweile jeder kennt, und von den Sorgen, die viele Frauen mit Kindern
erleben. Sie spricht offen von den Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu
kombinieren, und von den Schuldgefühlen, wenn sie im Wahlkampf ihrer
Tochter zu wenig Zeit widmet. Sie postet in den sozialen Medien die
Cupcakes, die sie für den Kindergeburtstag backt, und erklärt einem
Frauenmagazin, dass sie auf keinen Fall auf ihre Mutterrolle verzichten
wird, sollte sie Ministerpräsidentin werden, denn „Frauen organisieren sich
immer“.
Man möchte Meloni nun erwidern, dass es natürlich nicht stimmt, dass Mütter
es immer schaffen, sich zu organisieren, und das ist eben das Problem –
gerade in einem Staat wie dem italienischen, der Mütter und Kinder nicht
ausreichend unterstützt und der von Vätern keine Care-Arbeit erwartet.
Meloni sollte das wissen, aber noch besser weiß sie, dass die von ihr
propagierte „Solidarität unter Mamas“ ein Mitgefühl schafft, das man in
diesem Wahlkampf sonst vergebens sucht.
Ihr Fall erinnert stark an Marine Le Pen: Auch sie wirbt mit Frauenthemen
um Wählerinnen, aber auch sie lehnt in Wirklichkeit Gesetzentwürfe ab, die
Frauen mehr Rechte geben würden. Und auch sie nutzt den feministischen
Diskurs, um Rassismus und Homo- und Transphobie zu verbreiten – indem sie
beispielsweise jeder Gewalttat gegen Frauen, die von Migranten verübt wird,
eine enorme Aufmerksamkeit schenkt.
Giorgia Meloni ist gegen die Frauenquoten, die vor zehn Jahren in den
Aufsichtsräten eingeführt wurden, und möchte sie abschaffen. Im
Europäischen Parlament hat ihre Partei gegen den Vorschlag zur Verringerung
des geschlechtsspezifischen Lohngefälles, also des Gender-Pay-Gaps,
gestimmt. Und dann ist da noch das Thema Schwangerschaftsabbruch, gegen den
viele rechtsgeführte Regierungen agitieren: Meloni sagt, sie will nicht die
Abtreibungen verbieten, wohl aber Maßnahmen fördern, die Frauen von dieser
Entscheidung abbringen können.
Welche diese Maßnahmen sind, hat sie der [4][katholischen Zeitung Avvenire]
erzählt – etwa die Einrichtung eines Fonds für ungewollt Schwangere und die
Unterstützung von Abtreibungsgegnern und deren Beratungsstellen.
## Erschwerter Zugang zu RU486
In der Vergangenheit hat sich Meloni für die Abschaffung der vor zwei
Jahren eingeführten Richtlinien zur Anwendung der Abtreibungspille RU486
ausgesprochen, die besagen, dass sie bis zur neunten Schwangerschaftswoche
(und nicht mehr nur bis zur siebten) zugelassen und keine stationäre
Krankenhausaufnahme mehr vorsehen – genau wie in den meisten europäischen
Ländern. Den italienischen Frauen, die ungewollt schwanger werden, würde
also ein schwierigerer Zugang zum Schwangerschaftsabbruch drohen; in der
mittelitalienischen Region Marken, wo die Partei an der Regierung sitzt,
ist das bereits der Fall.
In wenigen Jahren hat Meloni es geschafft, ihre Partei präsentabler und
salonfähiger zu machen. Sie hat den Anti-EU-Kurs abgeschwächt und sich für
die Nato und für Waffenlieferungen an die Ukraine klar ausgesprochen,
anders als ihr möglicher Koalitionspartner Matteo Salvini von der Lega. Sie
hat sich gezielt einem gemäßigteren Publikum gewidmet und hat wie Marine Le
Pen ein Restyling betrieben, das allerdings mehr Schein als Sein ist. Die
italienischen Journalisten nennen es die Metamorphose der Giorgia Meloni,
und manche scheinen dabei zu vergessen (oder bewusst zu ignorieren), dass
ihre Partei aus der neofaschistischen Bewegung stammt.
Doch kann man ignorieren, dass sie von Mussolini genutzte Slogans wie
„Gott, Vaterland, Familie“ immer noch verwendet? Kann man ignorieren, wenn
sich Meloni im Wahlkampf als die Frauenversteherin von nebenan gibt, die
das faschistische Frauenbild der katholischen Hausfrau und Mutter
propagiert? Eines ist bereits jetzt schon klar: Durch sie wird Italien für
Frauen ein schlechterer Ort.
Francesca Polistina ist eine italienische Journalistin, die in Deutschland
lebt. Sie schreibt für verschiedene Medien und befasst sich hauptsächlich
mit italienischer Politik und Gesellschaft. Zuvor hat sie bei einer
italienischen Lokalzeitung gearbeitet.
23 Sep 2022
## LINKS
[1] /Vor-den-Parlamentswahlen-in-Italien/!5876553
[2] /Aufstieg-der-italienischen-Rechten/!5866876
[3] /Abgeordnetenhauses-in-Italien/!5071198
[4] https://www.avvenire.it/
## AUTOREN
Francesca Polistina
## TAGS
italienische Parlamentswahlen
Giorgia Meloni
Italien
GNS
Giorgia Meloni
italienische Parlamentswahlen
Italien
Italien
Italien
italienische Parlamentswahlen
PD
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Giorgia Meloni als Mutter der Nation: Girl Boss Fascism
Frauen in rechten Parteien sollen menschenverachtenden Ideologien ein
menschelndes Antlitz verleihen. Die Strategie funktioniert hervorragend.
„Fratelli d'Italia“ werden stärkste Kraft: Klarer Rechtsruck in Italien
Das Rechtsbündnis siegt bei der Parlamentswahl in Italien. Giorgia Meloni
und ihre „Fratelli d'Italia“ können eine ultrarechte Regierung bilden.
Der Stratege der Fratelli d’Italia: Der Einflüsterer Giorgia Melonis
Der Mann im Hintergrund: Senator Giovanbattista Fazzolari ist für das
Parteiprogramm der postfaschistischen Fratelli d’Italia verantwortlich.
Italien vor der Wahl: Der Rechtsruck ist längst da
Der Mitte-links-Block in Italien ist gespalten. Dem gemeinsamen Sieg der
Rechtspopulisten, angeführt von Fratelli d’Italia, steht nichts mehr im
Weg.
Wahl in Italien: Italien hat Angst
Die wahren Probleme werden im italienischen Wahlkampf nicht besprochen:
Weder die Klimakrise, noch die Mafia oder die Armut im Land.
Parlamentswahlen in Italien: Was wählen und wenn ja, wie viele?
Am Sonntag wird in Italien ein neues Parlament gewählt. Unsere
deutsch-italienische Autorin lebt in Berlin und fragt: Lohnt sich Wählen
überhaupt?
Wahlkampf in Italien: Dreikampf im linken Lager
Die italienische Linke ist zerstritten, die Rechten könnten triumphieren.
Arbeiter*innen fühlen sich von den Linken oft nicht mehr vertreten.
Vor den Parlamentswahlen in Italien: Die nette Nazisse
Mit dem Star Giorgia Meloni könnte die rechtsradikale italienische Partei
Fratelli d’Italia zur stärksten in der Regierung werden. Wie schafft sie
das?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.