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# taz.de -- Italien vor der Wahl: Der Rechtsruck ist längst da
> Der Mitte-links-Block in Italien ist gespalten. Dem gemeinsamen Sieg der
> Rechtspopulisten, angeführt von Fratelli d’Italia, steht nichts mehr im
> Weg.
Bild: Giorgia Meloni verlässt die Bühne nach einem Auftritt in Cagliari am 2.…
Wahlkampf? Wer immer in diesen Tagen in Mailand oder Palermo, in Rom oder
Bari, in Turin oder Neapel unterwegs ist, bemerkt schlicht nicht, dass am
Sonntag die Italiener*innen aufgerufen sind, ihr neues Parlament, ihre
400 Abgeordneten und 200 Senator*innen zu wählen. Nirgendwo hängen
Wahlplakate in den Städten, in denen früher die Hausfassaden mit der
Werbung der Parteien zugekleistert waren. Selbst am Wochenende bleiben
Wahlkampfstände auf der Piazza eine Rarität.
So politikfrei war in den vergangenen Wochen der öffentliche Raum, dass man
zu glauben versucht ist, bei der anstehenden Wahl gehe es nicht um
besonders viel. Demokratische Routine eben, bei der am Ende ein paar
Pluspunkte hier, ein paar Minuspunkte dort stehen.
Das Gegenteil ist der Fall. [1][Italien läuft Gefahr, zum ersten
westeuropäischen Land mit einer von harten Rechtspopulist*innen
dominierten Regierung zu werden.] Den letzten Prognosen vom 9. September
zufolge – seither dürfen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden – liegt
die Rechtsallianz klar vorn. Die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia
(FdI – Brüder Italiens) unter Giorgia Meloni darf mit 25 Prozent der
Stimmen rechnen, der fremdenfeindlichen und europaskeptischen Lega unter
Matteo Salvini werden 12 Prozent und Silvio Berlusconis Forza Italia 7 bis
8 Prozent vorhergesagt. Da die Rechte als geeinter Block antritt und
deshalb die Chance hat, das Gros der Direktmandate (sie machen gut ein
Drittel der Sitze aus) zu erobern, ist im Parlament eine Mehrheit von 60
Prozent der Sitze drin.
## Der Rechtsruck kommt nicht plötzlich
Und wieder einmal reibt Europa sich die Augen. Wieder einmal fragt es sich,
wie zuletzt nach der Wahl in Schweden, wie zuvor im April bei der
Präsidentschaftswahl in Frankreich mit dem Vormarsch Marine Le Pens und
Éric Zemmours: Wie konnte es so weit kommen? Wie ist dieser plötzliche
Rechtsruck auch in Italien zu erklären, in dem Land, in dem doch eben noch
der bei den Bürger*innen hoch beliebte Stabilitätsgarant Mario Draghi
regierte?
Der Rechtsruck in Italien kommt alles andere als plötzlich – er ist schon
vor drei Jahren erfolgt, bei der Europawahl im Mai 2019, als die Lega und
Melonis FdI in der Summe etwa 40 Prozent der Stimmen holten. Schon bei den
Parlamentswahlen 2018 hatten die Italiener*innen in der Mehrheit für
Antiestablishmentkräfte gestimmt, vorneweg für das Movimento 5 Stelle (M5S
– 5-Sterne-Bewegung), das damals sagenhafte 33 Prozent holte, während die
Lega 17 Prozent, FdI 4 Prozent gewannen.
## Der Damm gegen die Rechte eingerissen
Nicht umsonst hatte der Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo als Vorzug seiner
Bewegung gelobt, mit ihrer Marschroute „weder rechts noch links“ sei sie in
erster Linie ein Damm gegen das Vordringen der harten populistischen
Rechten – mit der die Fünf Sterne allerdings den verächtlichen Ton gegen
die „Altparteien“, gegen die „Eliten“ gemein hatten. Dann aber bildeten…
Fünf Sterne die Regierung mit der Lega – sie rissen selbst den Damm gegen
die Rechte ein.
Lega-Chef Matteo Salvini nutzte seine Position als Innenminister im
Kabinett unter Giuseppe Conte, um den Krieg gegen die Flüchtlinge und die
in der Rettung auf hoher See aktiven NGOs mit seiner Politik der
„geschlossenen Häfen“ zu eröffnen, und wurde darüber zum Liebling der
Millionen enttäuschten, verbitterten, von jahrelanger Krise gebeutelten
Italiener*innen. Er konnte die Lega von 17 Prozent im Jahr 2018 auf 34
Prozent nur ein Jahr später führen. „Il capitano“ nannten ihn seine
Anhänger*innen damals ehrfürchtig.
Halbiert fanden sich damals die Fünf Sterne; solange sie in der Opposition
gesessen hatten, war es ihnen gelungen, mit ihrem wütenden Protest gegen
die „politische Kaste“ Wähler*innen von rechts wie links anzuziehen.
Doch ihre rechten Gefolgsleute waren nun wieder abmarschiert, hin zu
Salvini. Seit 2019 blieben die Parteienblöcke in den Meinungsumfragen fast
völlig stabil, lag die Rechte bei 45 Prozent, die gemäßigt linke Partito
Democratico bei gut 20 Prozent, das M5S bei 15–17 Prozent.
## Meloni fühlt sich schon als Siegerin
Wenden sollte sich das Blatt allerdings mit der seit Februar 2021
amtierenden Notstandsregierung unter Mario Draghi, in der fast alle
Parteien außer Melonis Fratelli d’Italia vertreten waren. Vorneweg die Lega
zahlte einen hohen Preis für die Beteiligung: Salvini wetterte zwar täglich
gegen als zu streng empfundene Coronamaßnahmen wie die Impfpflicht über 50,
später auch gegen die Sanktionen gegen Russland – musste dann aber
zustimmen – und gab so das Bild des irrlichternden, inkonsequenten
Maulhelden ab.
Derweil stieg Meloni unaufhaltsam auf in den Meinungsumfragen; heute ist
sie die Kapitänin, muss Salvini sich wohl mit der Rolle des Leichtmatrosen
zufrieden geben. Meloni agierte im Wahlkampf schon ganz so, als gehe sie
sicher davon aus, von Herbst an Italien zu regieren. Statt über
Wahlversprechen redete sie über die Haushaltszwänge des mit etwa 150
Prozent des Bruttoinlandsprodukts hochverschuldeten Landes und davon, dass
die europäischen Verträge einzuhalten seien.
Stramme Rechtspopulistin bleibt sie dennoch. Als das Europaparlament in
einer Resolution Viktor Orbáns Ungarn als „Wahlautokratie“ geißelte, als
die EU-Kommission beschloss, Ungarn mit Milliardenkürzungen zu bestrafen,
solidarisierte Meloni sich umgehend mit Orbán, der doch „mit großer
Mehrheit gewählt“ worden sei, so als sei allein schon deshalb jedwede
Rechtsstaatsverletzung in Ordnung.
## Mitte-links ist gespalten
Die Mitte-links-Parteien suchen dagegen zu halten – doch sie treten
gespalten an. Die PD unter Enrico Letta müht sich redlich, ihren Ruf als
soziale, linke Kraft wieder aufzupolieren, fordert den gesetzlichen
Mindestlohn und deutliche Steuersenkungen für Arbeitnehmer*innen. Doch sie
trifft auf die harte Konkurrenz der Fünf Sterne, die im Wahlkampf eine
überraschende Renaissance erlebten, obwohl viele ihnen den Sturz in die
Bedeutungslosigkeit vorhergesagt hatten.
Der M5S-Spitzenkandidat Giuseppe Conte hat Anzugjacke, Krawatte und
Einstecktüchlein in den Schrank gehängt. Stattdessen tingelt er jetzt im
Steve-Jobs-Look – dunkles Polohemd, dunkle sportliche Hose – vor allem
durch den Süden Italiens und stimmt auch schon einmal „Bella ciao“ an. Die
Parole „Weder rechts noch links“ ist abgeschafft, stattdessen ist das M5S
jetzt „progressiv“, streitet für Bürgerrechte, für die ökologische Wend…
vor allem aber für soziale Wohltaten, beginnend bei der Verteidigung der
von ihr eingeführten und von der Rechten attackierten Grundsicherung. In
den Umfragen kletterten die Fünf Sterne damit zuletzt auf 15 Prozent.
Als wäre das noch nicht genug, konkurriert auch noch die Zentrumsliste
Azione – Italia Viva mit der PD um die der Rechten abgeneigten
Wähler*innen. Träten diese drei Formationen – PD, Fünf Sterne,
Zentrumsliste – in einer Allianz an, so hätten sie gute Siegeschancen.
[2][Doch gespalten sind sie wohl dazu verdammt, dem Sieg der Rechten
zuzuschauen].
25 Sep 2022
## LINKS
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[2] /Wahlkampf-in-Italien/!5881807
## AUTOREN
Michael Braun
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Sofia Ventura.
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