# taz.de -- EU nach der Italien-Wahl: Katerstimmung nach Rechtsrutsch | |
> Jubel im rechten Lager, Empörung bei Grünen und SPD: Selten fielen | |
> Reaktionen der Europapolitiker so gegensätzlich aus wie nach der Wahl in | |
> Italien. | |
Bild: Die größten EU-Anhänger in Brüssel machen sich bei den Themen Rechtst… | |
BRÜSSEL taz | Ein gefährlicher Dammbruch nach rechtsaußen – oder ein Sieg | |
der Demokratie über die Eurokraten in Brüssel? Selten sind die Reaktionen | |
der Europapolitiker so gegensätzlich ausgefallen wie [1][nach der | |
Rechtsruck-Wahl in Italien]. Auch die Folgen für die EU werden sehr | |
unterschiedlich bewertet. | |
Besonders negativ fiel die Reaktion bei den Sozialdemokraten aus. „Mit der | |
Schützenhilfe der Konservativen gewinnen die Rechtsextremen Fratelli | |
d’Italia die Parlamentswahlen“, twitterte die Vizepräsidentin des | |
Europaparlaments, Katarina Barley (SPD). „Das werden schwere Zeiten für | |
Europa“, warnt sie. | |
Auch die Grünen reagierten empört. Die Wahl in Italien markiere einen | |
Dammbruch, sagte die Grünen-Politikerin Alexandra Geese, die lange in | |
Italien gelebt hat. Der Rechtsrutsch in Rom sei „kein Ausrutscher“. Der | |
Chef der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, lasse | |
eine „klare Brandmauer“ vermissen. | |
Weber hatte sich im Wahlkampf für den italienischen Ex-Regierungschef | |
Silvio Berlusconi stark gemacht. Berlusconi will nun eine Koalition mit den | |
Postfaschisten von Fratelli d’Italia eingehen – ein in der EU einmaliger | |
Vorgang. Bisher galt die Regel, dass demokratische Parteien kein Bündnis | |
mit Rechtsextremen schließen. | |
## EU-Skeptiker fordern einen Kurswechsel in ganz Europa | |
Die Parteien der Mitte seien mitverantwortlich für den Rechtsruck in | |
Italien, twitterte Linken-Politiker Martin Schirdewan. Die jahrelange | |
Kürzungspolitik habe den Rechten in die Hände gespielt, so der | |
Co-Parteichef. | |
Anders klingt es im konservativen und rechten Lager. Michael Gahler, | |
außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, erklärte, die Forza Italia um | |
Berlusconi stehe für Verlässlichkeit: „Ich habe die Forza Italia viele | |
Jahre lang im Parlament erlebt und insbesondere mit ihren führenden Leuten | |
wie Antonio Tajani, der zehn Jahre Kommissar war und zweieinhalb Jahre | |
Parlamentspräsident. Mit ihm fahren wir einen Kurs der Mitte.“ | |
Allerdings sehen das Berlusconis künftige Koalitionspartner anders. | |
EU-Skeptiker, Rechtspopulisten und Nationalisten jubeln – und fordern einen | |
Kurswechsel nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa. Die AfD, der | |
Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen in Frankreich und die | |
PiS-Regierung in Polen wittern Morgenluft. | |
„Wir jubeln mit Italien“, twitterte die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix | |
von Storch. Mit einem Seitenhieb auf die Wahlen in Schweden, bei denen die | |
Rechte ebenfalls erfolgreich war, schrieb sie: „Schweden im Norden, Italien | |
im Süden: Linke Regierungen sind so was von gestern.“ | |
## Brüssel weist Mitschuld an Rechtsruck zurück | |
Auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gratulierte. Die | |
französische RN-Führerin Marine Le Pen schrieb, dass die designierte | |
italienische Regierungschefin Giorgia Meloni „den Drohungen einer | |
antidemokratischen und arroganten EU“ standgehalten habe. | |
Le Pen reagierte damit auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, | |
die vor der Wahl erklärt hatte, die EU könne gegen Italien zur Not | |
dieselben „Instrumente“ einsetzen wie gegen Ungarn und Polen. In diesen | |
Ländern hatte Brüssel Zahlungen aus dem EU-Budget blockiert, um Verstöße | |
gegen den Rechtsstaat zu ahnden. | |
Dies sei jedoch, anders als von den Rechten behauptet, nicht als | |
Einmischung in die Wahlen gemeint, stellte von der Leyens Sprecher Eric | |
Mamer klar. Brüssel respektiere selbstverständlich das Wahlergebnis in Rom. | |
Eine Mitschuld am Rechtsruck wies Mamer zurück. Die EU habe Italien mit | |
Milliarden im Kampf gegen die Folgen der Coronakrise unterstützt, betonte | |
er. | |
Unklar ist, ob das auch künftig so bleibt. Meloni will die Konditionen für | |
den Corona-Wiederaufbaufonds nachverhandeln. Zudem hat sie eine harte Hand | |
gegen Mittelmeermigranten angekündigt. „Das Thema Migration wird nun noch | |
schwieriger“, warnt Grünen-Politikerin Geese. Auch der „Green Deal“ werde | |
sich mit einer Rechtsregierung in Rom schwieriger umsetzen lassen. | |
## Sorgen bereiten Reizthemen wie Russland | |
[2][Die größten Sorgen machen sich die EU-Anhänger in Brüssel aber bei den | |
beiden Reizthemen Rechtsstaat und Russland]. Die EU-Kommission hat gerade | |
erst die Kürzung von 7,5 Milliarden Euro aus dem EU-Budget an Ungarn | |
vorgeschlagen. Für das Verfahren nach dem sogenannten | |
Rechtsstaatsmechanismus ist jedoch eine qualifizierte Mehrheit im | |
Ministerrat nötig. Wenn sich Italien gemeinsam mit Ungarn und Polen | |
querstellt, könnte es eng werden. | |
Auch der kompromisslose Kurs gegen Russland steht infrage. Berlusconi und | |
der italienische Rechtspopulist Matteo Salvini pflegen gute Beziehungen zu | |
Kremlchef Wladimir Putin. Salvini hat auch die wegen des Ukrainekriegs | |
verhängten EU-Sanktionen gegen Russland infrage gestellt. | |
Allerdings gilt Meloni nicht als Russland-freundlich. [3][Und auf Meloni | |
kommt es nach der Wahl in Italien an.] Selbst wenn sie gemeinsam mit Ungarn | |
und Polen auf Anti-EU-Kurs gehen sollte, gäbe es in der Russlandpolitik | |
keine geschlossene Front. Denn Polen steht, anders als Ungarn, | |
hundertprozentig hinter der harten EU-Linie. | |
26 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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