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# taz.de -- Die Wahrheit: Kuscheln mit Kühen
> Zu viel Stress im Alltag? Besondere therapeutische Kräfte werden derzeit
> zuhauf beim aus Holland stammenden „Koeknuffelen“ freigesetzt.
Bild: Stier Satan, hier in Fahrt und vor seinem therapeutischen Schmuse-Einsatz
Der Mann im feinen Armani-Zwirn hat die Arme fest um den Hals der wild
umherspringenden Vroni geschlungen und versucht immer wieder verzweifelt,
sich mit Oberkörper und Wange an ihr samtweiches Fell zu schmiegen. Es
nützt nichts. Die achtjährige Holsteinerin wirft den Investment-Banker nach
einem waghalsigen, aber kurzen Ritt im hohen Bogen in den Dreck.
Beim Versuch aufzustehen, wird der Münchner vom herangestürmten Bullen
Carlos mit einem wuchtigen Kopfstoß durch den knackend brechenden Holzzaun
auf die angrenzende Rasenfläche befördert, wo er nach dem Ausrollen in etwa
hundert Metern Entfernung stöhnend liegenbleibt.
Bäuerin Monika Steuber klatscht begeistert in die Hände und ist sichtlich
ergriffen von der innigen Verbindung zwischen Mann und Tier. Die 37-Jährige
hat uns auf ihren „Kuschelhof“ im niederbayerischen Pocking eingeladen, den
sie seit gut zweieinhalb Jahren gemeinsam mit ihrem Gatten betreibt. Auf
herkömmliche Streichelzootiere wie Schafe oder Kaninchen hat die gebürtige
Allgäuerin allerdings bewusst verzichtet. Stattdessen nennt Frau Steuber
eine stattliche Herde Rinder ihr Eigen, die sie teils selbst mit der
Flasche aufgezogen und unter Aufbietung größtmöglicher Hingabe zum Dienst
am Menschen verdattert hat.
„Koeknuffelen“ heißt der neue Trend aus Holland, der abgehetzten
Großstädtern dabei helfen soll, Stress zu reduzieren, Ängste abzubauen und
in der Hektik des Alltags ihre innere Mitte zu finden. Der noch vor wenigen
Jahren als nutzloser Esoterik-Quatsch verrufenen Behandlungsmethode wird
selbst bei Burnout und Depressionen eine hohe Wirksamkeit nachgesagt,
weswegen gesetzliche Krankenkassen die Kosten für das intime Kuscheln und
Schmusen mit Rindviechern nun immer häufiger übernehmen.
## Geht auf keine Kuhhaut
Auch Monika Steuber ist von der Heilkraft ihrer sanften Riesen restlos
überzeugt. „Was die Leute in Zeiten von Krieg und Klimawandel an Sorgen mit
sich herumschleppen müssen, geht doch auf keine Kuhhaut“, echauffiert sich
die resolute Viehzüchterin. Im kommenden Winter erwartet die Landwirtin
wegen des Gasmangels einen regelrechten Run auf ihre samtweichen Hufträger.
„Da Rinder für gewöhnlich eine reguläre Körpertemperatur von 39 Grad
haben“, schwärmt Frau Steuber begeistert, „kann man mit regelmäßigen
Besuchen auf unserem Hof bestens durch die kalte Jahreszeit kommen!“
Wir folgen der Rancherin über einen Schotterweg in den abseits gelegenen
Stallbereich, wo sie uns den heimlichen Star ihres Kuschelensembles
vorstellt. Der wegen seines angeblich friedliebenden Wesens von Patienten
häufig angefragte Angus-Stier „Satan“ wird für den engen Kontakt in eine
Einzelbox verfrachtet. Bei unserem Anblick weiten sich die
blutunterlaufenen Augen des Muskelpakets mit einer respekteinflößenden
Schulterhöhe von gut und gern zwei Metern.
„Unsere Rinder bekommen nur allerfeinstes Hanf zu fressen“, versucht
Steuber uns zu beruhigen. „Die sedierende Wirkung des Tetrahydrocannabinols
sorgt in der Regel dafür, dass die Tiere auf äußerliche Reize mit einer
gewissen Verzögerung reagieren. Da die individuelle Dosis bei so großen
Säugetieren schwer zu berechnen ist, gibt es natürlich gelegentliche
Ausnahmen.“
## Satans Schnoddermix
Wie aufs Stichwort muht Satan uns einen Mix aus übelriechender Atemluft und
Flocken weißgelben Schnodders entgegen, während er mit seinem massigen
Körper wütend gegen die unheilvoll wackelnden Seitenwände der Box donnert.
Die Farmersfrau ermuntert uns dazu, dem pechschwarzen Koloss vorsichtig
„das flauschige Köpfchen“ zu streicheln. Weil wir befürchten, dabei im
daumendicken Nasenring des Biestes hängenzubleiben, lehnen wir dankend ab,
als plötzlich mit einem lauten Knacken ein Mann aus dem Dunkel des Stalls
hervorbricht.
Der Mittfünfziger hält sich ein blutiges Taschentuch vors Gesicht, ein Auge
ist nach einem Huftreffer zugeschwollen und die aufgerissene
Camouflage-Hose entblößt seinen nackten Arsch. Er gibt sich als Unternehmer
zu erkennen, der unterwegs zum Hofladen ist, um dort eines der sündhaft
teuren, aber begehrten Notfallköfferchen mit kühlendem Schmerzgel zu
erstehen. Bevor er ohnmächtig wird, lächelt er uns noch durch eine
bruchfrische Schneidezahnlücke an und hebt aufmunternd den Daumen.
Als Frau Steuber wenig später bei der Besichtigung der hofeigenen
Besamungsstation zum Schröpfen von Satans Genpool eine helfende Hand
benötigt, sagen wir der dynamischen Bäuerin Lebewohl. Überzeugt hat uns der
bovine Streichelhype nicht, aber ein Boxenstopp bei einer amerikanischen
Burger-Kette sorgt dann doch noch dafür, dass wir die Tier-Mensch-Begegnung
zu einem versöhnlichen Ende bringen können.
5 Oct 2022
## AUTOREN
Patric Hemgesberg
## TAGS
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