# taz.de -- Die Wahrheit: Rabottend aus der Personalkrise | |
> Der allerorts grassierende Mangel an Fachkräften beflügelt neuerdings die | |
> Roboterforschung auf ganz erstaunliche Weise. | |
Bleim Se jefälligst raus mit die Füße. Dit is nass, verdammt noch mal!“, | |
brüllt der kleine Wischroboter und lässt uns beherzt mit einem Satz | |
erschrocken zur Seite hechten. „Na also, jeht doch“, mault das einem | |
leckenden Suppenteller ähnelnde Hightechgerät, während es im Vorbeifahren | |
rotzfrech Strahlen braunen Putzwassers auf unsere Schuhe regnen lässt. | |
Wir wagen erst wieder eine Bewegung, als der schrubbende Winzling sich | |
summend und singend in einen Nebenraum verzogen hat. Auch Maximilian | |
Stösser, Chefentwickler für Kognitive Systeme des Instituts für Robotik und | |
Mechatronik (IRMC) im oberbayerischen Oberpfaffenhofen, erwacht aus seiner | |
Stasis. Über mehrere kleine Trockeninseln hüpft er, wie beim | |
„Himmel-und-Hölle“-Kinderspiel, umständlich zu uns an die Pforte. „Wow,… | |
war freundlich!“, staunt der Experte für maschinelles Lernen, als er uns | |
für den vereinbarten Institutsbesuch abholt. „Normalerweise setzt unser | |
‚MoppRover‘ die klitschnassen Flächen bei widerrechtlichem Betreten sofort | |
unter Strom.“ | |
Für das ungewohnt gute Betragen des Roboters hat der 53-jährige | |
Wissenschaftler gleich die passende Erklärung parat. „Man munkelt, der | |
kleine Scheißer hätte im Gerätelager was mit einem Mähroboter am Laufen“, | |
verrät uns Stösser mit rollenden Augen. Wir starten dann aber doch erst mit | |
der Führung durch das Forschungszentrum, nachdem die Feuchtigkeit auf dem | |
Fußboden wirklich restlos verdunstet ist. | |
Unterwegs in die aufwendig umgestaltete Mensa erzählt uns Stösser vom | |
schwierigen Spezialauftrag, dem das IRMC derzeit auf Geheiß der | |
Bundesregierung nachgeht. Das Institut soll nämlich den Fachkräftemangel in | |
sämtlichen Berufsbranchen durch die massenhafte Produktion kostenlos und | |
hart arbeitender Robotersysteme ausgleichen. | |
„Als würde das nicht schon reichen, sollen die Dinger mittels künstlicher | |
Intelligenz auch noch maximal realistisch wirken“, stöhnt der geplagte | |
Forscher unter dem Gewicht der Jahrhundert-, wenn nicht Jahrtausendaufgabe. | |
## Quälend langsamer Kellner | |
In der zum Wiener Kaffeehaus umgebauten Testmensa setzen wir uns an einen | |
hübsch drapierten Tisch mit blankgeputztem Besteck und piekfeinem | |
Porzellan. Der Duft von frisch gemahlenem Röstkaffee weht uns um die Nase. | |
Als ein schneeweißer Gastroroboter mit genervt wirkender Mimik und | |
geräuschlosem, aber quälend langsamen Kettenantrieb vorfährt, geben wir in | |
freudiger Erwartung unsere Bestellung auf: „Drei Stück Pratertorte, zwei | |
Fiaker sowie einen Verlängerten Schwarzen mit Schlagobers, bitte.“ | |
Der „Robokellner“ dreht surrend seinen Kopf, zieht auf dem Display eine | |
virtuelle Augenbraue hoch. Dann ranzt er im typischen Wiener Schmäh zurück. | |
„Drah di, Deppata, sonst prack i da ane, dass mit’m Oasch auf die Uhr | |
schaust!“ Während wir verdutzt zusammenzucken und uns für einen Moment | |
wahrhaftig im Hotel Sacher wähnen, programmiert Projektingenieur Stösser | |
per Fernbedienung Intensität und Regionalcode so um, dass wir stattdessen | |
in die Frankfurter Fressgass versetzt werden. Besser wird es dadurch nicht. | |
„Uffgebassd!“, krächzt die Servicemaschine. „Des is doch alles gehoppt w… | |
gedoppt. Mer nemme jetz Ebbelwoi un Riwwelkuche. Isch heb nämlisch koa | |
Zeit, ihr Simbel!“ Wenig später nötigt ein blechgewordener Heinz Schenk mit | |
dem Kommando „Hip, hop, Schobbe in de Kobb!“ jeden von uns zum | |
unverzüglichen Ausleeren von drei randvollen Riesenbembeln. Als uns Stösser | |
auch noch das Modell „Barkeeper im Hamburger Rotlichtmilieu“ vorführen | |
will, lehnen wir dankend ab. | |
Ersatzweise steigen wir mit dem Robotikpionier in den Aufzug, um der | |
institutseigenen Pflegeabteilung im ersten Stock einen Besuch | |
abzustatten. Als wir frohen Mutes aus dem Fahrstuhl in den Gang treten, | |
offenbart sich uns ein Bild der Zerstörung. Pflegebetten liegen im Flur auf | |
der Seite, durch eingeschlagene Fensterscheiben weht der Wind und der Boden | |
ist übersät mit ölfleckigen Einmal-Waschlappen. | |
Auf unsere Nachfrage erwähnt Stösser beiläufig, dass die Freiwilligen, die | |
sich vom mechanischen Pflegepersonal einen Monat zur Probe behandeln lassen | |
sollten, tatsächlich schon nach zwanzig Minuten Hals über Kopf getürmt | |
sind. „Die Fähigkeiten unserer Viel-zu-intensiv-Pfleger waren gelinde | |
gesagt noch etwas rudimentär“, räumt der studierte Luft- und | |
Raumfahrttechniker selbstkritisch ein. „Besonders, was die angemessene | |
Temperatur und das nötige Feingefühl bei der Intimwäsche betrifft. Da | |
besteht noch erheblicher Verbesserungsbedarf.“ | |
Plötzlich schwingt die Tür zum Schwesternzimmer auf. Ein kapitaler | |
„Terminator“ mit Schürze und Rotkreuzhäubchen marschiert auf uns zu und | |
lässt die Wände mit jedem Schritt erbeben. Stösser bemerkt den Einlauf in | |
den Händen des Monsters zuerst und brüllt: „Los, los, los. Vergessen Sie | |
den Lift. Das Treppenhaus, schnell!“ | |
Wir retten uns in die zweite Etage und stehen vor dem | |
Hochsicherheitsbereich, den Stösser jetzt hastig per Augenscan und | |
zwölfstelligem Geheimcode öffnet, während das rotäugige Pflegeungetüm Stufe | |
um Stufe näherkommt. Der Konstrukteur schiebt uns hektisch durch die | |
Schleuse in den Tresorraum und schließt die meterdicke Stahltür mit einem | |
riesigen Drehhebel. | |
## Exakte Replik des Kanzlers | |
Er atmet erleichtert auf. „Eigentlich wollte ich nicht, dass Sie das hier | |
sehen. Aber die einzige Alternative dazu wäre eine Darmsanierung für uns | |
alle gewesen.“ Wir schauen uns um. In einem kühlen, blütenweißen und bis zu | |
unserem ungestümen Hereinplatzen wohl völlig sterilen Raum, steht auf einer | |
Empore eine exakte Replik des amtierenden Bundeskanzlers. | |
„Der Mangel an gutem Personal bezieht sich natürlich auf alle Bereiche des | |
täglichen Lebens“, konstatiert Stösser. „Nachdem wir mehrere halbwegs | |
funktionierende Kultusminister an die jeweiligen Länder geliefert haben, | |
hat Herr Scholz persönlich dieses Schmuckstück hier bestellt.“ | |
Der Experte geht ins Detail. „Da er als Regierungschef die Kritik an seinen | |
emotionslosen Auftritten nicht mehr hören konnte, wurde auf seinen Wunsch | |
an einer 2.0-Kopie gefeilt, die ihn auf großer Bühne vertreten soll.“ Bis | |
ein hochkomplizierter Gefühlschip fertig sei, der dem Kanzlerdouble das | |
Charisma und den Charme eines Starentertainers verleiht, würden jedoch | |
noch Wochen vergehen, erklärt Stösser. Bis dahin sei das Duplikat nicht | |
besser oder schlechter als das Original. | |
Als der Kanzlerklon plötzlich ohne Vorwarnung zum Leben erwacht und uns in | |
typischer Scholz-Manier ein Gespräch über die Zeitenwende aufnötigt, bitten | |
wir Stösser, uns zum Einlaufmonster nach draußen zu lassen. Der schüttelt | |
den Kopf. Das Öffnen des Zeitschlosses sei wegen der Panzertür leider erst | |
morgen früh wieder möglich. Wir rüsten uns für eine lange Nacht. | |
16 Jul 2022 | |
## AUTOREN | |
Patric Hemgesberg | |
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