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# taz.de -- Die Wahrheit: Geld alle? Neues holen!
> Alles wird teurer. Hier eine ankurbelnde Predigt hoch vom tiefen Ross der
> Inflation mit – Achtung – super Servicefaktor.
Viele jammern ja gerade rum, wie teuer jetzt alles ist, deshalb an dieser
Stelle mal ein Tipp: Ich selbst achte null darauf, was irgendwelche Sachen
kosten. Ich kaufe mir einfach immer, was ich haben will: Hier ist das Geld,
her mit der Ware, zack und fertig. Genau das würde ich jedem raten – das
fühlt sich so viel entspannter an. Ich habe damit nur die allerbesten
Erfahrungen gemacht, für mich persönlich war das ein echter Game Changer.
Früher war ich nämlich auch mal so ein verkniffener Pfennigfuchs, der vor
jeder Ausgabe ewig grübelte, ob ich sie mir denn leisten könnte. Das ist
zum Glück lange vorbei, doch manchmal denke ich voller Scham und Selbstekel
an die Zeit zurück, da ich mir jeden Restaurantbesuch ab zwei Sternen
aufwärts mit meinem kleinlichen Lamento verdarb.
Mein gestörtes Verhältnis zum Konsum beeinträchtigte im Grunde jeden Aspekt
meines Lebens und meiner Persönlichkeit: Die Stimmung, die Ausstrahlung,
die Verdauung, mein ganzes Denken, Fühlen und Handeln. Was für ein
erbärmlicher Wicht ich damals war. Verkniffenes Gesicht, grüngelbgrauer
Teint, holziges Haar, brüchige Nägel, Magengrimmen und ständige Blähungen
von dem vielen Brot, das mir billig den Bauch befüllte.
Geflickte Klamotten, eine dunkle Wohnung – dass mit so jemand keine was zu
tun haben wollte, versteht sich von selbst. Ich saß die ganze Zeit nur
einsam zu Hause rum und jaulte über die Preise, anstatt rauszugehen und mir
was Schönes zu kaufen. Im Nachhinein schmerzt die vergeudete Lebenszeit.
## Egal, was die Dinge kosten
Doch seit mir egal ist, was die Dinge kosten, bin ich praktisch ein anderer
Mensch. Ich freue mich des Lebens, esse gut, reise viel und habe total
tolle Sachen. Das einzige Geheimnis ist die Einstellung – positiv oder
negativ, und die ist ganz allein unsere Entscheidung. Es macht nämlich
einen Riesenunterschied, ob man an einer Tankstelle vorbeifährt und mault:
„Oh, nein, zwei Euro fünfundfünfzig, wie soll ich das bezahlen, ich glaub�…
nicht, diese Schweine!“, oder: „Hm, lecker Benzin, wie gut und nützlich das
schon riecht. Gleich hau ich mir den Tank bis zum Kragen mit 102er Ultimate
voll, und dann kann ich ganz schnell überall hinfahren, wo es so richtig
schön ist!“
Na, wie fühlt sich das an, merkt ihr was? Probiert es doch mal, Freunde,
und legt einfach nur den Schalter um: Ihr werdet es sehen. Das Karma knallt
mit erhöhter Oktanzahl durch eure Chakren und lässt den Lebensmotor wieder
schnurren wie ein Kätzchen. Schluss mit dem würdelosen Gefeilsche und den
knauserigen Krokodilstränen!
## Wer hat schon genug Geld?
Nun werden manche einwenden, okay, ich hab aber vielleicht gar nicht genug
Geld, um das Erwünschte zu bezahlen, was wäre denn dann? Denen kann ich nur
antworten: Erstens kann man ja vieles heute auch mit Bitcoin bezahlen.
Und zweitens: „Genug Geld“, meine Güte, wer hat schon genug Geld; das ist
doch alles relativ, ich hab auch nicht genug Geld, in dem Sinne, genug Geld
kann man schließlich nie haben.
Das Ganze soll hier doch kein alberner Wettbewerb sein, wer das meiste Geld
hat. Nicht lamentieren also, sondern kaufen. Und vor allem nicht kleinmütig
andere beschuldigen, nur weil es einem selbst an Laisser-faire und
Lockerheit fehlt. Das kann unsere Gesellschaft nun wirklich am
allerwenigsten gebrauchen, denn genau diese miesepampelige Krümelkackerei
und dieser alles zersetzende Neid sind es, die ihren Zusammenhalt mit ihrem
schleichenden Gift zersetzen.
## Das sind wir dem Staat schuldig
Im Gegenteil – die kleine Ermahnung kann ich euch an dieser Stelle leider
nicht ersparen –, wir müssen sogar noch viel mehr ausgeben, sonst verstärkt
sich durch den zurückhaltenden Privatkonsum noch die Inflation. Das sind
wir dem Staat schuldig, der schließlich für uns sorgt wie eine Mutter für
ihr Kind. Zwar eine Mutter mit ausgeprägtem Regretting-Motherhood-Syndrom,
aber dafür kann sie ja nichts. Wer nichts kauft, ist jedenfalls ein Arsch:
so prägnant könnte man das zusammenfassen. Ein verantwortungsloser,
unsozialer Geizarsch, eine Wegbereiterin des Staatsbankrotts, ein Nagel im
Sarg der Wirtschaft.
Zum Glück ist Geld ja bloß ein genormter, vielseitig verwendbarer
Anrechtsschein, ein Mittel zum Zweck. Wozu sollte man diese an sich
wertlosen, bunt bedruckten Papierfetzen horten, die man doch für
Hummercocktails, Strandurlaub auf den Salmonellen und verfünffachte
Heizkostenvorschüsse ausgeben kann. „Habt keine Angst“, möchte ich den
Zaudernden und Verzagten, den Frierenden und Bedrängten zurufen. „Es ist
nur Geld! Einfach weg damit und gut ist!“
Wenn das Geld alle ist, holt man sich eben neues – das ist doch jetzt
wirklich nicht so schwierig: EC-Karte in den Automaten, den gewünschten
Betrag anklicken oder mit den Zifferntasten eingeben, ratter, ratter, und
schon hat man wieder Geld. Wenn ihr Probleme mit der Bedienung habt, kann
ich euch gerne dabei helfen. Ihr werdet sehen, wie gut sich das anfühlt,
wie ermächtigt, die Taschen voller Geld, innerhalb weniger Sekunden und nur
mit ein paar Knopfdrücken. Das ist das Geile am Kapitalismus, das hat er
großartig eingerichtet.
4 Oct 2022
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Die Wahrheit
Inflation
Konsumverhalten
Kapitalismus
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Bargeld
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Urlaub
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