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# taz.de -- Die Wahrheit: So cringe, der vierte Heilige König
> Aufruhr in Bethlehem: Die Geschichte der Bibel muss neu geschrieben
> werden. Wurden auch Tiere gecancelt?
Maria und Josef blickten froh auf die sich öffnende Tür des Stalles zu
Bethlehem. Herein traten in prächtigen Gewändern die königlichen Weisen aus
dem Morgenland. Ehrerbietig verneigten sich die Könige vor dem Paar und
näherten sich behutsam der Krippe, in der in Windeln gewickelt das Kindlein
lag, der Heiland, der Erlöser, der Sohn Gottes. Das war zumindest, was die
Besucher dachten, und deshalb waren sie auch so nett zu den Grattlern, die
sie normalerweise nicht mal mit der Kneifzange gegrüßt hätten.
„Duziduzi“, machte Caspar, der erste König, und kitzelte den Säugling am
Zeh. „Jaha, wo isser denn? Jahaha, wo iiissser denn?“ machte blöde der
zweite König, Melchior. Der dritte, Balthasar, sang, „Eitschibumbeitschi,
was raschelt im Stroh …?“
Und auch Geschenke hatten sie mitgebracht. Der erste König überreichte
Myrrhe aus dem KaDeWe, dem Kaufhaus der Westbank. „Hmm, Myrrhe, lecker“,
sagte Maria. „Schönen Dank auch.“ Der zweite König brachte Gold. „Super…
Josef strahlte. „Goldigold. Ich schätz ma, über dem nächsten Stall steht
‚Grand Marriott‘. Thanx, Loidls.“ Der dritte König legte ein Heck Weihra…
auf den Gabentisch. „Generös, Diggi! Ich mach schon mal die Bong klar.“
Maria freute sich. „Zum Glück hab ich vorgestern abgestillt.“
Der vierte König aber brachte Scheiße. Nicht direkt Scheißescheiße, sondern
genau genommen ein gebrauchtes Buch, das Jesus noch dazu schon hatte. Das
muss man bei einem Kind, das keine zwei Wochen alt ist, erst mal schaffen.
Also im Grunde doch Scheiße. „Das Balg sieht aus wie frisch erbrochen“,
nölte der vierte König, „Grüße aus Golgatha“, und erschreckte es mit ei…
so bösen Grimasse, dass es auf der Stelle anfing zu weinen.
## Biblische Omertà
Der Auftritt des Kollegen war den uns bekannten Königen so peinlich, so
cringe, dass sie seine Existenz fürderhin vertuschten. Er ist der Paria,
das schwarze Schaf, der Bassist der Band, der Nazi-Onkel, der
Linksverteidiger, der fünfte Beatle, der dreizehnte Jünger, der Blinddarm.
Seitdem halten Generationen von Heiligen, Weisen und Theologen in einer Art
biblischen Omertà dicht, steht in Millionen von Weihnachtsgottesdiensten
stets ein dicker Elefant im Raum: Robert, der vierte der ursprünglich
Heiligen Vier Könige. Doch wie hatte es überhaupt so weit kommen können?
Man hätte das alles im Grunde vorher wissen und somit
zweitausendzweiundzwanzig Jahre der verlogenen Geheimniskrämerei vermeiden
können, denn Robert stammte im Gegensatz zu seinen drei Kollegen aus dem
Abendland. Damit ging es schon mal los. Die anderen drei hatten ihn bloß
aus Mitleid mitgenommen. Dem gingen lange Diskussionen voraus, denn
natürlich gab es jede Menge gut begründeter Bedenken.
„Wir hatten bei sechsundzwanzig Heilanden bisher noch nie auch nur einen
Heini aus dem Abendland dabei“, war Caspars Argument, „und hat etwa
irgendjemand von euch jemals einen dieser Typen vermisst?“ Balthasar merkte
an, dass die Abendländer in der Regel nicht gut rochen, viel sinnloses Zeug
quatschten und allenfalls am dreißigsten Februar nüchtern waren.
„Abendland, hirnverbrannt“, sangen in Kanaan, um Kanaan und um Kanaan herum
schon die Kinder in den Straßen.
Überdies ging das Gerücht im Morgenland, dass Robert gar kein König war,
sondern ein Betrüger aus Soest in Germanien, der mit einem gefälschten
Königsdiplom quer durchs Morgen-, Mittag- und Nachmittagland reiste. Das
verschaffte ihm neben den Rechten auf die erste Nacht, einem Schwert mit
Goldkante und Blanko-Todesurteilen auch jederzeit freien Eintritt ins
Museum sowie die begehrte Zugangsberechtigung für „BILLO“-Bethlehem, einem
Vorgänger der METRO-Großmarktkette im Heiligen Land. Im Abendland selbst,
so die Kunde weiter, war es dem Taschenspieler längst zu heiß geworden – da
hing wahrscheinlich an jeder Lehmkate ein Steckbrief mit seinem Konterfei.
## Zweite Chance für Robert
Doch Melchior wollte nichts davon hören und laberte von „Mobbing“, „übl…
Nachrede“, „im Grunde kein schlechter Kerl“ und „jedem eine faire zweite
Chance geben“. Schon in dem Moment hätte bei den anderen unbedingt die
Dampfplauderei-Alarmglocke schrillen müssen, denn „üble Nachrede“ hier und
„zweite Chance“ dort widersprachen einander ja. Weil, was denn nu: Wer zu
Unrecht angeklagt wurde, braucht doch schließlich keine Resozialisierung,
oder? Völlig unlogisch, und für angebliche Weise eigentlich ein herbes
Armutszeugnis. Doch weil Caspar und Balthasar mal wieder gar nicht richtig
zugehört hatten, kam der Kollege am Ende auch noch damit durch.
Davon ermutigt, legte Melchior nun mit dem Totschlagargument „Diversität“
nach. „PoC, queer, disabled – alles schön und gut“, sagte er mit Blick a…
Caspar, „aber ein waschechter Bioabendländer würde uns, gerade in Hinsicht
auf eine später eventuell noch zu gründende Weltkirche, schon mal rein
PR-technisch super zu Gesicht stehen. Das ist zeitgemäß, das ist divers, da
stehen die Kiddies drauf.“
„A propos divers“, meldete sich Balthasar. „Wie wär’s denn endlich mal…
einer Frau?“ Er stutzte: „Was guckt ihr so? Sprech ich Altaramäisch?“
## Eruptiver Lachrotz
Die Worte des Weisen hatten eine zehn Minuten lange Eruption zur Folge.
„Seriously, Balt?“ Melchior keuchte, dem Ersticken nah, und Caspar wischte
sich den Lachrotz von den Hosenträgern. So kannten sie ihn, ihren
„Frauenbeauftragten“, wie sie Balthasar für seine ungewöhnliche Marotte,
auf Feldzügen keine Frauen zu schänden, liebevoll zu verspotten pflegten.
„Endlich mal mit einer Frau“: Letztlich war das wohl das entscheidende
Eigentor der Könige, denn im Vergleich zu diesem (in Kirchenkreisen
bekanntlich bis heute so empfundenen) völlig irren Vorschlag mit den Miezen
kam es auf einmal auch Caspar wie die normalste Sache der Welt vor, einen
fragwürdigen abendländischen „König“ mit zu einer exklusiven
Heilandsaufwartung zu nehmen.
Und so sandte man eine Stafette nach Robert aus, mit einer Einladung nach
Bethlehem inklusive der exakten Sternkoordinaten des Stalles. Später war
die Reue dann natürlich riesengroß.
In Bibelforscherkreisen munkelt man übrigens, dass sich rund um die Tiere
an der Krippe ein ganz ähnliches Verdrängungsdrama abspielte. Denn Hyäne,
Grottenolm und Wanderratte, die damals treu das Jesuskind beschirmten,
wurden von einer kapitalistischen Weihnachtsindustrie kaltblütig gecancelt
– Vorwurf: mangelnde Attraktivität. Und ausgerechnet Ochs und Esel, die
wiederholt versucht hatten, das Neugeborene durch Bisse und Huftritte zu
töten, sahnen jetzt den Ruhm ab. Es ist eine Schande.
7 Jan 2023
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Diversität
Bibel
Geschenke
IG
Olaf Scholz
Juli Zeh
Friseure
Schwerpunkt Klimawandel
Inflation
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