# taz.de -- Die Wahrheit: Wir Kinder von der Zoo-Apotheke | |
> Der Kauf von Nasenspray zieht immer Vorhaltungen am Tresen der | |
> Pillendreher nach sich. Eine dringende Suada. | |
Bild: Loch statt Nase nach Spray: Warnaktion von Apotheken | |
„Das Nasenspray bitte nicht länger als eine Woche nehmen“, sagt der | |
Apotheker. „Das macht sonst richtiggehend süchtig. Sie wissen Bescheid?“ | |
„Mann, Alter, du bist ja schlimmer als meine Mutter“, denke ich. „Ja, ich | |
weiß Bescheid“, sage ich. „Danke.“ | |
Ich bin stets leicht genervt von solchen Apothekenberatungen. Erstens weiß | |
ich das alles, zweitens könnte ich das auch vom Beipackzettel ablesen, | |
drittens schert es mich nicht die Bohne – ich mache, was ich will! Wenn ich | |
jetzt sage, dass ich mir die nächsten drei Jahre von morgens bis abends | |
dieses verkackte Nasenspray reinpfeife – pfft, pffft, pfffft … – was woll… | |
diese kapitalistischen Pharma-Knalltüten dann machen: die | |
Nasenspray-Polizei rufen? Mir den Verkauf verweigern? Dann geh ich einfach | |
in eine andere Apotheke. Auf der anderen Seite müssen die das vermutlich | |
sagen: „Hier, lutschen Sie nicht zu viele von den Salbeibonbons, das macht | |
Krebs und Karies; da, nehmen Sie nicht zu viele Ibuprofen, das verursacht | |
Nieren- und Leberschäden; dort, benutzen Sie bloß die Wichstücher nicht so | |
oft, das führt zu Rückenmarkserweichung und krummen Fingern“. | |
## Reinschieben, rausziehen | |
Diese Warnhinweise sind auch das Einzige, was sie von anderem | |
Verkaufspersonal, zum Beispiel in einem Spätkauf, abhebt. So zeigen sie, | |
dass sie studiert haben und People of Knowledge sind. Ansonsten gehen sie | |
ja immer nur in den Hinterraum mit den Regalen und den Schubladen, um | |
verschiedene Schubladen rauszuziehen und wieder reinzuschieben. Und um dann | |
eine andere rauszuziehen. Und wieder reinzuschieben. Und nach einer halben | |
Ewigkeit in den Verkaufsraum zurückzukommen und zu sagen: „Haben wir leider | |
nicht da. Kann ich aber bestellen.“ | |
Mir kommen die beiden Herren, die hier arbeiten, auch immer so ein kleines | |
bisschen neugierig vor. Jedes Mal wollen sie ganz genau wissen, warum ich | |
etwas haben will, was ich damit vorhabe, wie meine Symptome sind. „Loidls, | |
get a fucking life!“, denke ich mir dann jedes Mal. Ich habe den Verdacht, | |
sie saugen an meinem großen, prallen, aufregenden Leben, um ihr eigenes | |
kleines, leeres, schlaffes, langweiliges damit aufzufüllen. | |
Ich kenne das schon. Ich hatte mal einen Steuerberater, bei dem wurde mir | |
ganz schnell klar, was die Hauptmotivation für seinen Beruf war: nämlich | |
die Leben der anderen, wie sie sich Jahr für Jahr detailliert aus | |
Kontoauszügen und Kreditkartenabrechnungen herauslesen ließen. Irgendwann | |
ging er derart darin auf, dass er nicht mehr wusste, wer er war, und | |
komplett abdrehte. | |
Ähnlich verhält sich das wohl auch hier. Doch meine Privatsphäre geht die | |
beiden Herren nichts an. Deshalb versuche ich es mit Tricks und falschen | |
Fährten. Möchte ich etwa Wichstücher haben, frage ich stattdessen nach | |
„Taschentüchern“. Gerade so, als hätte ich Schnupfen. Um die Tarnung | |
perfekt zu machen, verlange ich auch noch ein Nasenspray dazu. Das ist zwar | |
teuer, aber die kriegen mich nicht. | |
## Schlecht und schuldig | |
Dummerweise geht damit alles bloß von vorne los: Auf gar keinen Fall dürfe | |
ich das Nasenspray auch nur eine Sekunde zu lang nehmen, blabla, unk, zeter | |
… Ich soll mich offenbar schlecht und schuldig fühlen. Angst soll ich | |
bekommen, um jeden Preis. Meine Augen folgen seinem Blick nach draußen. Vor | |
dem Schaufenster lungern zerlumpte und ausgemergelte Gestalten herum, | |
betteln laut krächzend die Passanten an und kippen sich Fanta, Benzin oder | |
Gurkenwasser in die sichtlich angegriffenen Nasen – egal was, Hauptsache, | |
es triggert irgendwie die Schleimhäute. | |
Er deutet reihum auf die Unglücklichen: „Drei Monate. Sechs Wochen. Zwölf | |
Tage. Und der eine, der ohne Nase da im Rollstuhl, fast ein halbes Jahr. | |
Das waren mal alles unsere Kunden. ‚Mann, Alter …‘, haben die bestimmt | |
gedacht – das hab ich denen ja gleich schon angesehen. Aber jetzt kann | |
‚Mann-Alter‘ leider auch nicht mehr helfen. Hätten sie mal bloß auf | |
‚Mann-Alter‘ gehört. Jetzt ist es zu spät.“ | |
Er seufzt. „Heute ist in der Substitutionspraxis da drüben Ausgabetag. Da | |
wird das Nasenspray dann durch Meersalzwasser oder eine Opiumlösung | |
ersetzt, um die grauenhaften Entzugserscheinungen zu lindern. Deshalb sehe | |
ich die hier jeden Dienstag alle wieder.“ | |
Er fixiert mich streng. „Ich frage Sie jetzt noch einmal vor Gott: Sind Sie | |
absolut sicher, dass Sie das Nasenspray haben wollen?“ Ich nicke kraftlos. | |
30 Nov 2022 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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