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# taz.de -- Die Wahrheit: Bar lacht das Herz
> 10.000 Euro sind nicht genug! Die geplante Obergrenze für Cash-Zahlungen
> ruft diverse systemrelevante Berufe auf den Plan.
Bild: Alles wird verboten: Bald darf man hierzulande nicht mal mehr Geld verbre…
Wieder einmal ächzt der deutsche Michel wie die Michelin schwer unter der
Knute der illiberalen Vorschriften- und Verbotsfetischisten. Dabei ist die
Liste der Willkürmaßnahmen des bundesrepublikanischen Despotismus bereits
lang und blutig – Sicherheitsgurt, Rauchverbot, Maskenpflicht und kein
Schweiß aufs Saunaholz. Was lassen die Spaßbremsen sich wohl als nächstes
einfallen? Tempolimit, Sprechverbot, Schnitzelsperre?
Doch es kommt noch perfider, als wir es uns in unseren schwärzesten
Albträumen ausgemalt hätten: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) plant
in Anpassung an internationale Gepflogenheiten und im Kampf gegen
Geldwäsche eine Obergrenze für Bargeldzahlungen.
Das Volk rastet nun verständlicherweise komplett aus: Die Ökofaschisten
wollen uns unser Geld wegnehmen! Wie sollen wir denn dann bezahlen? Geld
ist in Deutschland im Vergleich zu ähnlich entwickelten Ländern extrem
beliebt. „Bargeld lacht“, sagt man hierzulande nicht umsonst.
„Kartenzahlung weint.“
Neben der digitalen Rückständigkeit liegt das auch klar in unserer
Mentalität begründet. In Deutschland liebt man seit jeher Althergebrachtes,
sodass es postmodernes Chichi wie Internet, Strafbarkeit der Vergewaltigung
in der Ehe, Einführung der Homo-Ehe, schikanefreie Abtreibung und
Kartenzahlung hier immer schon schwer hatten oder haben. Das Bier zum
Frühstück, der „Tatort“ am Sonntag, der Zaster unter der Matratze – das…
Kultur und Tradition.
## Vergifteter Braten
„Eine Bargeldobergrenze ist Freiheitsentzug“, benennt der
FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler unmissverständlich Reiter und
Raben. Dem sensiblen Politiker mit den sanften Kulleraugen quellen beim
Gespräch vor Kummer einige große Scheine aus den ausgebeulten Taschen
seines Jacketts. Denn er riecht natürlich den vergifteten Braten, den uns
die „Bundesregierung“ auf die Teller legt. Garantiert wird die angedachte
Obergrenze von 10.000 Euro nur die Vorstufe für ein noch grässlicheres
Szenario sein: das komplette Verschwinden des Bargeldverkehrs.
In Dänemark zum Beispiel ist die Bezahlung mit Bargeld ja schon de facto
abgeschafft. Seitdem ist das im jährlichen „World Happiness Report“ stets
weit vorne liegende Land abrupt um 130 Plätze abgestürzt und liegt nun
zwischen Myanmar und den Komoren.
Doch nicht nur FDP-Politiker, sondern auch Gebrauchtwagenhändler,
Pokerspieler und Zuhälter sind betroffen, und damit ausgerechnet die
systemrelevantesten Berufe. Ehrenwerten Menschen, die sich für den
Fortbestand unserer Gesellschaft abschuften, würden demzufolge mit dem
Gesetz noch mehr Knüppel zwischen die Beine geworfen als ohnehin schon.
„Da denkt man schon manchmal ans Aufhören“, klagt denn auch Wolfgang Frosch
(34), der als ungelernter Abmahnanwalt im Duisburger Rotlichtmilieu häufig
mit größeren Summen Bargelds in Kontakt kommt. „Die Inkasso-Situationen
sind leider oft von einer improvisierten Logistik geprägt, die die
Verwendung von Kartenlesegeräten wenig zielführend erscheinen lässt.“
Peter Wunderlich (62), der als Ehrenprofessor an der Reitschuster-Akademie
für alternative Fakten in Leuna (RAfAFL) deutsche Geschichte, Astrologie
und Numismatik lehrt, bestätigt die grundsätzlichen Vorbehalte solcher
Arbeiter der Ebene: „Das halte ich auch für eine absolute Unkultur“, mahnt
er, auf skandinavische und angelsächsische Zustände angesprochen. „Früher
hat das Moderne die Zivilisation gefördert – das Rad, der elektrische
Strom, die Sondergedenkmünze –, heute zerstört es sie.“
Der Geldexperte gerät ins Schwärmen. „Dagegen Deutschland! Die uralte
Geschichte seiner Zahlungsmittel. Taler, Gulden, Dukaten, Mark. Der
herrliche Duft und die überragende Haptik eines fetten Geldscheinbündels
beim Kauf eines Ochsen, einer Scheune oder einer Unze Kokains. Das helle
Lied des im Kasten klingenden Talers. Hineinspringen und wie ein Maulwurf
darin herumwühlen …“
## Verarmter Erfüllungsgehilfe
Wunderlich wird nun geradezu philosophisch: „Eine solche Bargeldobergrenze
wäre dasselbe wie eine Beschränkung der Menge des erlaubten Glücks. Oder
der Atemzüge. Oder des Reichtums. Oder der Abschreibungsmöglichkeiten. Der
Mensch wäre nicht mehr Mensch, sondern ein beliebig austauschbarer,
seelisch und finanziell verarmter Erfüllungsgehilfe der Macht.“
Ist das nun nicht vielleicht doch ein wenig zu dick aufgetragen?
Schließlich bleibt der Kontostand von der Zahlungsweise völlig
unbeeinflusst. Gut, Neoliberale und/oder/aka Kriminelle wären eventuell
benachteiligt, aber die Bürgerin oder der Bürger würde ja weiterhin
problemlos ein Brötchen kaufen, einen Rotwein bestellen, den Friseur
bezahlen können. Allenfalls der Kauf einer Fluglinie oder eines sozialen
Netzwerks könnte nicht mehr mit einer praktischen Lastwagenkolonne voller
Banknoten beglichen werden. Meist aber wäre nur eine Verhaltensanpassung
notwendig, ähnlich der Umgewöhnung einer Katze von der Raufasertapete auf
den Kratzbaum. Oder?
Und in der Tat räumt unser Gesprächspartner von der RAfAFL eine gewisse
Befangenheit ein: „Als Fake-Historiker bin ich auch persönlich betroffen,
da wir in diesem Beruf von unseren Auftraggebern traditionell unter der
Hand in Cash, Spirituosen oder Raubkopien pornografischer Kupferstiche
entlohnt werden.“
Für solche Härtefälle muss selbstverständlich eine Lösung her, hier ist die
Gesetzgeberin unbedingt zur Nachbesserung aufgefordert!
23 Nov 2022
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Bargeld
Kriminalität
Banken
Friseure
Schwerpunkt Klimawandel
Apotheken
Kolumne Die Wahrheit
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Schule
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