Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Lars Klingbeil auf Sommerreise: Romantik in Wilhelmshaven
> Energie ist das Top-Thema im niedersächsischen Wahlkampf. Die SPD setzt
> auf das Thema. Es könnte ihr aber auch zum Verhängnis werden.
Bild: Alles klar zur Wende – SPD-Vorsitzender Klingbeil, Umweltminister Lies …
Wilhelmshaven taz | Die ersten Regetropfen trommeln aufs stählerne Dach der
Jantje, doch Lars Klingbeil drängt aufs offene Deck. Der
SPD-Bundesvorsitzende stellt sich neben die lokale Bundestagsabgeordnete
Siemtje Möller und den niedersächsischen Umweltminister, Olaf Lies. Der
schwärmt: „Jetzt gibt’s sogar einen Regenbogen über dem LNG-Terminal, wie
romantisch.“ Tatsächlich: Am Horizont über den Kränen im Wattenmeer, die
die Baustelle des neuen Flüssiggasterminals markieren, wölbt sich ein
leuchtender Regenbogen. Was für ein Bild! Flüssiggas, Hoffnung, SPD.
Das Terminal in Wilhelmshaven ist eines von vier, an denen in Kürze Tanker
mit verflüssigtem Gas anlegen sollen. Sie sollen das russische Pipeline-Gas
ersetzen helfen, das immer spärlicher strömt und von dem Deutschland sich
seit des russischen Überfalls auf die Ukraine unabhängig machen will.
Wilhelmshaven liegt im Norden von Niedersachsen, wo am 9. Oktober ein neuer
Landtag gewählt wird. Energie ist das bestimmende Wahlkampfthema. Die
Landes-CDU wettert gegen die Berliner Ampel, die FDP überrascht mit
Atomkraftplakaten und SPD-Ministerpräsident Stephan Weil wirbt damit,
Niedersachsen zum Energieland Nummer eins machen zu wollen. Gleichzeitig
könnte ihm genau dieses Thema die Wiederwahl verhageln: Seine ärgsten
Gegner sind nicht die politischen Konkurrenten, sondern die steigenden
Strom- und Gaspreise. Der satte Vorsprung seiner SPD vor der Landes-CDU ist
seit Juni auf nunmehr drei Prozentpunkte geschmolzen.
Und auch die im Bund schwächelnde SPD bräuchte dringend einen Energieschub,
sprich einen Wahlsieg in Niedersachsen. Die Sommerreise des
Bundesvorsitzenden Klingbeil ist also vor allem eine Wahlkampfreise. „Es
ist entscheidend für den Rest der Republik, was hier in Wilhelmshaven
passiert“, sagt Klingbeil mit windzerzausten Haaren.
Die Jantje tuckert am Nato-Hafen vorbei, in dem stahlgraue Kampfschiffe auf
der Lauer liegen. Die Bundeswehr ist der größte Arbeitgeber in
Wilhelmshaven, mit diesem Part der Zeitenwende hat man hier kein Problem.
Mit dem anderen Teil aber auch nicht.
## Bis zu 60 LNG-Tanker pro Jahr
Er saß gerade im Wohnzimmer, habe Musik gehört und eine Rede geschrieben
als der Bundeskanzler am 27. Februar eine Regierungserklärung im Bundestag
hielt, erzählt der parteilose Oberbürgermeister Carsten Feist mit
dröhnender Bassstimme. In seiner „Zeitenwende-Rede“ kündigte Scholz nicht
nur an, dass Deutschland 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren
werde. Sondern auch, dass man unabhängiger von einzelnen Energielieferanten
werden und zwei Flüssiggasterminals bauen wolle, einen davon in
Wilhelmshaven.
Danach habe das Telefon bei ihm nicht mehr aufgehört zu klingeln, sagt
Feist und erfuhr nun auch, dass seine Gemeinde zum Energiehub werden soll.
Na gut. „Wir machen das jetzt einfach, gemeinsam mit dem Land. Und bei der
Geschwindigkeit, die wir vorlegen, kriegen wir das auch hin“, meint er.
Schon am 21. Dezember soll das erste schwimmende Terminal fertig sein,
eigentlich ein umgebauter Tanker, eine sogenannte Speicher- und
Verdampfungseinheit (FSRU). Einen Tag später soll schon das erste Schiff
mit flüssigem und auf Minus 170 Grad heruntergekühltem Gas anlanden, das in
der FSRU wieder in den gasförmigen Zustand umgewandelt und von dort über
Pipelines ins Netz gepumpt werden soll. 50 bis 60 Tanker sollen das
Terminal pro Jahr anlaufen und bis zu 20 Prozent des bisherigen russischen
Gases ersetzen.
## Die Zukunft heißt „Wasserstoff“
„LNG, gefracktes Gas, eigentlich völlig wahnsinnig“, meint der Leiter des
Nationalparkhauses Lars Klein, der mit an Bord der Jantje ist. Er könne
dennoch damit leben, solange es als Übergang und einem übergeordneten Ziel
diene, dem schnellen Wechsel zu erneuerbaren Energien nämlich. Die größte
Bedrohung für den Nationalpark Wattenmeer ist der Klimawandel.
„Was heute an fossilem Gas ankommt, wird sehr schnell grünes Gas sein“,
prophezeit SPD-Umweltminister Olaf Lies. Zum Ende des Jahrzehnts sollen die
Flüssiggastterminals zu Wasserstoffterminals werden, wo der Wasserstoff aus
Übersee ankommt. Jenes Gas also, welches zum Beispiel entsteht, indem man
vom Wassermolekül das Sauerstoffatom abknipst. Was ziemlich viel Energie
erfordert, die aber soll, so der Umweltminister, ausschließlich aus Wind
und Sonne gewonnen werden, also grün sein.
Etwas übertrieben. Nach der Bootstour über den Jadebusen besucht Klingbeil
noch ein Treffen mit Unternehmern, es sind tatsächlich fast ausschließlich
Männer im Saal. Sie haben sich in Wilhelmshaven zum runden Tisch
Wasserstoff zusammengeschlossen und wollen das neue Wundergas selbst
produzieren oder es als Energiequelle nutzen. Zu ihnen gehört auch die
Wintershall Dea. Das Energieunternehmen setzt auf blauen Wasserstoff, der
aus Erdgas gewonnen wird, wobei das abgeschiedene CO₂ nicht in die
Atmosphäre gepustet, sondern gespeichert wird, wie der Vertreter berichtet.
Zu den Firmen, die es nach Wilhelmshaven zieht, zählt aber auch eine
Papierfabrik, die für ihre Produktion die Abwärme der anderen Fabriken
nutzen will – „wie ein Putzerfisch, der von den Abfallprodukten der anderen
lebt und von Anfang an CO₂-neutral“, schwärmt der Papierhersteller.
## Deckel drauf
Bürgermeister Feist spürt jedenfalls Aufbruchstimmung in Wilhelmshaven.
„Flüssiggas ist das, was wir als Übergang machen. Aber beim Wasserstoff
entsteht die Wertschöpfung.“ Er hofft, dass seine Gemeinde daran
mitverdient.
Verrückt. All dies, was gerade in Wilhelmshaven passiert, hätte es schon
längst geben können. Man habe bereits vor drei Jahren erwogen, hier
Flüssiggasterminals zu bauen, sagt Holger Kreetz von Uniper, dem
Energiekonzern, der nun den im Eiltempo errichteten Wilhelmshavener
Terminal betreibt. Damals habe es aber keine politische Unterstützung
gegeben.
Wann denn die Energiepreise wieder normal würden, wird Lars Klingbeil einen
Tag zuvor auf einer Versammlung mit Bürger:innen in Oldenburg gefragt.
Gas werde teuer bleiben, sagt Klingbeil und dass das zwei sehr harte Jahre
werden würden. Man habe sich eben zu lange ausgeruht auf billigem
russischen Gas. Seine Zerknirschtheit hat schon fast etwas Habeckhaftes.
Klingbeil versichert, dass der Stephan (Weil) und der Olaf (Lies) jetzt
gerade Tempo machen in Wilhelmshaven. Und dass man die Bürger auch
entlasten werde. „Es ist wichtig, dass wir in den Gasmarkt eingreifen und
Bürgern und Unternehmen ein bezahlbares Kontingent zur Verfügung stellen.“
Dafür stehe auch die Kommission, die am Donnerstag eingesetzt wurde und
Vorschläge unterbreiten soll. Für einen Gaspreisdeckel, den die FDP bis
jetzt immer ablehnt hat. Doch wenn es nach Klingbeil geht, gibt es schon im
Oktober ein konkretes Modell, wie ein solcher Deckel aussehen kann. Also
zur Landtagswahl.
Das Meer hat sich wieder beruhigt als die Jantje anlegt. Die Sonne scheint.
Wenn das kein Omen ist. Doch Klingbeil verzichtet diesmal auf ein Foto.
17 Sep 2022
## AUTOREN
Anna Lehmann
## TAGS
Landtagswahl in Niedersachsen
Erneuerbare Energien
SPD
Energie
GNS
Energiekrise
Landtagswahl in Niedersachsen
Gaslieferungen
LNG
LNG
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wahlkampf in Niedersachsen: Weil tritt auf die Gaspreisbremse
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) stellt ein eigenes
Preismodell vor – zahlen soll aber der Bund.
Umweltschützer gegen LNG-Terminal: Habeck bittet um Verzicht auf Klage
Die Deutsche Umwelthilfe fordert einen Baustopp für ein Flüssiggasterminal
in Wilhelmshaven. Minister Habeck bittet den Verband, nicht zu klagen.
Neue Studie zu LNG-Terminals: Kritik an Flüssiggas-Plänen
Eine neue Studie hält Unabhängigkeit von russischem Gas bis 2025 fast ohne
neue Infrastruktur für möglich. Die Regierung drückt trotzdem aufs Tempo.
Mindestens drei neue Flüssiggasterminals: Habeck setzt auf LNG
Wegen der hohen Abhängigkeit von russischem Gas sollen mindestens drei der
umstrittenen Terminals für Flüssiggas gebaut werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.